Kurz nachdem der ehemalige Arzt Dr. Julian Olcott seine neue Stelle als Biologielehrer in einem Internat für schwererziehbare Mädchen antritt, wird die Schülerin Mary tot im Wald aufgefunden. Während die Polizei an den Angriff eines Tieres glaubt, verdächtigt Marys Freundin Margaret stattdessen Sir Alfred, den Kurator des Internats, der wegen seiner nächtlichen Treffen mit den Mädchen von Mary erpresst wurde. Aber auch Dr. Olcott, der Gärtner Walther, der Heimleiter Swift und Sir Alfreds Gattin Sheena scheinen etwas zu verbergen. Während immer klarer wird, dass ein Werwolf in der Umgebung des Heims sein Unwesen treibt, sterben weitere Mädchen und Mitwisser des Rätsels um die wahre Identität des Ungeheuers…
In den Harry-Potter-Filmen wird es genau erklärt: ‚Werwolf‘ kommt vom germanischen Wort ‚wer‘ (Mann) und ‚wolf‘ (Wolf). Demnach bedeutet Werwolf wörtlich „Mann-Wolf“ oder auch „Wolfsmensch.“ In der Mythologie handelt es sich hierbei meist um einen Menschen, der sich z.B. nach dem Biss eines Wolfes bei Vollmond unfreiwillig in ein ebensolches Tier verwandelt und dabei Jagd auf andere Lebewesen macht. Die Berichte über die sogenannte „Lycanthropie“ reichen dabei weit zurück. Der älteste schriftliche Verweis findet sich bereits im Gilgamesch-Epos aus dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend. Die heute bekannten Abwehrmaßnahmen entstammen hingegen erst dem (zumeist deutschen) Aberglauben der Neuzeit. So könne die Lycanthropie mit einer Salbe aus Leichenteilen geheilt werden. Um einen Werwolf zu töten, benötige man Gewehrkugeln mit einem eingeritzten Kreuz. Dass diese Geschosse aus Silber sein müssten, geht wiederum auf einen Eintrag im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm zurück. (In BEI VOLLMOND – MORD genügen ausnahmsweise ganz normale Kugeln zur Tötung des Fabelwesens.)
Im Gegensatz zu den unzähligen Filmen über Vampirismus sind entsprechende Werke über Werwölfe weitaus weniger häufig vertreten. Der wohl erste Beitrag dürfte der US-Stummfilm WOLF BLOOD: A TALE OF THE FOREST von 1925 sein. Der erste Tonfilm DER WOLFSMENSCH (THE WOLF MAN) von 1941 war Teil der Monsterserie der Universal-Studios mit Claude Rains und Bela Lugosi in den Hauptrollen. Spätere populäre Beiträge finden sich in AMERICAN WEREWOLF (AN AMERICAN WEREWOLF IN LONDON [1981]) von John Landis und WOLF – DAS TIER IM MANNE [1994] mit Jack Nicholson und Michelle Pfeiffer. Komödiantische Beiträge zu dem Subgenre gab es z.B. mit TEENWOLF [1985] mit Michael J. Fox oder auch mit dem Stop-Motion-Film WALLACE & GROMIT – AUF DER JAGD NACH DEM RIESENKANINCHEN (The Curse of the Were-Rabbit [2005]).
Während das italienische Kino zur Stummfilmzeit mehrere ernstzunehmende Beiträge zum phantastischen Genre lieferte, kam das italienische Gruselkino der Nachkriegszeit eher schleppend in Gang. Erst nach Riccardo Fredas DER VAMPIR VON NOTRE DAME (I VAMPIRI [1957]), der eigentlich die erste große Regiearbeit des damals noch unbekannten Mario Bava war, wagte man sich nach und nach an das Horrorgenre heran und bereicherte es durch zahlreiche eigenständige Beiträge.
BEI VOLLMOND – MORD (LYCANTHROPUS) [1961]) entstand unmittelbar nach dem Werwolf-Erfolg DER FLUCH VON SINIESTRO (THE CURSE OF THE WEREWOLF [1961]) der britischen Hammer-Studios. Die österreichisch-italienische Co-Produktion weist vom Grundsetting her Ähnlichkeiten zu den frühen Edgar-Wallace-Filme aus den 1960ern auf, nicht zuletzt wegen des Versuchs durch englisch klingende Rollennamen den Eindruck zu erwecken, der Film würde auf britischem Boden spielen. Auch Carl Schell, der die männliche Hauptrolle spielt, erinnert in vielen Einstellungen stark an den ewigen Wallace-Helden Joachim Fuchsberger. Doch nicht nur der Drehort, auch die Herkunft von Darstellern und Crew wurde durch (völlig beliebige) „internationale“ Pseudonyme im Vorspann bewusst verschleiert, was allerdings zu jener Zeit kein Einzelfall war.
Das Drehbuch stellt mit seiner dialoglastigen whodunnit-Handlung eher eine Krimi- als eine Monsterstory dar. Es stammt aus der Feder von Ernesto Gastaldi (hier als „Julian Berry“ aufgeführt), einem weiteren frühen Pionier des italienischen Nachkriegskinos, der auch am Skript zu dem bereits besprochenen DIE GELIEBTE DES VAMPIRS (L’AMANTE DEL VAMPIRO [1960]) beteiligt war. Von ihm kamen später auch die Vorlagen zu Genreperlen wie DER KILLER VON WIEN (LO STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH [1971]), TORSO (I CORPI PRESENTANO TRACCE DI VIOLENZA CARNALE [1973]) oder auch Sergio Leones Epos ES WAR EINMAL IN AMERIKA (ONCE UPON A TIME IN AMERICA [1984]). Dem Monstermotiv fügt Gastaldi noch eine Spur mad scientist hinzu (ein Komplize des Werwolfs versucht mit dem Sekret aus den Drüsen eines Schäferhundes ein heilendes Serum zu entwickeln) und nimmt sogar ein typisches Giallo-Merkmal vorweg (ein Mörder trägt während der Tat schwarze Handschuhe).
Regie führte der eher unbekannte Paolo Heusch (aufgeführt als „Richard Benson“), der mit LA MORTE VIENE DALLO SPAZIO (THE DAY THE SKY EXPLODED [1956]) einen der ersten italienischen Science-Fiction-Beiträge produzierte. Dass sich Heusch mit der Monsterthematik etwas schwertat, erkennt man nicht zuletzt an der (erst gegen Ende eingesetzten) Werwolfsmaske seines Makeup-Artists Angelo Malantrucco. Anders als bei Werwolffilmen üblich ist das Gesicht des Monsters hier nicht komplett von Fell bedeckt. Malantrucco beschränkt sich auf ein paar Gesichtswülste, zerzaustes Haar und künstliche Reißzähne. Dennoch hielt man das Makeup offenbar für so überzeugend, dass nicht nur die Kamera jedes Mal in Nahaufnahme auf das Wolfsgesicht draufhält – auch eins der Plakatmotive zeigt das Monster so deutlich, dass am Ende (wenn überhaupt) nur zwei Verdächtige als Werwolf in Frage kommen…
Bei der Besetzung wäre vor allem die Polin Barbara Lass zu erwähnen, die zur Zeit von BEI VOLLMOND – MORD mit niemand geringerem als Roman Polanski verheiratet war, unter dessen Regie sie in WENN ENGEL FALLEN (GDY SPADAJĄ ANIOŁY [1959]) gespielt hatte. Mit ihrem späteren, nicht minder berühmten Ehemann Karlheinz Böhm war sie in RIFIFI IN TOKIO (RIFIFI À TOKYO [1963]) zu sehen. Je nach Synchronfassung hieß ihre Rolle in BEI VOLLMOND – MORD Margaret (Deutschland), Brunhilde (Italien) oder Priscilla (USA). Carl Schell, der den jungen attraktiven Lehrer Olcott spielt, war tatsächlich der Bruder von Maria und Maximilian Schell, erlangte jedoch nie den Bekanntheitsgrad seiner Geschwister. Luciano Pigozzi (hier unter seinem meist verwendeten Pseudonym „Alan Collins“ aufgeführt) spielt den zwielichtigen Gärtner Walther. Wegen seiner großen Ähnlichkeit zu Peter Lorre wird Pigozzi meist auch in ähnlich gelagerten Rollen eingesetzt, u.a. in Mario Bavas DER DÄMON UND DIE JUNGFRAU (LA FRUSTA E IL CORPO [1963]), in Antonio Margheritis SCHREIE IN DER NACHT (THE UNNATURALS [1969]) oder auch in dem deutschen Söldnerfilm GEHEIMCODE WILDGÄNSE [1984].
Zwei Darsteller kleinerer Rollen sollten ebenso wenig unter den Tisch fallen: Da wäre einerseits Giuseppe Transocchi (hier unter dem Pseudonym „Joseph Mercer“) als Pförtner Tommy, der Genrefans vor allem als stummer Diener Pavlo in Dario Argentos SUSPIRIA [1977] bekannt sein dürfte. Andererseits sieht man in mehreren Szenen (jedes Mal als Statist im Hintergrund) den in Neuseeland geborenen John Karlsen, der keineswegs Komparse war, sondern in zahlreichen Sprechrollen des italienischen Kinos auftrat, darunter Genrehighlights wie DAS SCHLOSS DER BLAUEN VÖGEL (LA BESTIA UCCIDE A SANGUE FREDDO [1971]) oder THE CHURCH (LA CHIESA [1989]).
BEI VOLLMOND – MORD lief in sämtlichen Auswertungsländern vollständig synchronisiert. So gab es unter anderem eine englische Synchronfassung, die in England und den USA unter dem Titel WEREWOLF IN A GIRLS‘ DORMITORY vermarktet wurde. Die Titelsequenz erhielt dabei einen reichlich unpassenden Rock’n-Roll-Soundtrack. Die deutsche Synchronfassung aus dem Jahr 1963 galt lange als verschollen, bis das Label Anolis die wohl letzte Kopie weltweit auftreiben konnte. So kann man den Film seit Jahrzehnten nun wieder mit den zeitgenössischen Synchronstimmen von Harald Leipnitz als Carl Schell, Horst Naumann als Curt Lowens und Doris Gallart als Barbara Lass genießen.
Der Film erschien sowohl als Mediabook wie auch als Keep Case und hat neben mehreren Sprachfassungen auch zwei Audiokommentare, Interviews sowie den amerikanischen Vorspann mit dem Song „A Ghoul in School“ zu bieten. Für Fans des frühen europäischen Gruselkinos und seltener deutscher Synchronisationen eine klare Kaufempfehlung!
Lycanthropus
Österreich / Italien 1961
Regie: Paolo Heusch
Darsteller: Barbara Lass, Carl Schell, Curt Lowens, Maurice Marsac, Luciano Pigozzi, Guiseppe Transocchi
