A Body Horror Fairytale.

Zum Filmauftakt kitschige Märchenmusik. Zu einer Filmästhetik, die verblüffend an Märchenfilme erinnert. Nicht an die unsrigen, sondern an tschechoslowakische oder sowjetische mit ihrem Flair für das Düstere, à la dem Klassiker DREI NÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL. Doch auch ein Störgeräusch ist dem Märchensound unterlegt, als eine adlige Dame, Rebekka (Ane Dahl Torp), zusammen mit ihren beiden Töchtern Alma und Elvira ein Schloss erreicht und den alten Schlossbesitzer Otto (Ralph Carlsson) heiratet. Ein paar Momente später landet Ottos Kopf beim Abendbrot in seinem Teller, tot.

Doch wer dachte, das sei Rebekkas heimliche Absicht gewesen, sieht sich getäuscht. Im Gespräch mit Bankern stellt sich heraus, dass Otto hoch verschuldet war und die (relativ vermögende) Rebekka übers Ohr gehauen hat. Nun hat sie Probleme, ihren neuen Besitz überhaupt weiter finanzieren zu können. Wir befinden uns in der Übergangszeit vom Feudalismus zum Kapitalismus, doch – um das vorneweg zu nehmen – die meisten adligen Akteure im Film denken noch im feudalistischen System, in dem Frauen nur eine Chance zum guten Leben haben: reich heiraten.

Nun hat die raffinierte Rebekka nicht nur zwei eigene, (und man muss sagen:) hässliche Töchter, sondern von Otto auch eine (wunderschöne) Stieftochter zur Hand. Ihr Ziel ist klar: Kein Geringerer als Prinz Julian (Isac Calmroth) soll eingeheiratet werden. Elvira hat bereits ein Leben lang den Gedichtband gelesen, den der Prinz einst verfasst hat, und würde (und wird) alles tun, um ihn persönlich zu ergattern. Leider mangelt es ihr an Attraktivität. Schwester Alma (Flo Fagerli) dagegen ist zu desinteressiert an Prinzen- und Reichtum, als dass man sie für dieses Bachelor-Getue motivieren könnte. Und die strahlend schöne Stieftochter Agnes (Thea Sofie Loch Næss – den Namen merkt man sich!) dürfte natürlicherweise prädestiniert dafür sein, in der engsten Auswahl des Prinzen zu landen.

Nun schickt Rebekka Tochter Elvira und (von Rebekka nicht präferiert) Stieftochter Agnes in eine spezialisierte Schule, die die jungen Frauen auf den Prinzenball vorbereitet. Die ganze Abrichtung in der Schule zielt darauf ab, dass die Fräuleins in den Fokus des Prinzen oder wenigstens eines anderen reichen Schnösels gelangen. Wir sind bei Germanys Next Topmodel in the Middle Ages angelangt, gewisse Parallelen sind nicht zu übersehen. Frauen werden hübsch gemacht, lernen zu tanzen und ihren Busen in einem gut präsentierten Dekolleté ins beste Licht zu rücken. Die gnadenlose russische Trainerin favorisiert natürlich Agnes, während die unansehnliche Elvira unglaubliche Demütigungen erfährt. Nur die Mentorin der Schule zeigt Erbarmen und händigt Elvira ein ekliges, lebendes Etwas aus, das im Magen bewirkt, dass die fresssüchtige Elvira trotz Heisshunger nicht weiter dick wird. Ozempick lässt grüßen.

Aber Elvira soll gepusht werden. Also arbeitet Rebekka auch an Elviras Schönheit. Das Kind erhält von Dr. Esthetique auf Pump („wir zahlen nach dem Prinzenball“) ein Schönheitstreatment (OPs und Tricks), wie es heute bei vielen Frauen gang und gäbe ist. Die mittelalterlichen Holzhammermethoden verdeutlichen allerdings auf splattrige Art, wie invasiv Schönheitsoperationen & Co. eigentlich sind. Mit der Zange in den Zähnen herumrupfen geht noch. Die Nasenbegradigung mit dem Meißel dürfte auch dem geneigten Filmpublikum schon etwas Schmerzen bereiten. Und wenn es dann um die Augen geht… – my oh my! Wie doch Märchen und Splatter zusammengehören! Von Regisseurin Emilie Blichfeldt kohärent ins Licht der Schönheitsoperationen gezerrt.

In der Zwischenzeit begibt sich eine kurze Situation im Wald, in der Elvira von Alma (the voice of reason) im Wald allein gelassen wird. Durch einen Zufall beobachtet Elvira dort den Prinzen mit zwei Freunden bei der Vogeljagd und hört, wie sich die drei äußerst primitiv über Frauen äußern. Den adligen Jungs geht es nur um sexuelle Triebbefriedigung. Hier ist nichts von der Romantik, die Elvira (oder auch Agnes) vom „Prinzen“ erwarten. Übrigens sprechen auch die Gedichte des Prinzen Julian – metaphorisch-verbrämt zwar – eine sehr phallusfixierte Sprache. Überhaupt gibt es keine Männer in THE UGLY STEPSISTER, die positiv dargestellt werden. Primitive, egoistische, lüsterne Typen, auf die sich Frauen einstellen müssten, würde ihnen nicht dieser Traum der Romanze ins Gehirn gesetzt. (Lediglich an ihrer sexuellen Beziehung zum Stalljungen scheint Agnes wenigstens ein wenig über Männer zu erfahren.)

Und so geschah es, dass diese ganze demütigende und falsche Vorbereitung der Frauen und diese brachialen, schmerzhaften Schönheitsoperationen in diesem großen Prinzenball gipfelten. Und dass sich dieser Ball als sexistisches Event herausstellte. Prinz Julian guckt sich das Fleisch an, macht sich über die Fräuleins lustig und delektiert sich an seinem Recht, als Erster auszuwählen. Die anderen Adligen (und die ersten Kapitalistensöhne) wählen danach – alles in allem ein Sklavenmarkt des Fleisches, in äußerst elegantem ritterlichem Ambiente.

Tatsächlich wird auch hier deutlich ein bekanntes Märchen zitiert (und aber variiert). Nach Fargeats THE SUBSTANCE und Kravitz‘ BLINK TWICE scheinen Horror-Frauenszenarios zur Zeit stark über die Motivik klassischer Märchen zu laufen – und trotz Märchenbezug bleibt der Film erfreulich überraschend und frisch. In ihrem ersten Spielfilm gelingt es Regisseurin Emilie Blichfeldt die verdüsterte Romantik osteuropäischer Märchenfilme der 1960er und 70er Jahre in eine gnadenlose Geschlechterkritik umzumünzen. Und das – auch Blichfeldt zeigt sich wie etwa Fargeat oder Ducournau von Cronenberg beeinflusst – mit verstörendem Body-Horror (der hier nicht gespoilert wird). Brillant ist auch, wie es die Regisseurin schafft, uns permanent einen Wechsel in den Sympathien für die Protagonistinnen unterzujubeln: Anfangs lieben wir Elvira, später Agnes, schließlich Alma. Katharsis auf die raffinierte Art. Und einer der besten Filme am diesjährigen Neuchâtel International Fantasy Film Festival.

Den stygge stesosteren
Norwegen, Polen, Schweden, Dänemark 2025
Regie, Drehbuch: Emilie Blichfeldt
Kamera: Marcel Zyskind
Musik: Vilde Tuv
Darsteller: Lea Myren, Thea Sofie Loch Ness, Ane Dahl Torp, Flo Fagerli, Isac Calmroth u.a.
Laufzeit: 109 min.

Fotos: ©
Capelight Pictures, Marcel Zyskind