Die Kunst der Gefühlskälte.

THE GOOD SHEPHERD (DER GUTE HIRTE) ist Robert De Niros ambitionierter Versuch, in die im Verborgenen arbeitende Welt der Geheimdienste, Verschwörungen und Hintermänner einzutauchen und diese Welt für ein großes Publikum Wirklichkeit werden zu lassen. Der 1943 geborene Schauspieler ist dabei Zeitzeuge und Künstler zugleich, den das Thema schon immer fasziniert hat. In einem Interview äußerte er dazu: „I had always been interested in the Cold War. I was raised in the Cold War. All of the intelligence stuff was interesting to me.“ Als Zeitzeuge erlebte er auch eines der größten außenpolitischen Debakel der US-amerikanischen Geschichte in jüngerer Zeit – die fehlgeschlagene Invasion in der Schweinebucht. Das Ziel war der Sturz des kubanischen Regierungschefs Fidel Castro.

Castro, einer jener Guerillakämpfer an der Seite von Che Guevara, war eine zentrale Figur im Unabhängigkeitskampf Kubas gegen Diktator Fulgencio Batista. Seit Februar 1959 offiziell mit dem Amt des Ministerpräsidenten betraut, setzte der Revolutionär auf gute Beziehungen zum großen kommunistischen Bruder, der Sowjetunion. Das war den USA, auch auf Grund der geographischen Nähe zu Kuba, ein Dorn im Auge. Die Fäden der Schweinebuchtinvasion zog die Central Intelligence Agency, kurz CIA. Ihre ausführenden „Marionetten“ waren knapp 1300 im Exil lebende Kubaner. Schlussendlich misslang die groß angelegte Aktion und die Ursachen hierfür waren vielfältig. Sowohl der noch junge Präsident John F. Kennedy als auch die CIA hatten dadurch massiven Schaden genommen. Nun begann die Suche nach den Schuldigen und einer angenommenen undichten Stelle…

De Niros 2006 uraufgeführte zweite Regiearbeit nimmt jene schicksalhafte Suche nach Schuld und Unschuld und den Versuch, die Wogen dieser außenpolitischen Katastrophe zu glätten, zum Anlass einer umfassenderen Betrachtung der CIA. Seine erste Arbeit als Regisseur lag zu diesem Zeitpunkt bereits längere Zeit zurück: A BRONX TALE von 1993 basierte auf einem Drehbuch des Hauptdarstellers Chazz Palminteri, der darin eigene Kindheitserfahrungen verarbeitete. Etwa um die gleiche Zeit, nämlich 1994, arbeitete Eric Roth für Francis Ford Coppola und im Auftrag von Columbia Pictures an einem Drehbuch über die Central Intelligence Agency. Roth hatte kurz zuvor das 1991 erschiene Buch „Harlot’s Ghost“ gelesen, eine von Norman Mailer verfasste halbfiktive „Biographie“ der CIA. Coppola hatte mit der Thematik Schwierigkeiten und konnte sich nicht vorstellen, den Film selbst zu inszenieren, da es ihm nicht möglich war, eine persönliche Beziehung zu den Figuren aufzubauen. Nun begann die Suche nach einem geeigneten Regisseur. Im Gespräch waren unter anderem Philip Kaufman und Wayne Wang. Während Wang das Projekt nach studiointernen Veränderungen relativ zügig wieder verließ, war Kaufman über ein Jahr mit der Produktion beschäftigt. Das Projekt wechselte dann zu MGM, wo es Hollywoodveteran John Frankenheimer inszenieren sollte. Dieser hatte gerade mit RONIN einen großen Kinoerfolg, der in den Hauptrollen mit Robert De Niro und Jean Reno besetzt war. Frankenheimer schlug De Niro auch für eine Rolle im CIA-Film vor. Allerdings verstarb er im Juli 2002 – damit lag das Projekt wieder auf Eis. De Niro trieb es in den Folgejahren aber weiter voran.

Auf Wunsch De Niros arbeitete Eric Roth das Drehbuch dahingehend um, dass es zentral um den Kalten Krieg und die Ereignisse im Vor- und Nachgang der Schweinebuchtinvasion gehen sollte. Gedreht wurde für Universal Pictures schließlich vom 15. August 2005 bis zum 31. Januar 2006. Das Projekt hatte sich mittlerweile von einer „Geschichte der CIA“ zu einer zeitlich verschachtelten Erzählung entwickelt, die eine Zeitspanne von mehreren Jahrzehnten umfasst. Es steht zu vermuten, dass De Niro hier die nonlineare Erzählform von Sergio Leones ONCE UPON A TIME IN AMERICA (ES WAR EINMAL IN AMERIKA, 1984) im Sinn hatte. THE GOOD SHEPHERD wechselt zwischen den Jahren 1939 und 1961 immer wieder die Zeitebenen. Die zentrale Figur des Films ist Edward Wilson, dargestellt von Matt Damon. Dessen berufliche Laufbahn ist die große inhaltliche Klammer der Erzählung. Schon während der Studienzeit an der Yale University wird Wilson vom Office of Strategic Services, kurz OSS, angeworben. Es sind die Kriegsjahre und er soll einen Professor als Nazisympathisanten überführen. Damit ist der Lebensweg des jungen Mannes vorgezeichnet. Zwar heiratet Wilson frühzeitig seine schwangere Freundin Clover, doch die Karriere im OSS und später der CIA hat für ihn immer die höhere Priorität.

Das ist im Kern auch schon das Thema des Films. Ein ehrgeiziger junger Mann entscheidet sich in jungen Jahren für eine Geheimdienstkarriere und kultiviert ein Leben lang die Tugenden der Diskretion, menschlichen Distanz und emotionalen Kälte. Darunter mag das private Glück leiden, aber der Job hat immer Vorrang. Langsam und bedächtig entwickelt sich die Spionagegeschichte in THE GOOD SHEPHERD, lässt einen dabei aber sonderbarerweise unberührt. De Niros Film legt den Schwerpunkt auf die Betrachtung von Geschichte, nicht auf ihre Bewertung, Er schwelgt in Nostalgie und zelebriert die Langsamkeit der filmischen Erzählung. Hierin unterscheidet er sich auch von seinem mutmaßlichen Spiritus rector Sergio Leone. Dieser inszenierte eine vor Bildgewalt berstende Oper mit überwältigenden Einstellungen, großen Gefühlen und einer Vielzahl von in Erinnerung bleibenden Haupt- und Nebenfiguren. De Niro will keine Oper erzählen, sondern eine klammerteilige Geschichte in „Loops“. Auf mitunter zähe, aber elegische Weise arrangiert er Geschichte in repetitiver Form. Die immer wieder ähnlichen Handlungen vieler mehr oder weniger auffälliger Figuren in einem mehr oder weniger ähnlichem Kontext ergeben am Ende das große Ganze. Insofern ist es ein authentischer Einblick in die Arbeit der Geheimdienste, denen jegliche Auffälligkeiten zum Verhängnis werden könnten.

THE GOOD SHEPHERD ist ein unterkühlter Film, seine Protagonisten sind emotional hoch kontrolliert und geben ihre Gefühle nicht preis. Das erfordert das Einverständnis des Publikums, sich auf diese distanzierte Reise zu begeben und sich allmählich von der Welle der Ereignisse mitreißen zu lassen. Aber es ist eine lohnenswerte Seherfahrung, denn hinter der kalten Fassade des bürokratischen Funktionalismus werden die Abgründe des US-amerikanischen Politsystems sichtbar. Es sind jene Abgründe, die in Katastrophen wie der Schweinebuchtinvasion, Vietnam oder den Irakkriegen offen zu Tage treten.

The Good Shepherd
USA 2006
Regie: Robert De Niro
Darsteller: Matt Damon, Angelina Jolie, Alec Baldwin, Tammy Blanchard, Joe Pesci, Robert De Niro, Keir Dullea, Michael Gambon, Martina Gedeck, William Hurt, Timothy Hutton u.a.

Anbieter:

NSM Records