Von Bodo Traber
Schon seit einigen Jahren beweist die entdeckenswerte, kleine Grusel-Oldie-Reihe bei Hantik Films unter Mitarbeit von den Kollegen der Deadline, dass es die amerikanischen Independent-Produktionen der Vorkriegszeit nicht nur verdient haben, aus ihrer völligen Vergessenheit gerettet zu werden, sondern auch eine beachtlich klaffende Lücke in der Genre-Geschichtsschreibung darstellen. Der 1935 entstandene, hierzulande bislang praktisch unzugängliche Horrorfilm CONDEMNED TO LIVE von Frank R. Strayer erweist sich als reizvolles Pendant zum sicher bekanntesten Titel des Regisseurs, dem zwei Jahre älteren THE VAMPIRE BAT, der schon frühzeitig Eingang in die Annalen fand und gern in einem Atemzug mit den Klassikern der frühen 30er Jahre genannt wird. Glänzend und mit überbordender Verve getragen von den Kultdarstellern Lionel Atwill und Dwight Frye in den Rollen des „Dr. Niemann“ und seines Faktotums, in deren Umgebung sich eine unheimliche Mordserie abspielt, blieb VAMPIRE BAT lange der einzige Film, der Frank Strayers Namen über die Jahrzehnte lebendig hielt. Die Zeit ist reif, einen Regisseur zu entdecken, der sich schon damals jene Nische eroberte, die man erst viel später Exploitation-Kino nannte.
Tatsächlich folgt CONDEMNED TO LIVE nicht nur in groben Zügen demselben Handlungsverlauf wie VAMPIRE BAT; er imitiert auch dessen Personage und Besetzung: Hier muss der von Ralph Morgan verkörperte, honorige Professor Kristan entsetzt feststellen, dass die grausigen Mädchenmorde, die das böhmische Städtchen heimsuchen, mit einem Geheimnis aus seiner eigenen Kindheit zusammenhängen. Die im Mittelalter zurück gebliebenen Dörfler wähnen eine riesige Vampirfledermaus am Werk, die ihre Opfer in eine Höhle an der nahen Meeresküste verschleppt, aber Kristans treuer Diener Zan weiß mehr… Im Wesentlichen den Universal-Filmen James Whales und Tod Brownings verhaftet – und viele der späteren Hammer-Filme dabei vorweg nehmend, – gibt den Schauplatz der Geschichte ein vage deutsches (oder österreichisches) Gemeinwesen des 19. Jahrhunderts voller abergläubischer Bürger ab – Professor Kristan kann sich in der Ehrerbietung der Einwohner sonnen, eine ihm ergebene junge Maid will ihn ehelichen, doch ihr eifersüchtiger Freund, der zur Stimme der Aufklärung wird, setzt die Suche nach der Wahrheit in Gang…
Setzt Ralph Morgan in der Rolle des Professors der voluminösen Darstellung Lionel Atwills in VAMPIRE BAT noch eine für damalige Horrorfilme ungewohnte Sanftheit entgegen, so überrascht und verzaubert vor allem Mischa Auer in der Rolle des buckligen Dieners, der als pure Mimikry der Figur Dwight Fryes angelegt wurde, aber dem sonst meist als Komödianten und Salonlöwen bekannten Schauspieler eine außergewöhnliche Gelegenheit zur tragischen Subtilität bietet. Auer hatte bereits eine ähnlich düstere Rolle in Strayers frühem, ebenfalls vergessenen Horrormystery THE MONSTER WALKS von 1932 (in voller Länge zu goutieren auf Youtube). Sein bekanntester Auftritt dürfte bis heute sein tragikomisches Kabinettstück als reuegeplagter, slawischer Prinz in René Clairs AND THERE WERE NONE sein (unvergessen, wie er betrunken ekstatisch in die Klaviertasten schlägt und „Zehn kleine Negerlein“ intoniert, ehe er tot zusammenbricht) und allein seine Darstellung in CONDEMNED TO LIVE hebt den Film über den Durchschnitt seiner Art. Ungewöhnlich für seine Zeit, versteckt sich hinter der Horrorgeschichte eigentlich ein märchenhaftes Melodram in jener tragischen Atmosphäre des unausweichlichen menschlichen Verhängnisses, wie sie zur Zeit der phantastischen Stummfilme beliebt waren und erst in den 40ern mit den Meisterwerken aus Val Lewtons RKO-Reihe wiederkehrten. Trotz der künstlerischen Abstriche, die seinem niedrigen Budget geschuldet sind, erweist sich der düstere kleine Film dem effekthascherischen VAMPIRE BAT mehr als ebenbürtig. Eine kleine film-archäologische Kostbarkeit.
Den Sammler wird es freuen, dass es als Bonus auch dieses Mal zwei Kapitel – inzwischen bereits die Folgen 9 und 10 – des Serial-Klassikers UNDERSEA KINGDOM (deutsch einstmals UNGA KHAN, DER HERR VON ATLANTIS) aus dem Jahre des Herrn 1936 gibt. Wir erinnern uns, dass „Crash“ Corrigan und seine Freunde mit Professor Norton in dessen Tauchboot das sagenhafte Atlantis in einer gigantischen Höhle auf dem Meeresgrund entdeckt haben. Beherrscht wird der Kontinent von dem wahnsinnigen Unga Khan, der seinen Stählernen Turm zur Erdoberfläche bringen will, um sich den Rest der Welt untertan zu machen. Heute kann Crash den gehirngewaschenen Professor aus den Klauen des Tyrannen befreien und in die Heilige Stadt bringen, aber diese wird schon bald von Robotern, Panzern und Armeen belagert. Prominent dabei in den aktuellen Kapiteln ist der damals 30jährige Lon Chaney, jr. als brutaler Hauptmann der Schwarzen Garde. Eine Herrlichkeit aus einer Zeit, die heute versunkener scheint als das ganze Atlantis. Was aus der deutschen Fassung wohl geworden sein mag?
Das Material ist wie immer unrestauriert, aber in verzeihlichem Zustand, der Hauptfilm etwas besser als das Serial. Traditionell mit im Paket liegt ein mehrsprachiges Booklet (die Edition ist europaweit dieselbe); der informative deutsche Beitrag über Frank Strayer stammt von Frank Scheidt.
Es macht Freude, jedes Jahr auf ein neues Bonbon in dieser liebevollen und unterstützenswerten Liebhaber-Reihe zu warten.
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Condemned to Live, USA 1935, Regie: Frank R. Strayer, mit: Ralph Morgan, Mischa Auer, Maxine Doyle, Pedro de Cordoba, u.a.
Anbieter: Hantik Films