Von Thorsten Krüger
Auf einer dem Untergang geweihten Erde entdeckt Ex-NASA-Pilot und Farmersvater Cooper ein Geheimprojekt der Weltraumbehörde, die ihn für einen verzweifelten Versuch anwirbt, mit einer Wurmloch-Mission einen fremden Planeten zur Besiedlung zu finden. Dafür muss der verwitwete Cooper seinen Vater, den älteren Sohn, der den Betrieb übernimmt, vor allem aber seine innige geliebte Tochter Murphy verlassen.
Im Kern handelt Nolans starbesetzter Autorenfilm im Blockbusterformat vom Überlebensinstinkt und anderen Wesenszügen der menschlichen Natur. In der sich im Science-Fiction-Gewand von 2001 – ODYSSEE IM WELTRAUM kleidenden spirituellen Fantasy-Zeitreise to infinity and beyond verkündet eine epochale, mehr als alle Nolan-Erfolge zuvor emotional überwältigenden Symphonie: Liebe hält unser Universum zusammen.
Nach INCEPTION scheint der 44-jährige Brite seine Imaginationskraft, Kunstfertigkeit, Erzähltechnik und seinen Witz noch einmal um eine Stufe gesteigert zu haben. Basierend auf dem Drehbuch seines Bruders Jonathan löst er die Geheimnisse des Kosmos’, die sich als Geheimnisse der Menschheit herausstellen und das im Verbund mit einer nahegehenden Vater-Tochter-Beziehung, womit sich vermeintlich rationale Forscher mehr denn je über ihre Gefühle definieren.
Hans Zimmers großartig die Emotionen erschaudern lassender Score trägt das oft pessimistisch wirkende Szenario, in dem der Optimismus tatsächlich den längeren Atem beweist, was sich an den wortgewandten, humorvoll ausgefeilten Dialogen erahnen lässt – neben dem Faible fürs Sentiment sind die schlagfertigen Pointen das zweite atypische Merkmal eines ernsthaften, aber ungemein unterhaltsamen Zukunftsentwurfs.
Darin zeigt sich das amerikanische Herzland als ein Dust Bowl analog zur Großen Depression zwischen John Steinbeck und Terrence Malick, ein von die Ernte verheerenden Staubstürmen heimgesuchter, sterbender Planet, der sich von allen wissenschaftlichen Träumen und selbst simpler Bildung verabschiedet hat und die Schullehrmeinung vertritt, dass die Mondlandung nur ein Schwindel war. Einer der es besser weiß, ist der überqualifizierte Ingenieur Cooper, der wie alle Menschen als Farmer gegen den Welthunger ackert.
Matthew McConaughey (MUD) spielt ihn als Vater, wie man ihn sich wünscht, der – wie der Film – den Pionier-Geist der Apollo-Tage wiederbelebt und seine 10-jährige Tochter Murphy damit begeistert (toll: Mackenzie Foy). Da aber die letzten Menschen, die verhungern, die ersten sein werden, die ersticken, muss er sie, Sohn und Vater verlassen, um sie zu retten. Ein Versprechen, auf das Murphy ein Leben lang warten muss.
Denn als Pilot wird er mit der Tochter eines NASA-Physikers (Anne Hathaway, LES MISÉRABLES) durch ein offenbar von freundlich gesonnenen Aliens am Saturn platziertes Wurmloch in eine andere Galaxis reisen, dort drei Planeten auf Eignung für eine Kolonisierung prüfen und dabei einige monströse Wahrheiten sowohl über die Mission wie auch die Menschen lernen, Selbsterhaltungstrieb, Opferbereitschaft und Im-Stich-lassen erfahren.
Wo Stanley Kubrick seine Rätsel offen ließ, fügt Nolan jedes Mysterium und Detail zu einem großen Sinn-Ganzen zusammen, wofür er den Plot unterordnet und nicht immer Science, sondern oft reine Fiction nutzt, wenn auch unauffällig und außerdem verstärkt durch atemberaubende Bilder. Wenn er gegen das Erlöschen des Lichts rast, sind alle physikalischen Ungereimtheiten vergessen und ein endloses Staunen ergreift einen.
Ob Ambient-Stillleben vom Saturn, die Sphären-Architektur eines Wurmlochs, Big-Wave-Surfen auf einer Wasserwelt, ein bizarrer Gletscherplanet mit INCEPTION-Architektur oder die lodernden Ränder eines Schwarzen Lochs – die Entdeckungslust ist grenzenlos, ohne zur Spektakelsucht zu verkommen. Und sie ist lebensgefährlich. Die Realität der Relativität kostet in Stunden Jahrzehnte: Die Geschichte der eigenen Kinder im Schnelldurchlauf zu sehen, ist bestürzender als jeder Spezialeffekt.
In mehreren furios aufgezogenen Thrillersequenzen stellt sich der fesselnde Effekt ein, den der Meilenstein GRAVITY vergangenes Jahr erzeugte – das Gefühl, im Orbit sterben zu müssen und nur mit knapper Not mit dem Leben davonzukommen. Dafür braucht es einen Draufgänger-Piloten wie in DER STOFF AUS DEM DIE HELDEN SIND, was sich in einem Ausflug in die fünfte Dimension und ihren Tesserakten zu einer rührenden Geistergeschichte fügt.
In Kooperation mit zwei witzigen, wie wandelnde Getränkeautomaten designten KI-Robotern (nicht sie sind gefährlich, sondern einzig die egoistischen Menschen) gelingt ein mehr als ein Jahrhundert umspannendes Epos mit einigen Protagonisten, was doch ganz berückend darauf fokussiert, wie man Versprechen für Angehörige und seine Verwantwortung jene für künftige Generationen erfüllt, und was unabdingbar getan werden muss, wenn irgendwo im All ein einsames Mädchen auf dich wartet.
Erweiterte Fassung von Komm & Sieh
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Interstellar, USA/Großbritannien 2014 | Regie: Christopher Nolan, Buch: Jonathan Nolan, Christopher Nolan | Mit: Matthew McConaughey, Anne Hathaway, Jessica Chastain, u.a. | Laufzeit: 169 Minuten, Verleih: Warner (Kinostart: 06.11.2014).