Das Turing-Enigma dekodiert. Von Caroline Lin

Von Caroline Lin

Das nach DIE ENTDECKUNG DER UNENDLICHKEIT zweite Biopic eines Cambridge-Genies binnen kurzer Zeit hat die gleichen emotionalen Qualitäten wie das Porträt von Stephen Hawking, fügt im Falle des exzentrischen Mathematikers Alan Turing neben oscarwürdiger Schauspielexzellenz noch treffsicheren Humor, Thrillerspannung und die Tragik eines unbesungenen Helden hinzu, der wegen seiner Homosexualität in den Selbstmord getrieben wurde.

the.imitation.game.2014.cover Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs akquiriert der britische Geheimdienst den schwierigen, aber genialen Cambridge-Mathematiker Alan Turing. Er soll den als unlösbar geltenden Enigma-Code der Wehrmacht knacken und so die Versorgungskonvois auf dem Atlantik sichern helfen. Der arrogante Crack bringt das Team und die Vorgesetzten gegen sich auf. Nur die junge Kollegin Joan hält zu ihm und hat ein Herz für den Eigenbrötler.

Wo Michael Apted 2001 mit der unnötig verschachtelten Spionage-Romanze ENIGMA – DAS GEHEIMNIS noch müde herumkrebste, weiß der Norweger Morten Tyldum (HEADHUNTERS) in seinem internationalen Ersteinsatz mühelos mitzureißen, sowohl niveauvoll lustig mit köstlichen Dialogpointen, als auch hochspannend im Wettlauf gegen Zeit und Tod, gefühlvoll dramatisch und um persönliche Geheimnisse wissend.

Nach Andrew Hodges’ Buch „Alan Turing: The Enigma“ entspinnt sich eine konventionelle, aber hochklassige, jene Tage komplett entstaubende Charakterstudie rund um ein autistischen Genius (Benedict Cumberbatch aus der HOBBIT-Trilogie und INSIDE WIKILEAKS zeigt, wieso er einer der momentan Besten ist). Der kann alles dechiffrieren, die (nonverbale) menschliche Kommunikation bleibt ihm jedoch verschlossen.

„The Imitation Game“ lautet auch der Titel von Turings Aufsatz darüber, wie man Menschen von Maschinen unterscheiden kann – der Turing-Test, bekannt geworden durch BLADE RUNNER. Tyldum indes lässt keinen Zweifel daran, dass dieser Turing ein empfindsamer Mensch ist, aber so unorthodox, dreist und arrogant, dass ihn jeder hasst – außer der einzigen Frau im Team (sagenhaft: Keira Knightley, zuletzt in JACK RYAN: SHADOW RECRUIT), die selbst von ihren Kollegen in chauvinistischer Herablassung belächelt wird, diesen Zumutungen aber mit emanzipierter Lockerheit begegnet.

the.imitation.game.2014.still Sie hat den Charme, der ihm fehlt und sieht in ihm einen Seelenverwandten, was eine platonische Zuneigung mit traurigem Ende auslöst. Gemeinsam errichten sie den ersten Computer, ein ratternder Riesenrechner, genannt Christopher, nach Turings verstorbener Jugendliebe, vorgestellt in berührenden Rückblenden. Mit dem Bau dieser Universalmaschine rücken die prophetischen Träume eines Wissenschaftlers in den Vordergrund.

Unter den Augen eines MI6-Funktionärs (Mark Strong, ICH. DARF. NICHT. SCHLAFEN.) hilft ein „Heil bloody Hitler“ und der Zufall, dass Deutschland den Krieg verliert. Der Nationalsozialismus wird durch Kryptologen und Kreuzworträtsel besiegt – nicht als Erfolgs-Epos, sondern als Spionage- und Kriegsdrama im Bletchley Park, was eine sehr nachdenkliche Perspektive Krieg und Gewalt gegenüber einnimmt sowie einige Gewissheiten hinterfragt.

Tyldum überrascht fortwährend, vom einander Austricksen bis zum Gottspiel mit Statistik, die keinen Konvoi (und Bruder) rettet, aber den Krieg gewinnt. Bitterer Abschluss ist die Enttarnung von Turings Homosexualität und wie ihn Strafe und chemische Kastration in den Suizid treiben. Massenmörder Bomber-Harris erhielt für den Bombenkrieg Orden. Turing, der Millionen rettete, blieb 50 Jahre Staatsgeheimnis. Er wurde erst 2013 (!) begnadigt.

Erschienen auf Komm & Sieh

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The Imitation Game (The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben), Großbritannien/USA 2014 | Regie: Morten Tyldum, Buch: Graham Moore, Buchvorlage: Andrew Hodges | Mit: Benedict Cumberbatch, Keira Knightley, Matthew Goode, u.a. | Laufzeit: 114 Minuten, Verleih: SquareOne  (Kinostart: 22.01.2015).

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