“Auch wenn die fiktiven Namen und Orte den Anschein haben, dass diese Geschichte nur erfunden ist, so hat sie sich tatsächlich so zugetragen.”
Die Jugend von heute, anno 1975. Peter (Joe Dallesandro) und seine jugendlichen Freunde sind der Schrecken des römischen Alltags. Denn außer Flausen haben diese Kerle noch ganz anderes im Sinn: aus der Gosse stammend bedrohen, verprügeln, erpressen, bestehlen sie wen sie wollen. Doch Peter will mehr, er will das ganz große Ding drehen. Nicht so sehr für sich und ein besseres Leben, höchstens für sein Ego. Doch seine eigentliche Triebfeder ist der Hass auf die Gesellschaft, auf ein korruptes, den Menschen schleifendes System. In diesem Hass ist er mit seinem erbitterten Gegner, dem resignierenden Polizeikommissar Cotrone (Martin Balsam) auf Augenhöhe. Auch Cotrone hasst das System, das nicht durchgreift und sich von pubertären Kriminellen kaputt machen lässt. Als Peter und seine Bande auch vor Vergewaltigung und Mord nicht mehr zurückschrecken und eine Schneise aus Blut und Tränen hinterlassen, nimmt Cotrone das Gesetz schließlich in die eigene Hand – die “Zeit der Mörder” ist endgültig angebrochen.
“Zeit der Mörder” – so der Originaltitel dieses vibrierenden, pulsierenden Fanals gegen die Gleichgültigkeit. Denn wenn es ein Gefühl gibt, gegen das sich Marcello Andreis Meisterwerk vehement stemmt, dann ist es Gleichgültigkeit. Mit welcher Hingabe er diese Dokumentation einer unwiderruflichen Abwärtsspirale für alle Beteiligten entwickelt, lässt einen verbittert zurück und macht einen staunen. Bereits in den Credits flirrt das Bild vor glühender Hochspannung: Cotrone betritt einen Billardclub, überall gammelnde Jugendliche, in der Mitte Peter und sein breites, böses Grinsen. Keiner sagt ein Wort, alle warten ab – wer gibt sich die Blöße, wer macht den ‚ersten Zug‘. Cotrone fingert sich eine Zigarette aus der Tasche und richtet aus seinen trostlosen, kalten Augen den Blick auf Peter – fixiert ihn, wartet ab. Totenstille. Erst durch einen süßlichen, von Sammy Barbot mit Hingabe vorgetragenen “Here Comes The Sun”-Rip-Off aus der Musikbox löst sich die Spannung, Peter lässt ein Feuerzeug aufschnappen. Von solchen Szenerien gebiert der Film einige in der Länge seiner Laufzeit. Und immer wieder Martin Balsam, der im Grunde erst in Italien sein ganzen Schauspieltalent ausleben durfte und auch hier zeigt, wo für den Griesgram Weihnachten ist.
Joe Dallesandro ist voll auf Hass, seine Rolle kennt kein Federlesen – und er ist wie geschaffen für seinen Part, ein Ekel vor dem Herrn. Alle Charaktere haben sich mit ihrem Duktus, dass in einer verkommenen Welt nur der Stärkere überlebt, abgefunden. Einziger Ausdruck eines ‚guten Menschen‘ ist ein Pfarrer, in dessen Zeichnung der feine Mime Rossano Brazzi groß auftrumpfen kann. Hochwürden wird selbst zur Zielscheibe, doch mit christlich-erdiger Rhetorik gelingt ihm bei beiden Antihelden der Geschichte eine Predigt, die sowohl Peter als auch Cotrone bis in Mark geht – denn beide wissen, dass er im Grunde recht hat. Nur mit Nächstenliebe alleine ist dem Wahnsinn des Verbrechens jedoch nicht beizukommen; dass selbst die kirchlichen Instanzen des Pfarrer Ansinnen nicht zu schätzen wissen und ihn im Laufe der Handlung in die Wüste schicken, geht dem Zuschauer umso mehr zu Herzen.
Frauen – bei Marcello Andrei haben sie schlechte Karten. Denn Magali Noël und Cinzia Mambretti erhalten von Peter und der Männerwellt ausnahmslos Nackenschläge, wenn es nicht noch ärger zugeht. Leid tun können einem die beiden, denn sie tappen in die Falle, die das animalisch-brutale auf sie ausübt – ein Ausweg aus dieser Hölle ist nicht vorgesehen; beiden trinken den Leidenskelch bis zur bitteren Neige.
Subkultur präsentiert DIE WILDE MEUTE im Rahmen seiner Grindhouse Collection im Combo-Package als DVD und Blu-ray, wobei der Film auf hochauflösendem Medium als Weltpremiere veröffentlicht wird. Nunmehr liegt er ungekürzt – die ehedem nicht deutsch synchronisierten Parts mit deutschen Untertiteln – vor und in bester Bildqualität. Neben dem italienischen Originalton ist die deutsche Bearbeitung in gefilterter Fassung sowie separat abgespeichertem, unbearbeitetem Lichtton vorhanden. Als besondere Extras für Fans früherer Veröffentlichungen und speziell früherer Trägermedien hat das Label zwei kleine Schätze auf die Blu-ray gerettet. Einmal die deutsche Wiederaufführungs- bzw. Bahnhofskinofassung sowie die deutsche Videofassung des Filmes – stilecht mit Bildrauschen, Bandfehlern und natürlich vorangestellten Trailern, wie es einst bei VHS üblich war. Daneben sind der deutsche und italienische Kinotrailer an Bord, ebenso ein 32-seitiges Booklet. Darin enthalten ist ein ausführlicher und tiefgreifender Essay über den (italienischen) Jugendkriminalitätsfilm von Pelle Felsch & Christoph Draxtra, außerdem ein langes Interview, das Uwe Huber mit Hauptdarsteller Joe Dallesandro führte. Verpackt in einem schick anzusehenden O-Ring-Schuber ohne FSK-Kennzeichnung überrascht die Amaray noch mit einem alternativen, wunderschön gezeichneten Quercover. Schon allein daran kann man ermessen, wieviel Herzblut seitens der Macher in diesem Projekt, aber auch in anderen Projekten steckt.
Eingefasst von Alberto Verrecchias schmissigem Soundtrack und den Segnungen einer formidablen deutschen Synchronbearbeitung – die nicht nur mit wunderbaren Sprechern wie Wolfgang Condrus, Martin Hirthe oder Heinz Petruo aufwarten sondern an verbalen Derbtheiten auch noch einiges drauflegen darf – bleibt DIE WILDE MEUTE ein Faszinosum des italienischen Genrekinos. Vorgetragen im Kleid eines Polizeifilmes eine Tirade gegen die Gleichgültigkeit – kein Pfarrer hilft, Sirene gellt; es frisst der Hass alles, was sich ihm in den Weg stellt. Marcello Andrei auf der Höhe seines Könnens!
“Und auch wenn die Gewalt nicht erneut angeprangert werden muss, kann uns der Gedanke an ihre Anwesenheit vor der Gleichgültigkeit bewahren.”
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Il tempo degli assassini, I 1975, R: Marcello Andrei, D: Joe Dallesandro, Martin Balsam, Magali Noël, Rossano Brazzi, Guido Leontini, Cinzia Mambretti
Anbieter: Subkultur Entertainment