Dass es das heutzutage noch gibt: da spielt ein Film erkennbar im modernen Tokio unserer Zeit, streift genretechnisch in den ersten fünf Minuten schon Buddy-Movie und Coming-of-Age-Geschichte, um dann – untermalt von einem bombastisch aufbrandenden Filmscore – überzuleiten in einen poppig-bunten Vorspann mit Pfeilen und Ellipsen, wie er KILL BILL (2003/2004) nicht besser hätte stehen können! Das ist RAINING BLOOD, der neueste Streich von Regisseur Noboru Iguchi – und während wir das erleben, da haben wir den ganzen Streifen noch vor uns.
Naoto Tamura (Yûki Yamada) ist weit entfernt davon entfernt, ‚Everybody’s Darling‘ zu sein; aufgrund seines unkontrollierten Verhaltens ist er ein Außenseiter. Als er wieder einmal aus seiner Stellung fliegt – was er mit einem gekonnten Tritt in die edleren Teile seines Chefs quittiert – und Muttern die finanzielle Unterstützung einstellt, hadert er in seiner Ein-Zimmer-Bude mit dem Schicksal. Als ob das noch nicht genug wäre, meldet sich plötzlich ein anonymer Anrufer bei ihm und offeriert ihm nicht weniger, als dass Naotos Mutter sterben wird – es sein denn, Naoto gewinnt den „Triathlon des Todes“. Doch er ist nicht der einzige Mensch, dem dieser Parcours offensteht – ein gutes Dutzend Durchschnittsbürger tritt gegeneinander an. Unversehens stehen Naoto und seine Mitstreiter nicht nur den kryptischen Anweisungen des mysteriösen Erpressers gegenüber, sondern auch einer wildgewordenen Horde an ‚Killer Barbies‘. Die Spiele sind eröffnet, es darf ums nackte Leben gekämpft werden.
Hui, mag man nach den ersten Minuten des Filmes denken. Die japanischen Filme-macher, seit jeher keine Kinder von Traurigkeit, fahren hier mal wieder ordentlich Schlitten mit den Zuschauern. Die Idee, fußend auf einer Romanvorlage ein tödliches Spiel für Unbescholtene aufzuziehen, ist nicht neu. Doch selten wurde das im Genre des Funsplatter derart unverkrampft und mit Mut zum Trash serviert wie in RAINING BLOOD. BATTLE ROYALE (2000) trifft auf RUNNING MAN (1987) könnte man sagen, doch das alles so schwarzhumorig und grotesk überzeichnet, dass man sich schon fragt, wo hier denn der Kellner beim Drehbuchschreiben vergaß „Letzte Runde“ zu rufen.
Nicht mal vor der Verulkung eigener nationaler Eigenheiten schreckt das Werk zurück. Da erschießt ein Spielteilnehmer ‚aus Versehen‘ einen Mitkandidaten, legt sein bei MAD MAX (1980) abgekupfertes Zweirad beiseite und entschuldigt sich bei dem ums Leben gebrachten in vorbildlicher und formvollendeter Art und Weise. Dass es dem einen oder anderen Gorehound hier fast etwas zu wenig rottönig zur Sache geht, sollte niemanden abhalten. Denn „over the top“ ist das allemal, und wenn sich eine ehemals getriezte Ballettschülerin zweier Kettensägen bemächtigt und mit irrem Blick die Reihen lichtet, dann heißt es für den Konsumenten Augen zu und durch.
Vollends ins burleske gleitet dann die Musik von Yasuhiko Fukuda. Sein Score ist eine wilde Mischung aus den unterschiedlichsten Stilen, übertreibt maßlos, verstärkt Stimmungen derart überzogen, dass es einen amüsiert bis dorthinaus. Wenn sich manche Verfolgungsjagden auf Leben und Tod dank des Scores nach DIE NACKTE KANONE (1988) anhören, wenn sich letzte Worte von Sterbenden in brachialen Streicherklang hüllen, wenn das finale Duell auf der Aschenbahn wie ein patriotischer Roland-Emmerich-Film klingt – dann ist der Streifen im Olymp der schnelllebigen und doch handwerklich optimalen Unterhaltungsmaschinerie angekommen.
Da wir es mit einer aktuellen Produktion aus Fernost zu tun haben, kann das farbenprächtige Breitwandbild voll und ganz überzeugen und präsentiert sich knackscharf und ausgewogen. Beim Ton liegt der japanische Originaltrack vor, für den deutschen Release wurde eine Synchronisation aufgespielt, die durchaus zu gefallen weiß und mich in mancher Passage – warum auch immer – von Duktus und Vokabular an entschleunigte DAS-SÖLDNERKOMMANDO-Zeiten (1982) denken ließ. Dass die Tonspuren im besten Surround durch das Wohnzimmer schallen, erweist sich besonders für die formidable Musik als Glücksfall. Bei den Extras muss sich der Käufer allerdings in Genügsamkeit üben, denn außer einem deutschen Trailer ist auf der DVD kein weiterer filmbezogener Bonus abgespeichert. Sonstige Beifügungen bestehen lediglich aus Werbetrailern für andere Veröffentlichungen des Labels – ein netter Service, auch hier ist ein Wendecover obligat.
… und wenn ganz am Schluss ein süßlicher Popsong erklingt, der sich in anderem filmischen Kontext schon ohne Probleme aus jeder Hollywood-RomCom in die europäischen Hitparaden katapultiert hätte, und sich das Schicksal aller Beteiligten erfüllt hat, dann weiß man – 1½ nicht immer geschmackvolle, aber doch irgendwie unterhaltsame Stunden sind auch schon wieder vorbei. „Wir sehen uns in Tokio!“
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Raivu, JP 2014, R: Noboru Iguchi, D: Yûki Yamada, Ito Ohno, Yûki Morinaga, Asami, Mitsuki Koga, Yoshiyuki Morishita
Anbieter: Mad Dimension