Kein anderes Filmgenre steht so stellvertretend für die Vereinigten Staaten, für Amerika: der Western. Wo Männer noch Männer sind, wo das Gesetz des Stärkeren eine Tugend, ein Colt der beste Freund des Menschen ist. Das ist die neue Welt; hier bin ich, hier bleib ich. Oder vielmehr: hier war ich, hier starb ich. Denn auch kaum ein anderes Filmgenre wurde irgendwann so konsequent auseinandergenommen. Wurden aus ehrbaren Westmännern zunächst nur nachgerade ambivalente Sturköpfe – ZWÖLF UHR MITTAGS (1952) – oder wehklagten über das Ende der guten alten Zeit – SACRAMENTO (1962) – so dekonstruierten die Italiener mit ihren Spaghettiwestern eine Tradition. Hatten erst nur linkische Kaltblüter – FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR (1964) – das Sagen, so kamen ganz schnell die Psychopathen in die Stadt – DJANGO (1966) – oder es wurde gar gleich der Antiheld zum Protagonisten erklärt – LEICHEN PFLASTERN SEINEN WEG (1968). Als ob jedoch die Amerikaner unbedingt, und sei es auch nur über ihren eigenen Tod, die Deutungshoheit zurückgewinnen und den Western nicht nur noch in Fernsehserien verramscht sehen wollten, setzte ausgerechnet der Außenseiter Sam Peckinpah 1969 einen Schlussstrich unter das Genre. Mit THE WILD BUNCH – SIE KANNTEN KEIN GESETZ zerschoss ‚Bloody Sam‘ die alten Recken in ihre Einzelteile, ließ die Prärie sich vom Blute der verblassten Helden rot färben – jede Kugel traf, kein Schuss zu wenig. Auch wenn es keiner so richtig wahrhaben wollte, aber zum Thema Western war damit auf ernsthafte Weise alles gesagt – Geschichte geschrieben. Was nun Peckinpahs Nachfolgern blieb, war das Verfüllen von Rissen im Mauerwerk des filmischen Farmhauses; nach der Apotheose irgendwie weitermachen. Warum sollte man auch ein nach wie vor kassenträchtiges Feld unbestellt lassen. In diese Umbruchzeit fallen die beiden kürzlich bei Explosive Media auf Blu-ray und DVD erschienenen Spätwestern MONTE WALSH und REVENGERS – DER RÄCHER.
Mit welch unendlicher Wehmut und Melancholie der ehemalige Kameramann Bill Fraker sein Regiedebut MONTE WALSH zelebriert, ist bewundernswert. Lauter kleine Geschichten vom Ende der Cowboys werden wie an einer Perlenschnur aneinandergereiht, vom letzten gemeinsamen Essen über die sterbenden Freunde bis hin zur vergangenen, großen Liebe. Lee Marvin, der kompakte Kerl mit den immer schweren Bewegungen, dem keiner etwas zu sagen hat – dieser Mann, der zur Entstehungszeit von MONTE WALSH erst 45 war, jedoch ohne weiteres als Endsechziger durchging. Marvin lebt Monte, auch unterstützt durch seinen gleichsam gealterten Synchronsprecher Wolfgang Luckschy. Und Lee zu betrachten, beim zögerlichen Träumen von einem ‚Leben ohne Pferde‘, an seiner Seite die wechselhafte, göttliche Jeanne Moreau; das ist schon von besonderem Glanz. Jack Palance ist Chet, Montes bester Freund und Kumpel, ihn lotst es in den Hafen der Ehe, er tauscht das Pferd gegen eine Registrierkasse. Palance, der ehemaligen Preisboxer, dessen breites Grinsen seinen Schurken diabolische Züge verlieh, ist hier von großer Nähe und Wärme durchdrungen – wobei seine weißen Zähne immer noch verheißen, dass er weiß, wie der Wilde Westen funktioniert. Von Monte und seinen Mannen werden letzte Träume geträumt, letzte Wünsche sich erfüllt – so die Zeit es erlaubt, so das Leben es gestattet. Die modernen Zeiten lassen nicht auf sich warten und dass der ehrdurchdrungene Westmann langsam vom geldgierigen Banditen abgelöst werden wird, bleibt nicht obskur – der Siegeszug des Kapitals steht ins Haus. Hätte es noch eines Beweises bedurft, in welcher Übergangszeit der Film spielt und das Westerngenre per se damals steckte, so gemahnt die Filmmusik den Umbruch. John Barry, Bond-Komponist und Engländer, schenkt MONTE WALSH nicht nur sein auf’s erste Hinhören erkennbares ‚Actionscoring‘, sondern wird in seinen Melodien sofort zwingend: romantisch, schwerblütig, mit vielen gediegenen Streichern – ein echter Barry eben. Wenn am Schluss sich noch einmal der von Mama Cass gesungene Titelsong „The Good Times Are Coming“ erhebt, dann ist das zum Teil Selbstironie, zum Teil auch Hoffnung; oder auch einfach nur blanker Trotz.
Schon musikalisch ganz anders gestaltet sich (THE) REVENGERS, nur 2 Jahre später entstanden und anstelle von John Barry mit Pino Calvi im kompositorischen Sattel. Mit schneidener Big Band, Fuzz-Gitarre und einer jeden Beatclub zum Kochen bringenden Rhythmusgruppe werden nun ganz andere Saiten angeschlagen: so klingt der Italowestern á la Cinecittà. Man glaubt, gleich käme Sabata um die Ecke geritten um mit einem lockeren Spruch auf den Lippen seiner Gegner mittels Zimmerflak niederzumähen. Doch Regiealtmeister Daniel Mann hat anderes im Sinn. Mit Rückbezug auf THE WILD BUNCH – SIE KANNTEN KEIN GESETZ und einem gehörigen Schuss DIE GLORREICHEN SIEBEN (1960) übernimmt er in dieser amerikanisch-mexikanischen Kopro-duktion die Methoden früher Söldnerfilme wie DAS DRECKIGE DUTZEND (1967), tränkt sie mit einer ordentlichen Portion Eurowestern (VON MANN ZU MANN, 1967) und illustriert – zumindest im ersten Akt des Filmes – mit waschechter BONANZA-Optik (1959 – 1973). Was für ein Cocktail, Feuerwasser ist nichts dagegen. Es spricht für die alte These, dass der Handwerker in jedem Genre zuhause ist. Wenn man den Film in an UNSERE KLEINE FARM (1974 – 1983) gemahnender Weise beginnt und nach kurzer Zeit bruchlos die heile Welt des hochdekorierten Farmers Benedict (William Holden) bis auf die Grundfesten zerstört, dann ist die Bahn frei für ein Racheepos nach Peckinpah-Art. Benedict hat alles verloren: seine Frau, seine Kinder, seine Farm. Mit glühendem Hass bricht er alle Brücken hinter sich ab und verfolgt die Spur der Comancheros nach Mexiko. Doch gegen die Mörder seiner Liebsten muss er Hilfe haben – und so akquiriert er aus einem vermaledeiten mexikanischen Gefängnis gleich 6 stahlharte Männer, ein halbes dreckiges Dutzend. Gemeinsam sind sie die REVENGERS – und sie stellen die göttliche Gerechtigkeit mit den glühenden Läufen ihrer Colts wieder her.
Eine gloriose Mischung ist das schon, was uns hier präsentiert wird. Noch stärker als MONTE WALSH propagiert REVENGERS die Zeitenwende im filmischen Ranchertum. Die alten Ideale haben Bruch gemacht, in der kargen Felsenwüste Mexikos geht es nicht mehr um ‚Gut gegen Böse‘ – hier gilt nur noch ‚Wer zuerst schießt, hat das Recht bei sich und lebt vielleicht ein paar Tage länger‘. William Holden, der schon bei Peckinpah mit seinem alten Image aufgeräumt hatte, präsentiert sich in hoher Form. Flankiert von seinem deutsche Sprecher Holger Hagen geht er den alttestamentarischen Weg, wo-nach ‚Auge um Auge‘ Botschaft ist. Man sieht ihm die Strapaze an, der Hass muss raus. Seine ‚Jünger‘, von ihm aus einer korrupten und menschenvernichtenden Zuchthaushölle gerettet, haben ebenfalls fantastische Gesichter: Ernest Borgnine, ebenfalls einer aus der WILD BUNCH, mit der ihm eigenen Burschikosität und Skurrilität. Woody Strode, der asketische Muskelprotz mit der unbewegten und niemals auch nur lächelnden Mimik. Reinhard ‚René‘ Kolldehoff in seiner ersten Hollywoodverpflichtung als urwüchsiger ‚Kraut‘ mit Herz. Ein großartiges Ensemble wirkt und es ist beachtlich, dass man sogar einen Altstar wie die seit Jahren nicht mehr in Filmen zu sehende Susan Hayward noch einmal auf die Bühne bittet. Gleich so, als ob die alte Garde den jugendlichen Genrefilmern zeigen wollten, dass sie noch immer wissen, wo der Indianer am Ehesten zu erlegen ist. Dass niemand anderes über den eigenen Abgang entscheiden kann; nur jeder für sich selbst und mit erhobenem Haupt. Je länger die Jagd dauert, desto mehr entwickelt sich REVENGERS zu einer Charakterstudie über Gruppendynamik und das, was die Gewalt aus Menschen macht. Spätestens mit der Erscheinung Susan Haywards, die eine bravuröse Altersrolle abbekommt, kippt die Stimmung des Filmes – und jetzt wird so etwas sichtbar wie alte Tugenden des Westens, unter Geläuterten. Auch wenn der Film nicht die Durchdringung eines THE WILD BUNCH – SIE KANNTEN KEIN GESETZ erreicht – was in Anbetracht dieses Meisterwerkes auch vermessen wäre – so ist doch deutlich erkennbar, dass virile Filmschaffende mit Können auch aus totgerittenen Gäulen noch Beachtliches herausholen können.
Beide Filme erschienen parallel auf DVD und vorzugsweise Blu-ray in der jeweils unge-schnittenen US-Kinofassung – in der einzelne Passagen im Originalton mit Untertiteln vorhanden – und im originalen Cinemascope-Format, wobei sich zum defektfreien Transfers noch deutscher und englischer Ton gesellen. An Extras werden neben dem amerikanischen Kinotrailer (bei MONTE WALSH) noch umfangreiche Bildergalerien, Trailergalerien zu anderen Veröffentlichungen aus dem Stall von Explosive Media sowie ein 4-seitiges Booklet gereicht. Pappschuber und Wendecover verstehen sich beim Label von selbst.
Der Western hat viele Inkarnationen erlebt, gelungene und viele weniger gelungene. MONTE WALSH und REVENGERS erfinden das Rad nicht neu, aber sie gehören zu den besten Beispiele des Spätwesterns, als schon alles infrage stand. Mit Lee Marvin oder William Holden kann selbst das größte Greenhorn noch Schlachten schlagen; im Stehen und mit Würde untergehen – oder kämpfen und ehrenvoll siegen. „Sattelt die Pferde, Männer – es geht nach Westen!“
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Monte Walsh, USA 1970, Regie: William A. Fraker, Mit: Lee Marvin, Jeanne Moreau, Jack Palance, Mitchell Ryan, Jim Davis, G.D. Spradlin
Revengers, USA/Mexico 1972, Regie: Daniel Mann, Mit: William Holden, Ernest Borgnine, Woody Strode, Roger Hanin, Reinhard Kolldehoff, Susan Hayward
Anbieter: Explosive Media