Hayao Miyazakis letzter Film.

Ein – weiteres – Meisterwerk zum Schluss, dann tritt Nippons Animationslegende ab. Sein sehr persönlicher Schwanengesang wurde zum größten japanischen Kassenerfolg 2013 und war für den diesjährigen Animationsoscar nominiert (den dann aber DIE EISKÖNIGIN – VÖLLIG UNVERFROREN gewann, was nicht nur im direkten Vergleich einfach lächerlich ist). Ein schmerzlicher Abschied, denn Miyazaki zeigt sich in reifer Bestform.

Von Kind auf träumt der kurzsichtige Jirô vom Fliegen und beginnt im Vorkriegsjapan der 20er Jahre für ein Ingenieursbüro als innovativer Flugzeugkonstrukteur zu arbeiten. Er wird für die kaiserliche Armee das wichtigste Jagdflugzeug entwerfen und kaum Zeit für die kranke Naoko haben, die ihn innig liebt.

Miyazakis erste Regiearbeit seit dem Kindertrick PONYO von 2008 richtet sich wieder an Erwachsene. Im gewohnt handgezeichneten Stil wählt er erstmals einen historischen Stoff und reale Personen, in einer Hommage an Jirō Horikoshi (1903–1982), den Erbauer des Weltkriegs-Jagdflugzeugs Mitsubishi A5M sowie des Kamikaze-Bombers Zero. Gleichwohl ist der Lebenslauffilm hochgradig fiktionalisiert – und sehr eigentümlich.

Denn der Animationsaltmeister träumt wieder vom Fliegen, wie seit Mitte der 80er in NAUSICAÄ AUS DEM TAL DER WINDE und DAS SCHLOSS IM HIMMEL. Diese unbedingte Hingabe, die aus Träumen stammende Kraft der Imagination, die konzentrierte Kreativität, für die Jirô alles andere und seine Liebste vernachlässigt – all das wirkt autobiografisch für den Zeichner Miyazaki, der in vielerlei Hinsicht sein eigenes Leben reflektiert.

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Bei der Faszination für Propellerflieger gilt sein Interesse technischen Details, mehr noch aber der Ästhetik. In wilden, deutungsvollen Träumen begegnet Jirô dem italienischen Flugzeugbauer Giovanni „Gianni“ Caproni, der darin sein Spiritus Rector wird. Diese Bilder blitzen immer wieder in der Wirklichkeit auf, die Miyazaki aus einer sehr poetischen Perspektive schildert und Schönheit und Schrecken des Fliegens betrachtet.

Jirô mag Geschwindigkeitsrekorde brechen, die altmodisch anmutende Erzählweise nicht, die zwar durch die Jahre schreitet, aber ohne jede Rasanz. Gediegen-gemächlich entfaltet sich in kraftvoller Ruhe das Vorkriegsjapan, in dem zwar zeitgeschichtliche Ereignisse stattfinden, aber oft nur andeutungsweise. Große Gesten oder Moralisierungen bleiben aus, was auch irritiert, aber Miyazaki muss niemanden mehr etwas beweisen.

Im verheerenden Erbeben von 1923 und dem darauffolgenden Feuersturm von Tokio rettet der junge Jirô das Mädchen Naoko; sie werden sich erst viele Jahre später wiedersehen, wenn sie eine schwindsüchtige Schönheit ist. Diese Liebesgeschichte sucht nicht das Melodram, ist es aber um so mehr, schwerelos sentimental, eine Ode an das Leben, ganz im Sinne von Paul Valéry und dessen titelgebenden Gedicht „Der Friedhof am Meer“.

Es ist ein Tribut an den tuberkulosekranken Schriftsteller Tatsuo Hori, der 1937 die Novelle „Kaze tachinu“ über ein Liebespaar in einem Lungen-Sanatorium in den Bergen nahe Nagano schrieb (klar von Thomas Manns 1924 veröffentlichten „Der Zauberberg“ beeinflusst). Daraus schuf Miyazaki seinen gleichnamigen Manga, den er nun verfilmt hat. Und beruft sich zudem auf Horis Roman „Naoko“ von 1941.

All die unaufdringlich eingeflochtenen Referenzen umfassen neben Valéry auch die britische Dichterin Christina Rossetti („Who Has Seen the Wind“) und ein kurios-lebhaftes Zitat aus der deutschen UFA-Musicalkomödie DER KONGRESS TANZT – das Lied „Das gibt’s nur einmal“. Denn nicht nur die Armee interessiert sich brennende für Jirôs Talent, sondern auch Hitlers autoritäre Waffeningenieure, die noch arroganter ausfallen.

Die vollkommen undramatische Inszenierung hat nämlich eine leise und fast versteckte Antikriegsbotschaft, die in Japan unter Shinzō Abe nicht nur auf Gegenliebe stieß, auch wegen ihres ambivalenten Ausdrucks. Einerseits will der von Agenten ausspionierte Pazifist Jirô nichts mit dem Krieg zu tun haben und verwahrt sich gegen den Kataklysmus der Bomber. Er hat wunderbare Flieger konstruiert, aber keiner kam je zurück.

Auch stirbt beim Jungfernflug seine Frau, emotional luftabschnürend: „Unsere Träume verschluckt der Himmel.“ Japan brennt, aber andererseits klammert Miyazaki die Schuldfrage aus – man stelle sich das einmal in einem Biopic über Wernher von Braun vor. Poesie geht vor Politik in diesem berührenden Porträt eines missbrauchten Träumers, historisch viel tiefer reichend als DER MOHNBLUMENBERG von Miyazakis Sohn Goro.

Dies ist mit Valérys Gedichtzeile „Der Wind hebt an! … Man muss zu leben wagen!“ das Vermächtnis des wohl wichtigsten Animationsregisseurs unserer Zeit.

Erschienen auf Komm & Sieh

Kaze tachinu (aka The Wind Rises, Wie der Wind sich hebt)
Japan 2013
Regie/Buch/Comic: Hayao Miyazaki
Stimmen (US): Joseph Gordon-Levitt, John Krasinski, Emily Blunt, Werner Herzog, u.a.
Laufzeit: 126 Minuten, Verleih: Universum Film (Kinostart: 17.07.2014).

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