Von Martin Stulz
Es gibt kaum ein Genre, in das so viel hinein interpretiert worden ist wie in den Zombiefilm. NIGHT OF THE LIVING DEAD, Urknall des modernen Zombie-Films, musste als Metapher für den Vietnamkrieg herhalten, dann wieder als Statement zur amerikanischen Bürgerrechtsbewegung oder auch immer gerne als Kritik an Regierung und Medien und natürlich am American Way of Life generell. Dabei waren der Film und seine Monster weniger das Resultat von politischem Sendungsbewusstsein denn von budgetär bedingtem Pragmatismus und Zufällen. NIGHT OF THE LIVING DEAD ist schlussendlich ein Film über, na ja, Tote, die Lebendige fressen. Auf die versteckten Bedeutungen von NIGHT angesprochen, meinte George Romero denn auch nur „It was 1968, man. Everybody had a ‚message’“. Nichtsdestotrotz wurde der Symbolgehalt seiner Untoten vom Feuilleton so lange beschworen, bis ihn Romero selbst glaubte und seine späteren Zombiefilme auch prompt mit Holzhammer-Sozialkritik eigenhändig zu Tode prügelte.
Was das alles mit dem zu besprechenden Buch zu tun hat? Glücklicherweise nicht viel. Denn „Gehirn!“ von Damian Martinez ist eine erfrischend unprätentiöse Angelegenheit, was sich angesichts des durchschnittlichen Genre-Qualitätslevels als Segen entpuppt. „Gehirn!“ verspricht weder Analyse noch Kontextualisierung, sondern schlicht einen „Streifzug durch den Zombiefilm von 1932 bis 2018“. Und im Genre wie im Buch geht es dabei drunter und drüber. Ziemlich aus der Hüfte geschossen, werden an die 200 Filme beschrieben und Unbekümmertheit ist Programm. Dabei wird dann schon mal vergessen zu erwähnen, wo in einem Film überhaupt Zombies vorkommen (PLAN 9 FROM OUTER SPACE, NIGHT OF THE GHOULS, PLANET DER VAMPIRE). Und selbst über die Definition eines Zombies herrscht Unklarheit (ob beispielsweise die außerirdischen Doppelgänger aus INVASION OF THE BODY SNTACHERS als Zombies zu klassifizieren sind, ist zumindest diskutabel). Doch was soll’s. Das Buch lebt weder von Genauigkeit noch Interpretationswut und hat diesen Anspruch auch gar nicht. Hier schreibt schlicht und einfach ein Fan. Und das macht durchaus Spaß. Auf dem Umschlag blutet zwar ein auf eine Videokassette gemaltes Gehirn vor sich hin, aber es ist Herzblut, dass hier von den Seiten tropft. Und von dem braucht es ziemlich viel in einem Genre, in dem auf jeden DAWN OF THE DEAD fünfzig ZOMBEAVERs kommen.
Nicht erst seit SHAUN OF THE DEAD besteht ein Großteil des Genre-Outputs aus Selbstparodie. Oft absichtlich, aber noch öfter unabsichtlich. So chronologisiert das Buch auch auf amüsante Weise das Leid des durchschnittlichen Zombie-Fans, der sich wider besseren Wissens und schon fast zwanghaft immer wieder neuen unterirdischen Produktionen aussetzt, in der verzweifelten Hoffnung, dass sich BIGFOOT VS. ZOMBIES vielleicht eben doch als übersehenes Meisterwerk entpuppen könnte. Spätestens ab Kapitel 6 beginnt man Langeweile und Verzweiflung des Autors angesichts der immer idiotischer werdenden Filme schon fast körperlich zu spüren. Die Quittung für die ständigen Enttäuschungen sind hämische Kommentare. Ich musste beim Lesen jedenfalls ziemlich oft lachen. Und für alle Unentwegten wie mich gibt es auch das eine oder andere zu lernen: Es gibt einen Zombiefilm mit Steven Seagal! Und ein Workout Video mit Linnea Quigley, in dem sie den Untoten vor der Turnstunde erst mal die Leviten liest („You think that you can let yourself go just because you’re dead?“).
Doch genug geschnödet. For better or worse – aus irgendwelchen Gründen (und sei es oft nur Nostalgie), lieben wir einfach Zombies. Und was am Ende von „Gehirn!“ wirklich hängenbleibt, ist die Begeisterung für die Perlen, die dieses Genre eben auch hervorgebracht hat. Und die Hoffnung, doch ab und an wieder auf eine solche zu stoßen – vielleicht sogar mit Hilfe dieses kleinen, feinen Buchs.
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Damian Martinez: Gehirn!: Ein Streifzug durch den Zombiefilm von 1932 bis 2018 | Selfpublisher Verband, September 2018 | Umfang: 208 Seiten ISBN: 978-3-96344-000-7 Preis: 13.90 Euro, E-Book: 7.99 Euro