Der Rest ist Schreien.

Irgendwo in den verschlungenen Labyrinthen des Sony-Kolosses wacht ein wackerer Bürokrat über das Erbe der Verblichenen und prüft akribisch, ob die Größe der Buchstaben, mit denen die Schauspieler auf dem DVD-Cover präsentiert werden, auch wirklich den Verträgen entspricht, die man seinerzeit vor 60 Jahren mit den längst von uns gegangenen Mimen abgeschlossen hat. Man lächelt und gönnt es doch den großen Unsterblichen des Genres, die sich in THE BLACK SLEEP ein einziges Mal in dieser Konstellation versammelt haben. Tatsächlich ist das große ‚Stelldichein‘ klassischer Horror-Darsteller der wahre Reiz an diesem Film, der sich 1956 als spätexpressionistisches Schreckenskammerspiel zwischen Invasionen bizarrer Aliens und atomaren Mutationen wie ein Relikt aus einer anderen Epoche oder ein Grenzgänger zwischen den Zeiten ausmacht – die legendäre Blütephase des klassischen Horrorfilms in den 30er Jahren ein letztes Mal beschwörend und gleichzeitig zu jenem Gothic-Revival überleitend, das die folgenden Jahre bestimmen sollte und vor allem, aber nicht nur, durch die britischen Hammer-Studios in Gang gesetzt wurde. Das parallel in jenem England, in dem (der Hollywoodfilm) THE BLACK SLEEP spielt.

DrThosti_Poster Für Basil Rathbone, einst Star der Sherlock-Holmes-Filme und Erz-Bösewicht einer ganzen Palette bedeutender Klassiker (CAPTAIN BLOOD, MARK OF ZORRO, TALE OF TWO CITIES, ADVENTURES OF ROBIN HOOD und, und, und…) war es ein Comeback und während der nächsten zehn Jahre bereicherte Rathbone wieder einige Horrorfilme – vor allem aus dem Hause Corman/AIP – um eine nuancenreiche Darstellung. Lon Chaney, jr. befand sich in einer der tiefsten Phasen seiner Vita, geprägt offenbar von Alkoholkrankheit; in diesem Film hat er, wie in einigen anderen dieser Zeit, keinen Dialog, weil er sich keinen einzigen Satz mehr merken konnte. Auch Bela Lugosi muss leider stumm bleiben – für ihn war es der letzte Film seines Lebens, den er noch einmal mit einer berührenden Performance krönt. (PLAN 9 FROM OUTER SPACE erschien zwar erst später, aber das dort von Ed Wood verschnittene Material war schon zuvor für einen Film gedreht worden, der nie vollendet wurde.) Auch Tor Johnsons riesige, massige Gestalt und John Carradines spindeldürre sind einem vor allem durch Horrorfilme vertraut, wobei auch Johnson in erster Linie durch Ed-Wood-Filme in Erinnerung blieb, John Carradines unglaubliche, hunderte von Titeln umfassende Filmografie hingegen ebenso bedeutende Auftritte in manchen Meilensteinen wie John Fords STAGECOACH und THE GRAPES OF WRATH oder Nick Rays JOHNNY GUITAR beinhaltet.

Der ‚Mad Scientist‘ war in den 50er Jahren domestiziert worden, sprang nur noch etwa als witzige Buffo-Figur durch Monsterstreifen wie THEM!, ehe sich eine neue Generation an FRANKENSTEIN-Filmen etablierte. Basil Rathbones engagierter viktorianischer Neurochirurg Sir Joel Cadman darf noch aus dem Vollen schöpfen, operiert bevorzugt an lebenden Gehirnen, um eine Landkarte ihrer motorischen und sensorischen Zentren zu erstellen und der modernen Hirnforschung den Weg zu bereiten sowie eine Heilung für seine todkranke Frau zu finden – in der Abgeschiedenheit einer alten Abtei. Denn seine Arbeit erntet wenig ethisches Verständnis und zwingt den Forscher in die Geheimhaltung. Der junge Arzt Gordon Ramsay, den Cadman aus der Todeszelle holt, um ihn zu seinem Assistenten zu machen, ist zunächst sehr beeindruckt von dessen Genie, bis er die Kerker mit den Opfern der misslungenen Experimente sieht.

DrThosti_3 Sir Joel und Ramsay stehen in langer literarischer Tradition, weisen zurück zu „Frankenstein“ und „Die Insel des Dr. Moreau“, die ihrerseits das 20. Jahrhundert vorweggenommen haben, als ob sich im Konflikt des skrupellosen Forschers und seines gewissensgeplagten Kollegen so konträre reale Personen wie Mengele und Oppenheimer manifestierten, deren Namen in der Geschichte schon symbolisch für eine entgegengesetzte Haltung zur Ethik stehen. Und doch natürlich sind Cadman, Ramsay und ihre Opfer Genrefiguren, die durchaus bewusst – und seltsam unberührt von der realen jüngsten Geschichte des Jahrhunderts – auf 25 Jahre Kintopphorror zurückblicken – vieles ist mit Selbstironie serviert oder gewinnt diesen durch die hemmungslose, fast schon postmodern wirkende Überformung; vor allem Rathbone gibt seinem einsamen Gentlemanschlächter eine Ambivalenz und tiefe Melancholie, die das Drehbuch eigentlich gar nicht vorsieht. Dies ist zudem sicher der düsterste der vielen Filme des gebürtigen Österreichers Reginald Le Borg, dessen bekanntester Horrorfilm DIARY OF A MADMAN bis heute so langatmig wie pompös wirkt.

DrThosti_2 In Deutschland waren Gruselfilme unter dem NS-Regime verboten und den Zuschauern der Wirtschaftswunderzeit so seltsam fremd, dass man sie der deutschen Stummfilmtradition dämonischer Vorzeit, insbesondere dem offenbar noch vage bekannten Klassiker DAS CABINET DES DR. CALIGARI anzugliedern suchte. Deshalb haben verrückte Wissenschaftler (oder Künstler) hierzulande noch lange ihre Kabinette und Schreckenskammern, tragen zudem „italienisch“ klingende Namen, wurden Vincent Price rachsüchtiger Bildhauer in HOUSE OF WAX und Rathbones Sir Joel in den deutschen Fassungen zu „Professor Bondi“ und „Dr. Thosti“, gnadenlos auch in die Filme hinein synchronisiert. Das entwickelte bald sein eigenes Selbstläufertum. (Der Originaltitel THE BLACK SLEEP bezieht sich auf eine Droge, die Scheintod hervorruft und mit deren Hilfe Sir Joel den zum Tode verurteilten Ramsay aus dem Gefängnis befreien kann. Für die Wiederaufführung 1962 wurde der Film in DR. CADMAN’S SECRET umgetitelt.)

DrThosti_1 Eine Rarität, vor allem in der deutschen Fassung, die hierzulande nie im Fernsehen lief und wie manch andere von Anolis wiedergefunden, aus der Vergessenheit geborgen und für die Nachwelt restauriert wurde, und ein würdiger Abschluss für die vergangene „Galerie des Grauens“-Box. (Die nächste ist bereits in Vorbereitung.) Die Edition präsentiert den seltenen Film so liebevoll wie immer mit einer Fülle an Zusatzmaterial, u.a. einer unbearbeiteten Abtastung der deutschen Originalkopie, einer „Trailers from Hell“-Einführung von Joe Dante (der einmal mehr die makabre Anekdote wiedergibt, dass ein 9jähriger Junge in einer Vorführung vor Angst gestorben sein soll) sowie einem so kompetenten wie erhellenden Audiokommentar der geschätzten Experten Uwe Sommerlad, Rolf Giesen und Volker Kronz (sogar einen englischsprachigen Videokommentar gibt es für welche Zielgruppe auch immer). Eine wahre kleine Monster-Party mit durchaus dunkler Note.

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The Black Sleep | USA 1956 | Regie: Reginald Le Borg | Darsteller: Basil Rathbone, Akim Tamiroff, Herbert Rudley, Patricia Blake, Bela Lugosi, Lon Chaney jr., John Carradine, Tore Johnson, u.a.

Anbieter: Anolis Entertainment