März 1945, östlich von Stettin. Mitten im Rückzug der deutschen Wehrmacht, meldet sich eine ganze Schulklasse freiwillig an die Front – junge Pimpfe um die 15 Jahre alt. Ein paar ihrer Mütter schlagen sich bis an die umkämpften Linien durch, werden Zeuge des brutalen Irrsinns aus Heldentum, Kriegsrecht, Tod und Verelendung. Sie wollen ihre Söhne zurückholen. Doch zwischen dem General (Ewald Balser), der die verlässliche Ordnung über die Menschlichkeit stellt, und dem Hauptmann (Bernhard Wicki), der sein Gewissen im entscheidenden Moment höher achtet als den Befehl, verstehen die Mütter, was es heißt, jung, idealistisch und im Krieg zu sein. Während die russischen Truppen einen folgenreichen Großangriff starten, erfüllt sich für alle Beteiligten das Schicksal in dieser Geschichte aus dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte.
In vielerlei Hinsicht steht KINDER, MÜTTER UND EIN GENERAL exemplarisch für das bundesdeutsche Kino der 1950er Jahre. Denn neben vielen Heimatfilmen, Schlagerlustspielen und Naturmelodramen, formierte sich für einige Jahre so etwas wie eine kleine Welle der filmischen Bewältigung jüngster, deutscher Vergangenheit – die Dokumentation OFFENE WUNDE DEUTSCHER FILM (2016/2017) veranschaulicht diese Gemengelage recht gekonnt. Denn so radikal der kulturelle Bruch durch die nationalsozialistische Politik 1933 erfolgte, so wachsweich geriet der Neuanfang nach der Stunde null 1945. Logischerweise kam die Filmindustrie nicht umhin, nach dem Neubeginn auch mit Filmhandwerkern und -technikern weiterzuarbeiten, die der gleichgeschalteten UFA zu Diensten gewesen waren.
Brüche und Kontinuitäten allenthalben: Produzent Erich Pommer, dessen letzte Produktion und filmisches Vermächtnis KINDER, MÜTTER UND EIN GENERAL darstellte, war einst mächtiger Mann der UFA, allerdings von den Nazis mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt worden. Drehbuchautor Herbert Reinecker, dessen JUNGE ADLER (1944) reine Propaganda darstellte, hingegen hatte sich durchaus mit der Macht arrangiert, ehe er in den 1950er Jahren als Top-Drehbuchautor reüssierte. Reinecker, selbst also eine im Nachhinein ambivalente Künstlerpersönlichkeit, hatte nach seinem in der Zeitschrift QUICK veröffentlichten Roman ein Drehbuch geschrieben, dass einerseits versuchte, sich im erzählerischen Gewand an den Einzelschicksalen der Mütter abzuarbeiten und dies dramaturgisch gut ausgeleuchtet darzustellen. Andererseits konnte Reinecker – ob nun dem eigenen Wertesystem oder den damaligen Konventionen des empfindlichen Nachkriegspublikums geschuldet – nicht umhin, die eigentlich ideologischen Ursachen auszuklammern und den deutschen Landser im ehrhaften Soldatentum etwas aufzuhübschen, um die Kollektivschuld sozusagen etwas „wegzuschreiben“. Nicht von ungefähr hatte Reinecker auch CANARIS (1954) bereits ein entschärftes Image verpasst, dass aus heutiger Sicht gar etwas sinnentstellend wirkt.
Ungeachtet dessen kann niemand Reinecker seine schriftstellerischen Fähigkeiten absprechen, die auch KINDER, MÜTTER UND EIN GENERAL auszeichnen. In bester Brecht-Manier bilden die Mütter ein komprimiertes Abbild der Gesellschaft (Die Wirtschafterin – Die Ärztin – Die Pastorin – Die Näherin – Das idealistische Mädchen), wobei Therese Giehse – die sich einen Bundesfilmpreis erspielte – gegenüber den ebenfalls formidabel agierenden Hilde Krahl und Ursula Herking die ‚Mutter Courage‘-Rolle übernahm. Ähnlich heterogen erschien das Figurenkabinett auf Landserseite (Der Gefreite mit der Holzhand – Der desillusionierte Stabsarzt – Der Feldwebel mit dem Orden – Der Leutnant, der nicht mehr lacht – Der Soldat, der nicht mehr mitmacht), wobei es ein schauspielerisches Erlebnis ist, Klaus Kinski, Maximilian Schell und Hans Christian Blech in ihren Rollen zu bewundern. Der Haufen Kinder um die fünfzehn Jahre, die „bewusst“ nur die Führer-Doktrin mitbekommen hatten, kannten hingegen kein anderes Konzept, als die Parolen, Versprechungen und Opfermentalität des Nazi-Regimes. Kinder jener Volkssturm-Generation, die es in der Endphase des Zweiten Weltkriegs doch noch und oft mit voller Überzeugung an die Front, in den Schützengraben, ins Verrecken spülte. Sowohl Bernhard Wicki als auch Ewald Balser können mit Ihrer Rollengestaltung wirksame Akzente setzen. Dass ausgerechnet Wicki mit seinem Meisterwerk DIE BRÜCKE (1960) ein ähnliches Thema bearbeitete, jedoch entschieden zwingender und somit glaubhafter in Szene setzte, dürfte kein Zufall sein.
Die Regie von László Benedek zeigte sich dennoch souverän und erdig, wobei der Veteran aus Hollywood das Garutso-Plastorama-Verfahren mitbrachte, in dem er bereits seinen Marlon-Brando-Welterfolg THE WILD ONE (DER WILDE, USA 1953) gedreht hatte und dass sich durch seine konkurrenzlose Tiefenschärfe für einige Jahre als hochklassiger Standard etablierte. Günther Rittaus mitunter expressionistische Bildgestaltung genügt hohen Ansprüchen und lässt die beklemmende Atmosphäre der Kesselschlacht um ein gottverlassenes Dorf fühlbar werden. Werner Eisbrenner schließlich – ohnehin einer der herausragenden Filmkomponisten jener Jahre – interpolierte in seine mit Symphonieorchester vorgetragene, spätromantische Partitur die Volksweise „Im schönsten Wiesengrunde“ und setzte die Doppelgesichtigkeit der Situation in eine wehklagende Solomundharmonika sowie tieffrequente Streicher- und Blechblascluster um.
In Zeiten des wiedererstarkenden Nationalismus könnte KINDER, MÜTTER UND EIN GENERAL trotz seiner kleinen, den zeittypischen Gegebenheiten geschuldeten Makel, durchaus Schulstoff sein; als Hinweis darauf, wohin ideelle Verblendung und populistische Bestrebungen in letzter Konsequenz führen können. Denn es gibt schlussendlich weder den gerechten Krieg, noch den sauberen oder gar humanen Krieg. Denn jeder Krieg bringt Tod, Leid und Elend über alle, die an ihm beteiligt sind. Am Ende werden Kinder und Mütter und auch der General gemeinsam singen: „Sterb‘ ich – in Tales Grunde will ich begraben sein; singt mir zur letzten Stunde beim Abendschein: Dir mein stilles Tal, Gruß zum letzten Mal!“
KINDER, MÜTTER UND EIN GENERAL ist in sauberem, von vereinzelten Abnutzungserscheinungen gekennzeichnetem Schwarzweißvollbild auf DVD erschienen. Als Bonus ist neben dem für die Exportfassung des Filmes entstandenen, alternativen Ende, ein Nachdruck der zeitgenössischen, Illustrierten Film-Bühne enthalten.
___________________________________________________________________
Kinder, Mütter und ein General | Deutschland 1955 | Regie: László Benedek | Darsteller: Hilde Krahl, Ewald Balser, Therese Giehse, Bernhard Wicki, Klaus Kinski, Maximilian Schell u.a.
Anbieter: Pidax