Schon nach kurzer Filmlaufzeit merkt man FEUERTANZ an, dass hier mehr verhandelt werden soll als eine simple Gangstergeschichte; zu vielsagend fällt die gegeneinander gestellte Schilderung des rohen, grauen, neblig-trüben Vorstadtkosmos‘ Mailands mit dem sonnendurchfluteten, immergrünen und mondänen San Remo aus. Regisseur Carlo Lizzani lässt seinen Protagonisten durch halb Europa düsen und portraitiert doch eine allgemeingültige Geschichte über Menschen, Milieus und Charaktere – der FEUERTANZ kann beginnen.
Im Grunde laviert sich Juwelendieb Lutring (Robert Hoffmann) angenehm durchs Leben; raus aus den Mailänder Slums, hinein in die banknotenfressende Côte d’Azur. Doch dann lernt er die Nachtclubsängerin Yvonne (Lisa Gastoni) kennen und zwischen beiden entbrennt eine leidenschaftliche Beziehung, an deren Ende die Ehe steht. Doch nun werden die Raubzüge Lutrings immer haltloser, mit teuren Geschenken will er seine Frau beeindrucken, die sich doch nichts sehnlicher wünscht, als das er von seinem Treiben lassen möge. Als er bei einem spektakulären Einbruch von seinen Partnern über’s Ohr gehauen wird, seine Frau ihn vermeintlich an einen undurchsichtigen Polizeikommissar (Gian Maria Volontè) verkauft und auch noch Yvonnes Ex-Geliebter (Claudio Camaso) auftaucht, beginnt für Lutring eine Odyssee quer durch Europa. Ob in Mailand oder Paris – stets sind ihm Polizei und Gauner auf den Fersen. Für Lutring, den in die Enge gedrängten Jäger, ist es ein Kampf ums Überleben.
Mit dem Namen Luciano Lutring verband die italienische Öffentlichkeit anno dazumal das, was Amerika für John Dillinger empfand und die Briten für Ronald Biggs. Einerseits waren es landesweit gesuchte Verbrecher, die gefürchtet und gejagt wurden, andererseits lebte die Sensationspresse gut von den Schlagzeilen, die diese Männer produzierten. Viele Landsmänner sahen in ihnen fast so etwas wie Helden ihrer Klasse, die sich trauten den Großkopferten ein Loch in den Bauch zu hauen, große Teile der Damenwelt erachteten das Ganze als unglaublich romantisch und vergaben ihr Herz an die Kerle, die sich ständig auf der Flucht befanden. Aus dieser Gemengelage – das Verfahren gegen Lutring lief zum Zeitpunkt der Dreharbeiten noch – entwickelte Carlo Lizzani seinen FEUERTANZ, ein hochspannendes und zeitkritisches Stück Film – ein Gangsterepos, dass den Vergleich mit großen Werken nicht zu scheuen braucht.
Lizzani, Leitfigur des Neorealismus und für den Oscar nominierter Drehbuchschreiber bei Rossellinis DEUTSCHLAND IM JAHRE NULL (1946) oder Giuseppe De Santis‘ BITTERER REIS (1950), hatte sich als stramm links stehender Regisseur einen Namen mit dramatischen, systemkritischen und investigativen Werken gemacht, wie sie wohl nur in dieser Zeit entstehen konnten. Lizzani übernahm bei aller Spannungsdramaturgie auch in FEUERTANZ den Auftrag des Journalisten, der die Methoden von Unterwelt und Polizei anprangerte und das Einzelschicksal eines Menschen über den allgemeinen Konsens stellte. ‚Sein‘ Lutring, bravourös verkörpert vom Österreicher Robert Hoffmann, ist ein Getriebener, dem seine selbst verschuldete Illegalität über den Kopf wächst, der irgendwann keinen Weg zurück mehr sieht. Sein Frau, für deren anrührende Portraitierung die wunderbare Lisa Gastoni 1967 zurecht den renommierten Preis der italienischen Filmjournalisten Nastro d’Argento als beste Hauptdarstellerin erhielt, versucht ihn mit allen Mitteln aus diesem Sog freizuziehen und scheitert kläglich an den Strukturen der Gesellschaft, in der sich beide befinden. Dass sich die beiden darüber hinaus in Liebe & Hass unverbrüchlich zugetan sind, würzt den Handlungsablauf und macht aus FEUERTANZ außerdem die Geschichte einer großen Liebe. Der sinistre Gian Maria Volontè und sein jüngerer Bruder Claudio Camaso spielen in ihren Parts formidabel auf, stellen klar, warum beide im Genrefilm damaliger Zeit zu den Speerspitzen der Film-Arbeiterklasse gehörten.
Ist FEUERTANZ ein großes Drama, dann auch dank der Musik Ennio Morricones, der es zusammen mit seinem kongenialen Dirigenten Bruno Nicolai und der Gesangstruppe I Cantori Moderni di Alessandroni immer wieder schafft, sich durch seine Kompositionen im Stil eines Noir-Jazz ‚vor‘ das Bild zu schieben. Ob es die fluffigen Beatmusiken sind, seine breitflächigen Zwölftonreihen in den plärrenden Bläsersätzen oder das Rattern der Maschinengewehrgarben, die er gekonnt in seinen dunkel-druckvollen Score einbaut – Morricone beweist, warum er zu den großen Filmmusikern des 20. Jahrhunderts gehört. Der Soundtrack ist auf CD und in expandierter Form auf LP bei Dagored erschienen.
Mit vorliegender Kombo-Veröffentlichung feiert FEUERTANZ seine Deutschlandpremiere in unzensierter Originalfassung, wobei die 2k-Abtastung des italienischen Negativs den ganzen Stil und Effet der 1960er konserviert und detailreich-scharf transmittiert. Daneben kann man die rekonstruierte deutsche Kinofassung erleben, wobei alle Fassungen wahlweise mit den Synchronisationen aus der BRD (u.a. mit Klaus Kindler, Renate Küster und Horst Niendorf) und DDR (u.a. Joachim Siebenschuh, Helga Sasse und Franz Viehmann) vorliegen. Im Gespräch „Birth of a Star“ berichtet Hauptdarstellerin Lisa Gastoni über ihre Karriereanfänge, die Wichtigkeit von Regisseur Carlo Lizzani für ihr Leben und den ‚turnaround‘, den FEUERTANZ ihrer gesamten Filmlaufbahn verlieh. Hinter „Luck, Passion & Joy“ verbirgt sich ein Interview mit und Maskenbildner Giannetto de Rossi, der einer Filmfamilie entstammt und wehmütig der alten Zeiten der kreativen 1960er Jahre im italienischen Film gedenkt. Neben dem italienischen Kinotrailer und einer mit Musik unterlegten, umfangreichen Bildergalerie – die Aushangfotosatz, Werberatschlag und Pressematerial enthält – fasst die schmucke und auf 1000 Stück limitierte 3-Disc-Edition im Digipack neben deutscher Videofassung und rekonstruierter Schnittfassung der DEFA und auch noch ein sechzehnseitiges Booklet von Thorsten Hanisch, in dem er sich unter dem Titel „Schicke Kleidung, schnelle Autos, schöne Frauen – Die Akte Lutring“ den Hintergründen des Filmes widmet. Für die schmaleren Geldbeutel der Sammler hat das Label dankenswerterweise eine Vanilla-Blu-ray-Disc nachgeschoben – so dürfte jede Klientel mit der Veröffentlichungspolitik zufrieden sein.
Im Film singt Lisa Gastoni „Una Stanza Vuota“, die Melodie aus Morricones Feder kann den Zuhörer zum Weinen bringen. Denn FEUERTANZ ist großes Kino aus Italien; geschmackvoll in der Inszenierung, sauber in der Drehbuchgestaltung, herausragend in den Schauspielerleistungen. Carlo Lizzani hat einen Klassiker geschaffen, der auch Jahrzehnte später nichts von seiner Kraft eingebüßt hat. Er stammt aus einer Zeit, in der es in Italien nach Aufbruch roch, nach Veränderung, nach Neuanfang. Dieses Fluidum versprüht FEUERTANZ noch heute – hier es ist an der Zeit, mal wieder tief und kräftig durchzuatmen.
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Svegliati e uccidi | IT/F 1966 | Regie: Carlo Lizzani | Darsteller: Robert Hoffmann, Lisa Gastoni, Gian Maria Volontè, Claudio Camaso, Renato Niccolai, Ottavio Fanfani u.a.
Anbieter: Subkultur Entertainment