Als hätte das rührige Label den Fans nicht schon manchen Traum erfüllt, setzt Anolis mit der Reihe „Phantastische Filmklassiker“ eine weitere Wegmarke. Die Eröffnung des Kapitels „Die 60er“ bildete GEHEIMAGENT BARRETT GREIFT EIN (1965), den zweiten Eintrag markiert mit IM BANNE DES DR. MONSERRAT ein allgemein leider etwas in Vergessenheit geratener Horrorfilm aus den „Swinging Sixties“. Zu Unrecht vergessen, denn es handelt sich wohl um einen der modernsten und ungewöhnlichsten Thriller, die damals produziert wurden. Lassen wir uns entführen in die verwinkelten Straßen zwischen Kensington und Paddington – die Sprechstunde beim dämonischen Zauberer und seiner Frau hat gerade erst begonnen.
Prof. Monserrat (Boris Karloff) wohnt mit seiner Frau Estelle (Catherine Lacey) in einer schäbigen Wohnung im Londoner East End – doch im Geheimen hat der Hypnotiseur eine Apparatur entwickelt, mit der die beiden den Willen eines Menschen kontrollieren und seine Gefühle und Wahrnehmungen erleben können. Mike Roscoe (Ian Ogilvy), ein vom dauernden Partyleben mittlerweile gelangweilter Jugendlicher, gerät in die Fänge dieses Pärchens und wird auf ihren Befehl hin zum Einbrecher und Schläger – er selbst kann sich an seine Taten nicht erinnern. Doch unvermittelt geht Estelle ein Gedanke durch den Kopf: sie will Mike einen Menschen töten lassen, diese Erfahrung miterleben. Nicht nur, dass dadurch Mikes Freundinnen Nicole (Elizabeth Ercy) und Audrey (Susan George) in Lebensgefahr geraten, auch Prof. Monserrat begehrt nun gegen seine Frau auf – zwischen den Eheleuten entbrennt ein Kampf auf Leben und Tod.
Im Grunde stellt die Geschichte einen spähenden Futur-Blick dar. Denn die erfüllte Beschäftigung in der Zeit des Wartens auf den unausweichlichen Tod – um nichts anderes geht es jenem fast schon bemitleidenswerten Dr. Monserrat, den der unvergleichliche Boris Karloff in einer seiner letzten Rollen mit tiefen Falten im förmlich gegerbten Gesicht bemerkenswert portraitiert – ist die Triebfeder für seinen Forscherehrgeiz um die Maschine, mit der man die Realität eines Anderen für sich selbst erlebbar und erfahrbar machen kann. Nichts anderes ist es, wenn Menschen heutzutage alles und jeden fotografieren, Standorte posten, Erlebnisse in sozialen Netzwerken teilen. Einerseits, um ihnen sich selbst zu vergewissern, andererseits, um andere an ihrem Leben als „das Eigene“ teilhaben zu lassen. Doch Dr. Monserrat, der mit seinen Ideen doch nur alten, vom Lebensprozess mittlerweile abgekoppelten Menschen eine Erleichterung verschaffen möchte, steht seiner, von der giftigen und mit greisen-geifernd vorgetragener Härte ausgestatteten Catherine Lacey gespielten Frau gegenüber, bei der die Möglichkeiten seiner Erfindung Urinstinkte freisetzt, die allen Beteiligten zum Schaden werden.
Es ist somit auch ein Generationenkonflikt, den IM BANNE DES DR. MONSERRAT ausficht. Die Alten zeigen den Jungen noch mal, was eine Harke ist, lassen sie büßen für das Kaltgestellt sein, das sie der Beatnik-Generation vorwerfen, geben ihnen selbst zu spüren, wohin die Freiheiten der Swinging Sixties sie aus Sicht der Altvorderen zu bringen vermögen. Denn Kerls wie Ian Ogilvy symbolisieren den bereits früh abgelebten Tunichtgut, einen unkeuschen Lebemann, den die stimulierenden Reize der befreienden Zeiten bereits abgestumpft haben für das Wesentliche. Für diese Generation ist die Suche nach dem ‚Kick‘ mehr als bloßes Erreichen von Zufriedenheit, sondern nur noch jeweiliges Etappenziel auf der Reise ins immerwährende überreizt sein. Somit ist er ein dankbares Opfer für die Alten und für jedermann, der es vermeintlich gut mit einem meint. Er wird letztinstanzlich zu dem, was Karel Čapek als Roboter definierte, den er vollzieht die Aufgaben seines Auftraggebers, von der Lust bis zum Mord.
Drehbuchautor John Burke verhandelt so die großen Themen in einem kleinen Skript, Regisseur Michael Reeves – jener jung verstorbene Ausnahmeregisseur, der sich des Genrefilmes bediente um reinrassiges, anspruchsvolles Publikumskino zu fabrizieren – übersetzt die Inhalte in schmal budgetierte, doch umso wirkkräftigere Optiken. Düstere Wohnungen mit Stromzähler bergen marode Existenzen, poppige Tanzschuppen tragen als Tempel der kulturellen Revolution ihre Errungenschaften zu Markte. Währenddessen durchflirren horrorerotische Filmmusikklänge von Paul Ferris die britischen Schauplätze, begleiten den kauzigen Boris Karloff in fast Kurt Weill’esker Stummfilmmanier durch die Streets of London, lassen Orchestertechniken Melodien ahnen, die später auch Reeves‘ Opus Magnum DER HEXENJÄGER (1968) in den Olymp der Filmgeschichte heben halfen. Tony Daly schmettert derweil von „Your Love“, Lee Grant & The Capitols ergehen sich im „Sweet Nothing“ – Bowler ab zum Ge-Beat!
Für diese Veröffentlichung auf Blu-ray wurde in den Pinewood Studios eine hervorragende Abtastung des Filmes erstellt, der nun remastert im originalen Breitwandformat erhältlich ist und auch in den Tonspuren (deutsch & englisch) überzeugen kann. Opulent nehmen sich ebenfalls die Extras aus: im ersten Audiokommentar extemporiert sich das bewährte Gespann aus Dr. Rolf Giesen und Dr. Gerd Naumann hochunterhaltsam vom Hundertsten ins Tausendste, während im zweiten Audiokommentar die beiden Hammer-Fachleute Uwe Sommerlad und Volker Kronz sämtliche Hintergrundinfos zu IM BANNE DES DR. MONSERRAT preisgeben. Flankiert wird das Zusatzmaterial durch zwei erhellende Dokumentationen, die sich mit zwei tragischen Figuren hinter der Kamera befassen. Die fast anderthalbstündige und sehr bewegende Doku „The Magnificent Obsession of Michael Reeves“ referiert über das kurze, spannende und obsessive Leben des Regisseurs, in der auch Reeves‘ langjährigen Freunde und Filmkollegen Tom Baker und Ian Ogilvy zu Wort kommen. Der Film von Dima Ballin, dem Gründer des wohlbekannten Diabolique Magazine, ist mehr als eine reine Doku, sondern eine einzigartige Liebeserklärung an den zu früh verstorbenen Michael Reeves. Man kann den Aufwand nur erahnen, der hier betrieben wurde, um ein Charakterbild des letztendlich doch unglücklichen Künstlers zu formen. Diese Doku allein hätte bereits eine Blu-ray gerechtfertigt und es ist typisch für Anolis, dass sich ein solches Juwel als Extra in diesem Set befindet. Weiters findet sich mit „Paul Ferris, The Sorcerers Apprentice“ ein Feature über den Filmkomponisten, in dem sich Musikologe Dr. David Huckvale dezidiert mit den Ausdrucksmitteln des Scores auseinandersetzt – ein lohnenswertes Extra für alle Musikinteressierten, die sich auch nach Huckvales Einlassungen in den Boni zu DRACULAS RÜCKKEHR (1968) und DRACULA JAGT MINI-MÄDCHEN (1972) umsehen sollten. Geradezu selbstverständlich ist neben dem britischen und deutschen Kinotrailer, der alten deutschen Titelsequenz, deutschem Werberatschlag und Filmprogramm auch eine umfangreiche Bildergalerie, die einen in die große Zeit der Artworkkunst entführt. Abgerundet wird das in zwei verschiedenen Covervarianten erschienene Mediabook von einem sechsunddreißigseitigen Booklet, in dem neben Aushangfotos und Plakatabbildungen interessante Produktionsnotizen von Uwe Sommerlad und Lars Dreyer-Winkelmann enthalten sind.
In heutiger Zeit, in der viele Menschen – zum Teil unmerklich – die Kontrolle über das eigene Leben Algorithmen überantwortet haben, in der die Fremdbestimmung im schönen Kleid der digitalen Auswahlfreiheit immer stärker um sich greift, in dieser Zeit wirkt IM BANNE DES DR. MONSERRAT wie ein verschütteter ‚Time Tunnel‘, mit dem einst ein düsteres Bild der technisch revolutionierten Zukunft gezeigt wurde. Das parabelhafte scheint dem Film seit seiner Entstehung noch stärker zugewachsen, am Zahn der Zeit konnten sich Michael Reeves, Boris Karloff und all die anderen schadlos halten. Nicht schlecht für einen kleinen Film, mit dem Reeves einfach ’nur‘ Publikumskino machen wollte. Wie man in Amerika sagen würde: „He made it!“.
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The Sorcerers | GB 1967 | Regie: Michael Reeves | Drehbuch: Boris Karloff, Catherine Lacey, Elizabeth Ercy, Ian Ogilvy, Victor Henry, Susan George u.a.
Anbieter: Anolis Entertainment