Flucht vor dem Fluch: Innovations-Injektion fürs Horrorgenre.

Zwischen Horrordrama und -studie sowie dunklem Jugendthriller hat David Robert Mitchell seinen Zweitling nach dem Coming of Age THE MYTH OF THE AMERICAN SLEEPOVER angelegt, Komik und Poesie daraus aber in toxische Angst verwandelt. Der Disturbia-Vorstadtschrecken eines NIGHTMARE ON ELMSTREET trifft auf den puren Horror eines RINGU-Fluchs, der sich nicht per Ketten-Video, sondern Ketten-Sex verbreitet.

Ein vermeintlich harmloses Schäferstündchen mit der sympathischen Bekanntschaft Hugh endet für die 19-jährige Jay in blanken Entsetzen: Denn damit hat sich der sonst vorsichtige und verantwortungsbewusste Detroiter Vorort-Teen einen heimtückischen Dämon eingefangen, der sie fortan in wechselnden Gestalten verfolgt. Mit ihren Freunden versucht sie „Es“ aufzuhalten.

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Es ist die geniale Formgestaltung, wegen der Mitchells Innovations-Injektion qualitativ nahtlos an die beiden Klassiker anschließt. Nicht nur errichtet er eine Bedrohung so sorgfältig wie Ti West (THE HOUSE OF THE DEVIL), exklusive dessen Manier, sondern besitzt auch die rare Fähigkeit, Unbehagen und Unheimlichkeit in ungeheurem Maße zu verströmen – nicht humorlos, aber frei von Ironie, damit die Angst-Attacken wirken können.

Diese Schreckenserlebnisse sind denn auch so intensiv erfahrbar, als hielte einen eine akute Phobie unbarmherzig in ihrem Würgegriff. Was insbesondere dem begnadeten Synthie-Score zu verdanken ist, der in diesen Momenten ein alptraumhaftes Tosen entfacht, das tief in alle Poren dringt. Der sich aber sonst wunderbar variabel zeigt, den Carpenter-Puls, empfindsamen Ambient und 80ies-Retro bis ins Expressionistische beherrscht.

Abseits dessen beeindruckt die besonnen-besondere, den Moment findende, authentisch-elegante Methodik, die ganz anders mit dem umgeht, was sich andernorts stereotyp niederlässt: Diese Teenager sind keine aufgedrehten Kreisch-Kids oder High-School-Katalog-Models, sondern sensitive, melancholische Menschen aus Fleisch und Blut, die schweigen können – eine Jeunesse dorée in bisweilen lyrischer THE VIRGIN SUICIDES-Stimmung.

Und dann spielen Erwachsene quasi keinerlei Rolle. So sind bedacht agierende Jugendliche aufrichtig unter sich dargestellt, wodurch die Akteure rund um Jay (Maika Monroe, LABOR DAY) aufblühen, auch weil die unfassbare Chiller-Ruhe der Regie ihnen Charakter zugesteht. In unlackiert düsterer Finsternis umweht sie ein bedrohlicher Wind, das pastellene Chiaroscuro der Nachtbilder und Gemäuer ist gleichzeitig weich, warm und kalt.

In dieser nicht klaustro- sondern agoraphobischen, gänzlich eigenen irrealen Welt verlangsamt und minimiert Mitchell nun seine Geschichte von der jungen Jay, die ihren Fluch per Geschlechtsverkehr abkriegt. Der Horror kriecht so schleichend heran, wie die Grauengestalten, die nur das Opfer selbst sehen kann, stumm heranstaken. Anders als bei Hideo Nakata erforscht Mitchell dessen Herkunft nicht – man weiß nichts über das Phantom.

Was es besonders effektiv zur Metapher prädestiniert, nicht nur auf die aus der Erbmasse der Puritaner geborene Slasher-Sorge vor der (vorehelichen) Sexualität. Jay bräuchte nur mit jemanden schlafen, um „Es“ weiterzugeben, doch sie will eigentlich nicht. Der Verlauf gleicht dem Ansteckungsweg einer sexuellen Krankheit, ist aber keine muffige Warnung vor Promiskuität, sondern nähert sich sexuell Unausgesprochenem äußerst subtil.

Die (für alle reale) Gewalt des Nichts, des Dings, das vor nichts halt macht, entspricht der Essenz des Boogey Man, verdichtet in einem fiesen Film. Jays Los frappiert und entsetzt, weil Mitchell es so eindringlich schildert, mit einer grausamen Auflösung und einem Hallenbad-Ende, das fürwahr nervenzehrender als JAWS in Atem hält. Eine (Teenage-Angst-)Entität, die definitiv Genregeschichte schreiben wird.
Erschienen auf Komm & Sieh

It Follows, USA 2014 | Regie/Buch: David Robert Mitchell | Mit: Maika Monroe, Jake Weary, Olivia Luccardi, u.a. | Laufzeit: 100 Minuten, noch ohne deutschen Verleih.

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