Für immer und immer und immer!

Die wahrscheinlich schrecklichste Vorstellung in einer Geschichte von Stephen King enthält „Der Textcomputer der Götter“ („Word Processor of the Gods“): ein Mann „löscht“ mit der Delete-Taste seine Familie, die damit nie existierte, und ersetzt sie durch eine neue. 1983 erschienen, knüpft King deutlich an SHINING an: Auch Richard Hagstrom ist ein früherer Lehrer und erfolgloser Schriftsteller wie Jack Torrance. Stephen King war aber mit der Adaption von Stanley Kubrick nie zufrieden. Vielleicht weil die Figur des Jack Torrance im Roman autobiografisch angelegt ist und dessen böse Taten weitgehend durch das Wirken von Geistern erklärt werden. Gerade in der Corona-Pandemie ist SHINING (THE SHINING, 1980) heute ein hochaktueller Film. Er handelt von einer Familie in vollkommener Isolation, Leben und Arbeiten in einem Ausnahmezustand und er erkundet die Abgründe der deutschen wie der amerikanischen Geschichte.

Das erste Bild zeigt eine einsame Insel in einer Berglandschaft. Unterlegt von dem schaurigen Klagen des Dies Irae, wirkt schon dieser Moment wie der Eintritt in die Geisterwelt. Die fliegende Kamera begleitet daraufhin einen kleinen Volkswagen, der sich durch zerklüftete Straßen in den menschleeren Rocky Mountains windet. Die Natur scheint bedrohend und allmächtig. Jack Torrance (Jack Nicholson) fährt zu einem Vorstellungsgespräch – der Beginn einer sich anbahnenden Arbeitsbeziehung, für viele das Scheitern. Torrance ist ein früherer Lehrer, der aufgrund von Alkoholproblemen seine Stelle verloren hat und beabsichtigt ein Buch zu schreiben. Um hierfür Zeit zu finden, nimmt er eine Stelle als Hausmeister – eigentlich ist er deutlich überqualifiziert – in einem Hotel an, das über die Wintersaison geschlossen hat. Overlook heißt dieses Hotel und es ist auch ein Ort der vollständigen Überwachung und Kontrolle, wie sich noch im späteren Verlauf zeigen wird. Jacks Sohn Danny (Danny Lloyd) verfügt über das titelgebende Shining – ihm bleiben sogar Gedanken nicht verborgen. Kurz nachdem ihm sein imaginärer Freund Tony mitteilt, dass Jack die Stelle erhalten hat, erleidet Danny einen Ohnmachtsanfall. Er scheint sich eine der wenigen Möglichkeiten zu bedienen, die einem Kind zur Verfügung stehen, um sich einer drohenden Gefahr zu entziehen. Jacks Frau Wendy (Shelley Duvall) – die Familie lebt in einer sehr engen Wohnung – erzählt der herbeigerufenen Ärztin, dass Jack dem Kind einmal in einen Wutanfall den Arm gebrochen habe. Er hatte – auch hier wieder ein Bezug zum Berufsleben – beim Spielen wichtige Papiere beschädigt. Jack habe daraufhin Wendy geschworen, nicht mehr zu trinken.

Im Overlook beginnt Jack mit dem Schreiben und verhält sich zusehends aggressiver gegen seine Frau und sein Kind. Wütend fährt er Wendy an, dass sie seine Konzentration störe. Wie vieles andere hat Kubrick bewusst die Stelle aus dem Roman weggelassen, in der Jacks Vater als Geist erscheint und seinem Sohn mitteilt, er könnte ein berühmter Schriftsteller sein, wenn seine Familie nicht wäre. Jack spricht immer mehr davon, er würde am liebsten für immer in dem Hotel bleiben, es sei sein „Heim“ geworden. Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes geht häufig auch gesellschaftliches Ansehen verloren und im schlimmsten Fall auch die Wohnung. 1987 verkörperte Jack Nicholson mit der Darstellung des während der Weltwirtschaftskrise obdachlos gewordenen und mit Geistererscheinungen konfrontierten Francis Phelan in WOLFSMILCH (IRONWEED) eine ähnliche Rolle wie in SHINING.

Auch Danny leidet immer mehr unter der Situation, auch weil er eigentlich andere Kinder zum Spielen bräuchte. Tony, der „Junge in seinem Mund“, deutet daraufhin, dass es für Danny schon früher schwierig war, Freundschaften mit Gleichaltrigen zu schließen. Als Wendy Jack auffordern möchte, mit Danny zum Arzt zu gehen, entdeckt sie etliche Manuskriptseiten, auf denen nur der Satz „All work and no play makes Jack a dull boy“ geschrieben steht. Wenn man heute SHINING sieht, erscheint die Geschichte teilweise wie ein sarkastischer Kommentar zu den Corona-Maßnahmen: Während Kultur- und Freizeiteinrichtungen geschlossen sind, die Existenz vieler bedroht ist, kaum Kontakte möglich sind, wird der gesamte Produktionsprozess aufrecht erhalten, Homeoffice wird vielfach sogar verweigert und die Beschäftigten, die von zu Hause aus arbeiten, werden oft mit einer doppelten Vergesellschaftung ihrer Arbeitskraft konfrontiert: Zu dem Erfolgsdruck kommt die Betreuung der Kinder, die wiederum ihre Freunde nicht treffen dürfen, und manchmal auch der Vorwurf, sie würden weniger leisten als die Kollegen im Betrieb. Karl Marx schreibt über den entfremdeten Arbeiter: „Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen.“ Jacks Schreibmaschine wäre heute ein Computer, er selbst würde nicht mit Geistern kommunizieren, sondern gelegentlich mit völlig unbekannten Menschen und er würde seine Wohnung nicht mehr verlassen.

Wie schon Stephen King nimmt auch Kubrick Anleihen bei der Erzählung „Die Maske des Roten Todes“ („The Masque of the Red Death“) von Edgar Allan Poe, die während einer Pandemie beschreibt, wie sich eine Hofgesellschaft auf ein Schloss zurückgezogen hat. Immer wieder werden zudem zwei Fahrstühle gezeigt, aus denen Blutfontänen hervortreten. Diese Szene ist als symbolhafte Darstellung der Menschheitsverbrechen im 20. Jahrhundert interpretiert worden und auch andere Hinweise finden sich im Film: das Adler-Motiv auf Jacks Schreibmaschine ähnelt NS-Symbolik und Jacks fortwährendes Wiederholen, er habe einen Vertrag zu erfüllen, er habe Pflichten, deutet auf den „Kadavergehorsam“ gegenüber Autoritäten hin. Bereits ein früherer Hausmeister hatte seine beiden Töchter erschlagen und die Leichen „aufgestapelt“, wie der Hotelmanager Ullman (Barry Nelson) am Anfang des Films während des Vorstellungsgespräches überausführlich berichtet. Auch Jack will schließlich seine Frau und sein Kind töten, auch hier eine unheimliche Parallele in die Gegenwart, in der durch Isolation auch häusliche Gewalt zunimmt.

SHINING ist ein Film über die endlose Wiederkehr des Immergleichen. Dass Freiheit eingeschränkt oder völlig aufgegeben wird, um sich zu fügen und sich ohne es zu hinterfragen, Hierarchien unterzuordnen, dass gesellschaftliche Ungleichheit akzeptiert wird, weil sie angeblich naturgegeben ist, scheint in der Gegenwart immer noch oder sogar noch stärker verankert zu sein als in den Jahrhunderten davor. Auch nach Corona wird die Welt in vielerlei Hinsicht keine andere sein.

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Weiterführende Literatur:

Cocks, Geoffrey: The Wolf at the Door. Stanley Kubrick, History and the Holocaust. New York 2004.

Marx, Karl: Ökonomisch-philosophische Manuskripte. Hamburg 2005.

Schmidtke, Oliver und Frank Schröder: Familiales Scheitern: Eine familien- und kultursoziologische Analyse von Stanley Kubricks The Shining. Frankfurt am Main, New York 2012.