Zwischen Ekel und Witz.

Lars von Triers THE HOUSE THAT JACK BUILT (2018) ist einer der besten Filme der letzten Jahre; ein abstoßendes Erlebnis, ein aufwühlendes Kunstwerk, ein Abstieg in die Hölle. Bereits NYMPHOMANIAC VOL. I (2013) war ein filmisches Meisterstück, welches nicht zu übertreffen schien, doch fünf Jahre danach hat von Trier gezeigt, dass das möglich ist. Eine persönliche Betrachtung.

Erbarmungslos, geistreich, witzig

THE HOUSE THAT JACK BUILT ist eine zweieinhalbstündige Tour de Force in die Gedankenwelt des fiktiven Serienmörders Jack, der in den 1970er Jahren an der US-Westküste sein Unwesen treibt. Der Film erzählt Jacks blutige Lebensgeschichte anhand von philosophischen und humorvollen Einlagen. Und das ist es auch, was das Werk so außergewöhnlich, so einzigartig, so befremdend macht. Niemals zuvor hat ein Film dermaßen mit meinen Gefühlen gespielt. Bei NYMPHOMANIAC VOL. I habe ich gleichermaßen geweint und gelacht, aber bei THE HOUSE THAT JACK BUILT war das Lachen dominant – und das, obwohl ich gleichzeitig angewidert und angeekelt war. Ich hätte nie geahnt, dass ich einmal in Gelächter ausbrechen würde, während Kinder von einem Serienmörder kaltblütig erschossen werden … aber ich tat es, und, mein Gott, war mir das peinlich! Die anderen Menschen im Kino starrten mich damals an, als ob ich genauso gestört wäre wie der grausame Jack auf der Leinwand! Es war einfach nur unangenehm und bizarr … Was hatte von Trier mit mir gemacht?

Aber zurück zur Handlung: Jack, ein Serienmörder mit Zwangsneurose, beschreibt seiner imaginären Teufelsfigur Verge – eine Art metaphysischer Therapeut – fünf zufällig ausgewählte Morde über einen Zeitraum von zwölf Jahren. Alle diese fünf Sequenzen sind von von Trier perfekt in Szene gesetzt. Besonders der zweite „Vorfall“ ist in seiner Lächerlichkeit genial und kaum zu übertreffen. Es wird hier nicht weiter in die Details gegangen, aber am Ende der Sequenz fährt Jack mit seinem Wagen davon, die Leiche hängt am Kofferraum und der Kopf hinterlässt eine blutige Spur auf der Straße. Dies wirkt wie ein Akt grandioser Selbstsabotage, denn die Blut- und Fleischspur auf der Straße ist theoretisch für jedermann deutlich sichtbar, auch wenn die Szene in der Nacht stattfindet. Als Jack dann aber selbstsüffisant feststellt, dass der aufkommende Regen die Spur der Indizien, die er hinterlässt, wegspült, dann ist das einfach genial: ganz so, als ob jemand Größeres auf ihn aufpassen würde.

Im Laufe der Jahre wird Jack immer größenwahnsinniger und nennt sich schließlich selbst „Mr. Sophistication“. Von Trier spielt immer wieder David Bowies berühmten Song Fame, was eine groteske Atmosphäre und Dynamik erzeugt: Dieses großartige Stück Musik gemischt mit solchen Grausamkeiten? Der Zuschauer jedenfalls fühlt sich durch den rhythmischen Song irgendwie sehr wohl. Er sieht klar und deutlich, dass Jack Narzissmus in Reinkultur ist, aber er möchte insgeheim mehr von ihm. Der Zuschauer kann es kaum erwarten, Mr. Sophistication immer verrückter werden zu sehen!

Während Jacks Geschichte empfinden wir nie wirklich Empathie mit ihm – was gewollt ist, denn diese Abwesenheit von Empathie spiegelt Jacks eigene Abwesenheit von Empathie wider. Und auf diese Weise ist der Zuschauer genau wie er – ein erneuter Geniestreich und auch die Erklärung, warum die Morde zwar grausam anzusehen sind, aber nie wirklich Trauer oder Mitleid erwecken. Wir sehen und hören alles durch die Augen und Ohren von Jack – für ihn gibt es keine Gefühle, nur einen gewissen distanzierten Sinn für Humor, der Psychopathen eigen zu sein scheint.

Nun aber zum eher philosophischen Aspekt des Films. Indem von Trier den künstlerischen Ansatz von NYMPHOMANIAC auf eine andere Ebene hebt, versieht er Jacks fünf Morde mit Gedanken und Theorien zu oft überraschenden Themen: Architektur (Jacks ursprüngliche Obsession), klassische Kunst, das Gären von Weintrauben, dem Stuka-Sturzkampfbomber oder Goethe und Konzentrationslager. Jack rechtfertigt seine Taten mit „edlen“ Gedanken und betrachtet den Mord als Kunstform. Dieser innere Monolog wird zu einer Theorie der Kunst, zu einer Theorie einer alternativen Lebensweise. Die Anekdoten sind einfach zu pikant, um sie hier Preis zu geben. Aber es ist eben nicht nur ein Monolog, sondern auch ein Dialog, gerade wenn Verge Jacks Gedanken manchmal in Frage stellt. Das ist besonders interessant zu beobachten.

Die verrücktesten Momente im Film sind die, in denen Jack mit den von ihm getöteten Menschen Kunstwerke schafft. Er fotografiert die Leichen bizarr arrangiert oder erstellt makabre Inszenierungen. Das ist sehr, sehr seltsam anzuschauen. Im Übrigen: Der Titel des Films ist direkt inspiriert von dem britischen Gedicht „This is the House that Jack Built“ (1755). Dieses erzählt aber nicht wirklich von Jacks Haus oder gar von Jack selbst, der es gebaut hat, sondern zeigt, wie dieses Haus indirekt mit anderen Menschen und Ereignissen verbunden ist. Insgesamt gibt es zwölf „Begebenheiten“ und von Triers Film beschreibt eben genau einen Zeitraum von zwölf Jahren. Und darin sind die Begebenheiten wichtiger als der Bau des Hauses selbst.

Matt Dillons grandioses Schauspiel

Der Film wäre ohne Dillon nicht möglich gewesen. Er ist mehr als nur glaubwürdig in der Rolle des einsamen und emotionsleeren Mörders, der der ewigen Verdammnis entgegengeht. Dillon ist wie die Verkörperung selbst der Abwesenheit von Empathie. Er spielt unheimlich gut, immer zwischen brutal und urkomisch zugleich schwebend.

Es ist erwähnenswert, dass von Trier hier zum ersten Mal seit langer Zeit einen Mann als einzigen Hauptdarsteller hat. Nach Jahren der Darstellung von weiblichen Charakteren in Schwierigkeiten ist dies eine Wende für den dänischen Regisseur. Er verwendet Jack gar einmal als Sprachrohr, um die moderne weibliche Dominanz zu kritisieren: „Warum ist immer ein Mann schuld? Frauen sind immer Opfer. Männer sind immer Verbrecher.“

Dantes Abstieg in die Hölle

Das Ende des Films ist wie eine moderne Version von Dante Alighieri (Jack), der von Vergil (Verge) durch die Hölle in der „Göttlichen Komödie“ geführt wird: Jack wird von Verge vor der Polizei gerettet, und die beiden beginnen ihre Reise in die Unterwelt. Sie entdecken die verschiedenen Kreise der Hölle – aber Jack überlebt das Inferno nicht (im Gegensatz zu Dante in seiner „Göttlichen Komödie“).

Was bedeutet das? Dass schlechte Menschen in der Hölle landen? Zu einfach. Zunächst ist es logisch, dass der Film damit endet, dass Jack buchstäblich an den tiefsten Ort der Hölle gelangt. Für den Zuschauer war das Mitverfolgen des Lebens von Jack bereits die Hölle, aber nicht für ihn selbst als Serienmörder. Stattdessen ist die „wahre Hölle“, in die Jack fällt, die eigentliche Erlösung für den Zuschauer. Man kann es aber auch anders interpretieren: Jack muss immer weiter morden. Die Befriedigung durch einen Mord hält nur eine Zeit lang an. Danach ist er wieder im „Blutrausch“. Das ist seine wirkliche Schwäche, dass er in diesem unendlichen Kreis des Todes gefangen ist. Ein Kreis, in dem er für immer feststeckt – und das ist die Hölle. Das ist auch der Grund, warum er sein Haus nie fertiggestellt hat. Seine mörderische Natur hat alles zerstört, auch seinen Willen, das Haus zu bauen, von dem er geträumt hat. Das einzige Haus, das er am Ende baut, ist ein Haus mit all den Menschen, die er im Laufe der Jahre getötet hat – und selbst das kann er nur mit Hilfe von Verge.

Der Philosoph Arthur Schopenhauer hat einmal geschrieben: „Das Leben schwingt wie ein Pendel hin und her zwischen Schmerz und Langeweile.“ Dieser Satz trifft perfekt auf Jack zu.

Fazit

THE HOUSE THAT JACK BUILT zeigt Lars von Trier von seiner besten Seite. Es ist ein sadistisches Abtauchen in einen psychotischen inneren Monolog (oder Dialog, je nachdem), mit urkomischen Momenten und intellektuellen Abstechern über die Natur der Kunst. Der Film tut genau das, was Filme tun sollten: eine Reaktion, ein Gefühl beim Zuschauer hervorrufen! Ich kann garantieren, dass jeder sich unwohl fühlen und zweimal darüber nachdenken wird, was er hier gerade gesehen hat!

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The House That Jack Built | Dänemark/Deutschland/Frankreich/Schweden 2018 | Regie: Lars von Trier | Drehbuch: Lars von Trier | Kamera: Manuel Alberto Claro | Musik: Víctor Reyes | Darsteller: Matt Dillon, Bruno Ganz, Uma Thurman, Siobhan Fallon Hogan, Riley Keough, Jeremy Davies u.a. | Laufzeit: 155 Min.