Was Nordeuropa im Überfluss hat, sind Wälder. Von dem her passt das ja zusammen: Litauen und ein Cabin-in-the-Wood-Genrefilm. PENSIVE ist nun der erste litauische Slasherfilm – der sich zwar sehr an US-Vorbildern orientiert, aber keineswegs als Hundertmalgesehen daherkommt.
Nach der Abschlusszeremonie an der Schule wollen die Hochschülerinnen und -schüler eine richtige Party feiern. Und weil sich vorab niemand so richtig drum kümmerte, fällt die Wahl ausgerechnet auf Marius (Sarunas Rapolas Meliesius), der ein Häuschen im Wald organisieren konnte. Marius ist eigentlich ein seltsam apathischer Junge. Seine Eltern wissen nicht genau, was er einst beruflich werden soll, auch unter den Schülern scheint er der lustloseste. Nur auf die Klassenbeauty Brigita (Gabija Bargailaite) steht er, aber die scheint weit weg von seinen Möglichkeiten zu sein und ist ohnehin mit dem zukünftigen Basketballstar Rimas (Kipras Masidlauskas) liiert.
So richtig klar wird nicht, ob Marius den Weg zum Blockhaus kennt, in dem er auch selbst noch nie war. Die Weggabelung mit seltsam geschnitzten Figuren stiftet mehr Verwirrung als Klarheit. Trotzdem fahren die rund 30 Kids mit ihren 6 Autos an eine leere Hütte heran und beginnen zu feiern. Brigita wird – als Nonne verkleidet – zur DJane, einige suchen lauschige Plätzchen für Sex, irgendwer schnappt sich eine der seltsamen, undetailliert gefertigten Menschenskulpturen aus Holz zum Verfeuern. Dass das alles nicht besonders gut kommt, weiss jeder Genrefan.
In einer Sauna beginnt schließlich das Unheil. Sie lässt sich von innen nicht mehr öffnen. Dann beginnt Regisseur Jonas Trukanas’ Reigen des Abschlachtens, eine böse Gestalt ist im Dunkel unterwegs. Dabei kommt der Film genreüblich, aber nicht zu klischiert daher. PENSIVE ist ansprechend in leicht ungesättigten Farben gefilmt, macht großen Spaß und schafft dabei, ein psychologisch überraschend komplexes Beziehungsgeflecht aufzubauen. Marius’ bester Kumpel Vytas (Povilas Jatkevicius) bandelt mit der alternativen, coolen Saule (Saule Rasimaite) an (die präsdestiniert wäre, das „Final Girl“ des Films zu werden = die junge Frau, die alle anderen überlebt). Er pusht Marius dazu, mit Brigita mitzugehen und einige überraschende emotionale Wendungen geschehen, in denen sich – soviel sei gesagt – Marius als völlig unempathischer Junge herausstellt. Auch der Mörder hat ein Geheimnis – doch das alles zu verraten, wäre too much Spoiler. Jedenfalls sind „die Eulen nicht, was sie scheinen“, um ein altes TWIN PEAKS-Zitat über den Wald hervorzukramen. Und viele Aussagen im Film sind per se bereits mehrdeutig, weil das Genre es zulässt. Wenn die Schulrektorin mit dem Satz „There are hunters and prey“ aufs Leben vorbereitet, ist das noch aufgesetzt, doch der Satz: „Repeat: I’m fucking awesome“ geht dann ganz anders ab… der Film ist jedenfalls spaßig und sehenswert.
Ein, zwei Dinge noch: Trukanas meinte in einem Gespräch am Neuchâtel International Fantasy Film Festival, dass es für die Verbrennung der einen Person, die hier nicht verraten sei, kein Geld mehr gab. Wer also den Tod einer der Hauptpersonen vermisst: Es lag am Budget. Außerdem achte man darauf, wer wen an wichtiger Stelle „Father“ ruft. Und hey, der Schluss mit seinem guten Schuss Zynismus ist überaus gut.
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Rupintojelis, Litauen 2022 | Regie: Jonas Trukanas | Drehbuch: Titas Laucius, Jonas Trukanas | Kamera: Rokas Sydeikis | Musik: Andrius Kauklys | Darsteller: Sarunas Rapolas Meliesius, Gabija Bargailaite, Kipras Masidlauskas, Povilas Jatkevicius, Saule Rasimaite u.a. | 97 min.
Der Film lief am Neuchâtel International Fantasy Film Festival 2023