Ein Amerikaner in Istanbul.

Aus FROM RUSSIA WITH LOVE wird etwas behäbig FROM THE ORIENT WITH FURY – und auch sonst kann der erste 077-Agentenfilm nicht mit den frühen 007-Filmen mithalten. Doch so schlecht wie der langweilige deutsche Titel VOLLMACHT FÜR JACK CLIFTON (der wohl auf Bonds „Lizenz zum Töten“ Bezug nimmt) ist der Film auch wieder nicht. Im Gegenteil: Dieser frühe italienische Eurospy-Film ist der Auftakt einer Serie von drei Filmen, die mit jedem Film immer besser wurde. Agent 077 ist die Erfindung von Sergio Grieco, der unter dem Regie-Pseudonym Terence Hathaway die Fäden in der Hand hatte. Dank Elan und guten Koproduktionsverträgen zwischen Italien, Spanien und Frankreich konnte er die drei hochwertigen Spionagethriller im Bond-Stil an vielen aufregenden Locations in Europa abdrehen. Das Resultat sieht vermutlich viel glamouröser und besser aus als es das Budget, das zur Verfügung stand, zulassen würde. So gehören VOLLMACHT FÜR JACK CLIFTON, OPERATION BLOODY MARY und IM NETZ DER GOLDENEN SPINNE wohl zum Besten, was uns (vor allem) Italien an Bond-Rip-offs geschenkt hat.

Agent 077 ist CIA-Agent Jack Clifton, gespielt von Ken Clark (und deutsch synchronisiert von Connery-Sprecher Gerd Günther Hoffmann). Naja, eigentlich heißt der Agent Dick Malloy, lediglich in der deutschen Synchrofassung wurde der Superagent zu Jack Clifton umgetauft (vielleicht wollte man seiner geballten Bondschen Männlichkeit nicht auch noch den „Schwanz“ (Dick) im Namen gönnen). Allerdings ist Clifton nur in den ersten beiden Filmen Clifton. Im dritten Film, IM NETZ DER GOLDENEN SPINNE, von einem anderen Synchronstudio vertont, wird er nicht nur von einem neuen Synchronsprecher beehrt, sondern auch in „Dick Malloy“ zurück benannt. Und noch was zum Durcheinander: Der Spionagefilm JACK CLIFTON JAGT WOSTOCK III (1964) mit Hauptdarsteller Ken Clark ist vermutlich vor den 077-Filmen entstanden und kein Jack Clifton/Dick Malloy/077-Film, sondern gehört zur losen Serie von Francis-Coplan-Spionagefilmen.

Ein internationales Meeting in einem Luxushotel, eine Bombe geht in einem Zimmer hoch. Offenbar wurde Professor Franz Kurtz (Ennio Balbo) ermordet, eine Koryphäe in Sachen Betastrahlung, diese gefährliche ionisierende Strahlung, die bei radioaktivem Zerfall auftritt. Mit der Betastrahlung wird nicht nur ein in der Zeit moderner McGuffin eingeführt, also ein Vorwand, um eine Story zum Laufen zu bringen. Nein, die Betastrahlung wird am Ende auch verantwortlich sein, dass der Film ein paar Strahlenmomente lang ins SciFi-Genre hinüberwechselt, wenn nämlich gegen Ende des Films Menschen richtiggehend ihre Auflösung im Nichts erwartet. Zurück zum Anfang: Professor Kurtz wurde nicht ermordet, sondern entführt, natürlich um dazu gezwungen zu werden, diese hypermoderne, tödliche Waffe herzustellen.

Introducing Jack Clifton. Er wird sehr prollig bei einer Restaurantschlägerei eingeführt. Er prügelt sich gegen unzählige feindliche Gesellen und findet zwischen den Schlägen immer noch Zeit, die schockierte Blondine hinter dem Tresen zu küssen. Er haut sie alle um: Feinde wie Frauen. Man könnte auch sagen: Auf die eine oder andere Weise legt er sie alle flach. Nach der sportiven Balgerei wird er vom CIA-Chef Heston (Philippe Hersent) mit dem Job beauftragt, Kurtz zu finden und die Betastrahlenwaffe zu verhindern.

Nun beginnt eine filmische Reise nach besten Vorlagen nicht nur der ersten James-Bond-Filme, doch auch gut abgewandelt von Hitchcocks Meisterwerk NORTH BY NORTHWEST (DER UNISCHTBARE DRITTE, 1959). Die Szene etwa, in der Clifton von Gangstern verfolgt, in eine Auktion gerät und dann offensiv beginnt, mit zu bieten, ist praktisch identisch mit Cary Grants Auktionsszene. Clifton lernt dabei eine schöne Bieterin kennen und entkommt dank ihr. Aber Clifton ist kein unschuldig Verfolgter wie Hitchcocks Roger Thornhill (Cary Grant), sondern ein kluger Jäger und Gejagter. Quer durch Europa durch edle Villen, Casinos, versteckte Landhäuser, Bauchtanzclubs, Istanbuls Armenviertel. Mit Gadgets wie einem Auto mit eingebautem Maschinengewehr, einem Gürtel mit eingebauter Kamera und Schallplatten, auf denen Beethovens Fünfte durch mysteriöse Botschaften ersetzt wurde. Voller Geheimcodes, Verstecke, Gangster, Sterbender und jeder Menge Frauen mit verschiedenen Motivationen. Doppelagentinnen, Verführerinnen, abenteuerlustige Millionärinnen und nicht zuletzt die Tochter von Kurtz (Evi Marandi), die mit dem Sowjetkommunismus liebäugelt („Du hast immer für die Forschung gearbeitet, doch ich habe andere Ideale.“).

Vor allem beim weiblichen Geschlecht punktet Jack Clifton mit seinem entspannten Humor. Als die Millionärin Dolores Lopez (Mikaela) mit Clifton im Auto auf der Flucht ist, und ihn mit der Bemerkung „Ich weiß noch einen geheimen Ort, falls Sie heute Abend nicht mit einem Mord beschäftigt sind“ hochnimmt, antwortet er: „Nein, heute ist mein freier Abend.“ Und wir wissen, dass sie gleich die nassen Kleider ausziehen werden.

Kurz darauf stellt die Millionärin dann die Identitätsfrage „Wer bist du?“, und hier wird Grieco auch einmal hintergründig. Clifton antwortet: „Ich bin ein Mann in Gesellschaft einer schönen Frau.“ Er definiert sich über den Status einer Trophywife. Nicht als permanente Partnerin, sondern als permanente Aneinanderreihung von Trophäenfrauen, so, wie er Abenteuer, modernste Technologie und Konsumobjekte aneinandergereiht benutzt und verbraucht. Er kann die Identitätsfrage nicht anders beantworten als situativ, denn er setzt sich niemals mit sich selber auseinander. Er macht, was die Autorität CIA will, er hat keine Loyalitätsprobleme, weil die Welt und die Menschen einfach in Gut und Böse eingeteilt werden können.

Deshalb passen auch Serien so gut zu Spionagefilmen im Bond-Stil. Statt einem klaren Anfang und Ende geht es um die permanente Erneuerung von Bösewichtern, Frauen, Tech-Gadgets – der Kapitalismus nahm in den 1960er Jahren richtig Fahrt auf. Nun, trotzdem sind gewisse Cases irgendwann abgeschlossen: FROM THE ORIENT WITH FURY endet, soviel sei verraten, in der gleichen in die Felsen gebauten Supervilla, die bereits den Abschluss des Agentenfilms SOME GIRLS DO bereichert hat.

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Agente 077: Dall’oriente con furore, Italien / Spanien / Frankreich 1965| Regie: Sergio Grieco | Drehbuch: Sandro Continenza, Arpad DeRiso, Leonardo Martín, Giovanni Scolaro | Musik: Piero Piccioni | Darsteller: Ken Clark, Margaret Lee, Franco Ressel, Philippe Hersent, Fabienne Dali, Ennio Balbo, Evi Marandi, Mikaela, Fernando Sancho, Lorenzo Robledo| Laufzeit: 98 min.

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