Robert Eggers‘ Thema sind Wahnsysteme aus früheren Zeiten, die (wohl oder übel noch) einen Einfluss aufs Heute haben. Oder weshalb sonst sollten die uns interessieren?
Robert Eggers‘ neuer Film THE NORTHMAN ist ein mit großem Budget und großer Kelle angerührtes Epos. Der Wikinger Amleth (als Kind: Oscar Novak) beobachtet, wie sein Vater, der Wikingerkönig Aurvandil (Ethan Hawke), von dessen Halbbruder Fjölnir (Claes Bang) ermordet wurde. Fjölnir übernimmt daraufhin die Herrschaft. Zuvor noch hatte Aurvandil seinem Sohn die Herrschaft übertragen in einer kultischen Séance, in der beide als Wölfe durch eine religiöse Stätte tobten. Nach Papas Ermordung muss der Junge fliehen – und natürlich schwört er auf Rache. Als Amleth Jahre später als kräftiger Krieger (Alexander Skarsgard) im Land der Rus plündert, erfährt er, dass Fjölnir aus dem Königreich vertrieben wurde und nach Island flüchtete.
Wir sind ganz nah bei Amleth, als er auf einem Schiff „anheuert“, das Sklaven zu Fjölnir bringen soll. Unterwegs lernt er die Slawin Olga vom Birkenwald (Anya Taylor-Joy) kennen, mit der er später Zwillinge zeugen wird. Die Überfahrt ist hart, seine Zeit als Sklave bei Fjölnir (der ihn nicht erkennt) ist härter. Zusätzlich leidet Amleth darunter, dass Fjölnir inzwischen auch seine Mutter Gudrun (Nicole Kidman) zur Frau gemacht und mit ihr einen weiteren Sohn gezeugt hat.
Amleth ist derart ein Besessener und Eggers‘ Bilder sind derart kräftig, dass man sich streckenweise an den irrwitzigen Überlebenskampf von Di Caprio in Inarritus THE REVENANT erinnert fühlt. Nur, dass hier das Wahnsystem, in dem sich Amleth befindet, im Zentrum steht. Die Geschichte bezieht sich auf die altdänische Sage, die auch Shakespeare mit HAMLET in viel distinguierterer Weise bearbeitet hat. Bei Eggers werden wir in die „authentische“ Lebenswelt der Wikinger Ende des 9. Jahrhunderts katapultiert, umschwärmt von seltsamen Ritualen, Prophezeiungen von blinden Seherinnen (Björk), einer gutturalen Offstimme zu Beginn des Films, in der ein mystisches Schicksal angekündigt wird. Und dann: männliche Gewalt, die durch ein verengtes, psychotisches Moralsystem getriggert wird und offenbar nicht überwunden werden kann.
In den Spielfilmen des gehypten Regisseurs geht es darum: das Eingekerkertsein in einen Lebensentwurf. Amleth muss sich rächen, koste es, was es wolle, um sich seine finale Reise nach Walhalla zu verdienen. Die Idee der Männlichkeit wird zurückdekliniert auf einen animalischen Ursprung. Der Mann wird wieder zum Wolf, gefangen in der mörderischen Erfahrung der Rachsucht. Andere Möglichkeiten werden ausgeblendet, obwohl sie da sind. So stellt sich etwa heraus, dass Mutter Gudrun in Wahrheit Fjölnir liebte und ihn bat, Amleths Vater, einen notorischen Säufer und Ehebrecher, zu ermorden. Und wenn das nicht Grund genug wäre, den Lebensentwurf zu überdenken, dann doch eine bessere Zukunft mit Olga und den Zwillingen in Rus. Wie Fernando Ganzo in den „Cahiers du Cinema“ schreibt, versucht Amleth aber nicht, die alte Idee der Männlichkeit zu entkräften, im Gegensatz zu zwei anderen Mannsbildern in epischen Männerfilmen des Jahres, zu Paul Atreides in DUNE und zu Pattinsons Bruce Wayne in BATMAN.
Eggers‘ Blick auf Wahnsysteme verengt sich jedenfalls von Film zu Film auf einen kleineren Personenkreis. Während in THE WITCH im Neuengland der religiöse Irrsinn einer ganzen Familie ein System der Bezüge zwischen strenger Religion, Überlebenskampf, Sexverboten, satanischen Projektionen (der Ziegenbock „Schwarzer Philipp“, die Hexe) bildete und in THE LIGHTHOUSE zwei Männer in einem gigantischen leuchtenden Phallus (dem Leuchtturm) ihren aufgestauten Psychosen nicht entfliehen können, geht es in THE NORTHMAN nur noch um den einen Mann Amleth. Der Mann, der am Anfang der westlichen Zivilisation steht (der „Nordmann“), am Anfang Europas, am Anfang der Kolonisation, am Anfang der USA – und der statt Utopie und Visionen in (Selbst-)Zerstörung gefangen ist.
Leider leidet auch Eggers‘ Film ein wenig unter diesem Syndrom: THE NORTHMAN ist kein schlechter Film, aber doch etwas zu klaustrophobisch, zu eng, zu wenig Utopie – im Gegensatz zu seinen vorangegangenen Filmen.
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The Northman, USA / UK 2022 | Regie: Robert Eggers | Drehbuch: Sjön und Robert Eggers | Kamera: Jarin Blaschke | Musik: Robin Carolan, Sebastian Gainsborough | Darsteller: Alexander Skarsgard, Nicole Kidman, Anya Taylor-Joy, Claes Bang, Ethan Hawke, Oscar Novak, Willem Dafoe, Björk, Ralph Ineson u.a. | Laufzeit: 137 min.