Brazil in Warschau.

Schon zum 18. Mal fand diesen Juli das Neuchâtel International Fantastic Film Festival statt, das Filmfestival am Neuenburger See in der französischen Schweiz, das alljährlich Alpträume und Horror in die beschaulichen Gassen und Kinosäle des 33.000-Seelen-Städtchens trägt. Dass nicht ausschließlich Horrorfilme, Gewaltorgien und Martial Arts über die Leinwände flimmern, versteht sich dabei von selbst. Auch die Poesie findet ihr Publikum.

MagicBox_Poster THE MAN WITH THE MAGIC BOX wird als Retro-SciFi etikettiert und verströmt dieses sehnsüchtige Gefühl nach einer anderen Zeit auf überraschende Weise. Es ist ein Radioempfänger aus den fünfziger Jahren (die „Magic Box“), der im verelendeten Warschau des Jahres 2030 zu einer subversiven Apparatur avanciert. Auf den Straßen Abfall, Brücken zur Hälfte eingestürzt, Wohnungen wie im Zweiten Weltkrieg und der Staat überwacht alles – für den Großteil der Bevölkerung ist das Leben im Polen der Zukunft kein Vergnügen. Wer hier eine Anspielung an die aktuelle radikale Umgestaltung des polnischen Staates zum autoritären Staat sieht, dürfte nicht falsch liegen. In Polen wird die Story bestimmt (auch) so gelesen, zumal mit der geschichtlichen Verknüpfung zur Ära des Kommunismus und der kurzen Szene, in der Oberschichtsvertreter als gläubige Christen charakterisiert werden.

MagicBox_2 Allerdings funktioniert THE MAN WITH THE MAGIC BOX auch ohne politisches Wissen.
Selbst wenn in einer der ersten Szenen vor einem Wahrheitsausschuss Barry Sonnenfeld und MEN IN BLACK namentlich Erwähnung finden, schließt der Film in Stil und Absurdität doch eher an Terry Gilliams BRAZIL an. Adam (Piotr Polak) hat sein Gedächtnis verloren und erhält einen Job als Putzkraft in einem privaten/staatlichen Corporate-Gebäude. Auf der Rückseite seines Arbeitsoveralls prangt ein riesiger QR-Code, sein Arbeitskollege Bernhard wohnt in einem kleinen Zimmerchen im Building und alle Arbeiten und Regulierungen der beiden scheinen etwas seltsam. In der Wohnung indes, die Adam zugeteilt wurde, steht ein altes Radiogerät aus den Fünfzigern, dessen klingendes Programm aus derselben Zeit stammt: schmachtende polnische Torchsongs, die eine Sehnsucht nach der alten Zeit wecken und das Gerät zum subversiven Objekt machen.

Bald einmal wird Adam von Büromanagerin Goria (Olga Boladz) angesprochen, die – trotz ihres höheren Status – von ihm angezogen zu sein scheint. Im Gegensatz zu den Arbeits-Overalls von Adam gehört Goria einer Schicht an, die gewisse Freiheiten ausleben kann. In exaltierten Kleidern (schwarze Catsuits, Op-Art-Röcke) und forschem Vorgehen setzt sie einen vitalen Kontrapunkt zum scheuen Adam. Lediglich ihre Liebe zu beteuern fällt Goria nicht leicht. Schenkt Adam ihr eine Rose, bemerkt sie „My Grandma would call you a romantic.“ Sex ist einfacher. Ausgerechnet als neben dem Gebäude ein Hochhaus explodiert (ein Terroranschlag oder staatliche Angstmache à la 1984?), treiben es die beiden in einer leeren Büroetage, und Goria muss keinen sprachlichen Umweg über ihre Großmutter nehmen: „Thanks for the orgasm.“

MagicBox_4 Nach einigen Turbulenzen, einem Koma und Nachforschungen merken beide, was es mit der guten, alten Zeit im kommunistischen Polen auf sich hatte. Wenn das Radio „Lie down comfortably, relax, …“ sendet, verweist das auf Adams früheres Leben. Im Jahr 1952 hieß er Krzys und versuchte mit Alphathetawellen der Ach-so-guten-Zeit zu entkommen (das „Gudriev Experiment“ ist wohl eine Erfindung des Films). Polizeidienste zweier autoritärer Staaten machen nun Jagd auf die beiden Verliebten zwischen den Zeiten.

Regisseur Bodo Kox’ THE MAN WITH THE MAGIC BOX ist ein atmosphärischer Science- Fiction-Film, düster und skurril, ein Kammerspiel- BLADE RUNNER mit einer starken Prise Jean-Pierre Jeunet (DELICATESSEN). Es steht zu hoffen, dass auch im Polen der Zukunft solche Filme noch möglich sein werden.

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Człowiek z magicznym pudełkiem, Polen / Italien 2017 | Regie: Bodo Kox | Drehbuch: Bodo Kox, Paulina Krajnik | Kamera: Dominik Danilczyk | Darsteller: Piotr Polak, Agata Buzek, Arkadiusz Jakubik, Olga Boladz | 103min.