CRASH beginnt schon atemberaubend mit zwei völlig unterkühlten Sexszenen und einer ebensolchen Unterhaltung. Die beiden Eheleute Catherine und James Ballard (Deborah Unger, James Spader) leben in übersexualisiertem Ennui. Sie haben gemeinsam Sex, wie auch Sex mit anderen und sprechen in einem sanften, geradezu apathischen Flüsterton über ihre Eskapaden und ihre Unbefriedigtheit. Beide sind sie auf der Suche nach einer Erfüllung von noch intensiverer Körperlichkeit.
Als Filmproduzent James Ballards Auto nachts von der Strasse abkommt (er ist abgelenkt, weil er auf ein Storyboard schaut), er zum Geisterfahrer wird und einen anderen Wagen crasht, geschieht die Irritation. Die Frau, die den Unfall überlebt hat (Holly Hunter), entblösst ihre Brust, als sie aus dem Autowrack zu entkommen sucht. Aus der Irritation entsteht sofort eine Faszination der Unfallsituation: Als er die Frau, Dr. Remington, nicht nur im Spital, sondern später auf dem Autofriedhof wieder trifft, auf dem er sich noch einmal in sein zerstörtes Auto setzt (bevor er denselben Wagen neu kauft) und einen Blick auf die Nacktpolas von Frauenbekanntschaften auf der Ablage wirft, beginnen die beiden eine autofixierte, sexuelle Beziehung. Sex in Autos, gefährliche Fahrten und schließlich der Besuch bei einer illegalen Carcrash-Show, die Dr. Remingtons Bekannter Vaughan (Elias Koteas) organisiert hat: Vor ausgewähltem Publikum wird mit Stuntfahrern und Originalautos der Autounfall nachinszeniert, bei dem James Dean umgekommen ist. Mit echtem Blut und echten Verletzten.
Von der Polizei gejagt erreichen Dr. Remington und Ballard schließlich Vaughans Unterschlupf, in dem weitere Frauen und Männer sitzen, die sich daran aufgeilen, Szenen von Autocrashes anzuschauen. Ballard etwa masturbiert und wird masturbiert, nicht nur von Dr. Remington, sondern auch von Gabrielle (Rosanna Arquette), die mit ihrem Exoskelett an beiden Beinen und sexualisierten Kleidern die Faszination der maschinellen Erweiterung des Körpers symbolisiert. Vaughan macht Ballard mit seinem Traum vertraut, den tödlichen Zusammenstoss von Jayne Mansfield nachzustellen.
James Ballards Faszination für diese grenzüberschreitende Sexualität ins Anorganische, Metallene überträgt sich auf seine Frau Catherine, und was die beiden einzeln oder gemeinsam erleben, während sie immer tiefer in die Subkultur der Autocrash-Fetischisten eindringen und deren Faszination erliegen, gebiert einen filmischen, visuellen oder inhaltlichen Höhepunkt nach dem anderen. CRASH ist ein Film voller Höhepunkte. Die Erotik der Zerstörung und Verstümmelung, der (vaginal aussehenden) Narben, des Stahls, der halsbrecherischen Autofahrten fügt sich zu einem der faszinierendsten, vielschichtigsten und besten Filme von Meisterregisseur David Cronenberg. Seine Idee des «neuen Fleisches» erhält in der Verfilmung von J.G. Ballards Dystopie eine neue Wendung.
Im wunderbaren, neuen Blu-ray-/DVD-Mediabook von Turbine finden sich dazu nicht nur viele lange und kurze Interviews mit den Stars des Films und mit Cronenberg, sowie mit J.G. Ballard himself oder Komponist Howard Shore, der mit seiner entrückten, an Paranoiafilme der Sechziger anklingenden Musik genauso wie DoP Peter Suschitzky für den immer wieder traum-mässigen Appeal des Filmes verantwortlich zeigt. Die 4K-Abtastung basiert auf dem originalen Kamera-Negativ von Cronenberg/Suschitzky. Denn es geht ja auch um Kino: Nicht zuletzt ist CRASH auch ein Film über unsere Wahrnehmung des Entrückt-Perversen – nicht nur, weil wir vieles aus dem Verständnis der Hauptperson James, eines Filmproduzenten, sehen, sondern auch weil wir gewahr werden, wie selbst die Tode von Filmstars Vorbildfunktion erhalten, wie James, seine Pornolektüre («A fistful of bimbos») auf die Seite geschoben, nun lieber zu Autocrashes mit Toten ab VHS masturbiert (James Woods als Fernsehproduzent in VIDEODROME mit seinem Faible für «härteren Stoff» lässt grüssen) und wie in einer halluzinatorischen Szene Vaughan und Catherine nicht umhin kommen, an einem realen Autounfall inmitten der Sanitäter, Polizisten, Verletzten, Toten und vor allem Blechschäden noch ein paar Fotos zu schiessen.
Im Vordergrund steht natürlich eine andere Geschichte: Die Geschichte rund um die Erweiterung des menschlichen Körpers ins Maschinelle, des Lustgefühls, die Transzendenz, die sich in Körperlichkeit realisieren möchte. Dazu bietet nicht nur der Essay von Christoph N. Kellerbach in einem vierzigseitigen Booklet eine gute Einführung, sondern Stefan Jung erhellt uns die Zusammenhänge zwischen der Erotik von Unfällen im Film und den Theorien des poststrukturalistischen Denkers der Geschwindigkeit, Paul Virilio. Äusserst lesenswert. Während Auto-Fan Cronenberg CRASH als «anti-hedonistische Sicht auf Autos» bezeichnet (in einem ebenfalls beigefügten Podiumsgespräch mit Viggo Mortensen).
Das volle Package von Turbine wird abgerundet mit drei mehr oder minder verstörenden, unaufwendigen Kurzfilmen des Regisseurs, von denen sicher THE NEST der unheimlichste ist. Eine Frau spricht mit einem Schönheitschirurgen, statt mit einem Psychiater. Ihr Problem: sie denkt, dass in ihrer linken Brust Insekten nisten. Die müssen weg. Statt einer psychologischen wird der Schönheitschirurg eine «physische» Lösung für ihr Problem finden …
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Crash | Kanada / UK 1996 | Regie: David Cronenberg | Drehbuch: David Croneneberg | Musik: Howard Shore | Kamera: Peter Suschitzky | Darsteller: James Spader, Deborah Kara Unger, Holly Hunter, Elias Koteas, Rosanna Arquette u.a. | 100 min.
Anbieter: Turbine