„Ich bin hässlich.“
„Du bist perfekt“
Die vierzigjährige Tina (Eva Melnder, DIE BRÜCKE), die aufgrund eines Gendefekts ein sehr grobes Gesicht und eine plumpe Gestalt hat, arbeitet in einem schwedischen Fährhafen für den Zoll. Sie hat im wahrsten Sinne des Wortes einen Riecher für Schmuggler, denn sie kann Angst, Scham oder Wut riechen, so dass sie bei Durchsuchungen eine unerreicht hohe Trefferquote hat.Privat lebt sie zurückgezogen im Haus ihres inzwischen in einem Pflegeheim lebenden Vaters. Mit ihrem parasitären Mitbewohner, dem Hundetrainer Roland (Jörgen Thorsson, WALLANDER), verbindet sie eine platonische Beziehung, auch wenn sie gelegentlich seine sexuellen Avancen abwehren muss. Dass Tina von ihm eigentlich nur ausgenutzt wird, blendet sie bewusst aus.
Basierend auf einer Geschichte von John Ajvide Lindqvist, dem Autor von SO FINSTER DIE NACHT, liefert Regisseur Ali Abbasi (SHELLEY) hier eine ziemlich ungewöhnliche Mischung aus Nordic Noir, surrealer Romanze und hintergründigem Märchen, die ihre vielen Facetten erst nach und nach offenbart. Lindqvist Romane handeln oft von Außenseitern oder Personen, die nicht immer das sind, was sie zu sein scheinen und hinter deren Fassade sich allerhand überraschende Dinge verbergen.
Trotz einiger Schichten Latex gelingen insbesondere Eva Melander, aber auch Eero Milonoff wunderbar nuancierte Darstellungen dieser ungewöhnlichen Charaktere. Bemerkenswert, wie Melanders Spiel beim Zuschauer schnell Sympathien entstehen und das nach gängigen Maßstäben wenig ansprechende Aussehen ihrer Figur in den Hintergrund treten lässt. Die freizügigeren Sequenzen dürften beiden Darstellern auch einiges an Mut abgefordert haben.
Einen interessanten Effekt erzielt Regisseur Abbadi durch einfaches Weglassen. So wird Tinas Aussehen im ersten Drittel des Films nicht ein einziges Mal thematisiert. Weder wird sie darauf angesprochen, noch werfen die an ihr vorbeilaufenden Menschen ihr schräge Blicke zu – alles Dinge, die man als Zuschauer im normalen Leben erwarten würde und die durch ihr Weglassen zu einer eigenartigen Spannung führen.
Der in Schweden lebende Iraner Ali Abbasi hat hier einen exzentrischen, berührenden, seltsam menschlichen Film geliefert, der gespickt ist mit skurrilen Details und unerwarteten Wendungen. Dabei lassen sich die klugen sozialen Untertöne und die deutliche Sympathie für Außenseiter problemlos auf die aktuelle politische Weltlage übertragen. Sein größter Verdienst ist aber, eine potentiell derart lächerliche Geschichte so ernsthaft und gekonnt auf die Leinwand zu bringen, dass sich jeder Gedanke an die grundsätzliche Absurdität des Ganzen im Nu verflüchtigt.
Lange hat mich kein Film mehr so überrascht wie dieser.
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Gräns | Schweden 2018 | Regie: Ali Abbasi | Darsteller: Eva Melander, Eero Milonoff, Jörgen Thorsson, Sten Ljunggren, Ann Petren, Viktor Äkerblom, Rakel Wärmänder u.a.
Anbieter: Capelight