In den sechziger Jahren bildeten sich zwei Arten von Spionagefilmen heraus. Zum einen die James-Bond-Linie, in der ein Lebemann und Alleskönner gegen immer irrwitzigere Schurken und politische Intrigen antreten musste. Diese durchgeknallten Superhelden waren einer Zeit geschuldet, in der man die Gefahr des anderen Systems (Sowjetunion) längst nicht mehr so ernst nahm wie noch den Krieg der Nazis in den vierziger Jahren oder die Angst vor dem Kommunismus während der McCarthy-Hetzära. Die andere Linie war eine dezidierte Anti-Bond-Linie, in der Spione als gebrochene Charaktere dargestellt wurden. „Spione (…) sind ein übler Haufen nichtiger Narren, Verräter, Sadisten, Trunkenbolde.“ (Richard Burton in DER SPION, DER AUS DER KÄLTE KAM)
Martin Ritts Verfilmung des LeCarré-Romans ist dabei nicht das attraktivste Anti-Bond-Spymovie. Er braucht die Formensprache der Entfremdung späterer Spionagefilme noch nicht, sondern lehnt sich noch an die Spionagefilme der 1930er bis 1950er an – um dann inhaltlich umso stärker einen Bruch mit ihnen zu vollziehen. Dass der Film noch 1965 in Schwarzweiss gedreht wird, ist allerdings nicht nur eine Reverenz an alte Spionagefilme, sondern (durch die Lovestory und die Grenze) auch an CASABLANCA und vor allem an die Filme der Serie Noir, die den Anti-Bond-Filmen als Vorbild dienen würden. Von ihnen übernahmen DER SPION, DER AUS DER KÄLTE KAM und weitere Filme desselben oder verwandter Genres die persönliche Paranoia als Thema.
Trotzdem lernt er an seinem Arbeitsort, einer Bibliothek, die junge Kommunistin Nan Perry (Claire Bloom) lieben. In der Bibliothek sortieren sie Bücher gemeinsam – dass er gerade einen Roman unter Lykantropie (Verwandlung eines Menschen in einen Wolf) sortieren muss, ist natürlich kein Zufall. Die Metamorphose des Menschen in einen Spion, aber auch die Metamorphose des Menschen in einen Sozialfall. So benimmt er sich schließlich im kleinen Einkaufsladen daneben, als er betrunken den Ladenbesitzer niederschlägt. Am wenigsten klar wird, ob Nan ein Teil des Plans ist, denn im Prinzip spielt Leamas seine Rolle perfekt – zwischen Authentizität und Maskerade zu unterscheiden ist bei Burton/Leamas unmöglich. Genauso unmöglich wie bei den anderen Charakteren des Films. Leamas mit seinem Alkoholproblem schlägt den Ladenbesitzer nieder und muss ins Gefängnis.
Nach einem Aufenthalt in den Niederlanden, wo Leamas auf Herz und Nieren getestet wird, wird er in die DDR eingeschleust und lernt Fiedler (Oskar Werner) kennen, die Nummer 2 des DDR-Geheimdienstes nach Mundt. Fiedler ist jüdisch, Mundt war Hitlerjunge – aus dieser Situation heraus hetzt Leamas Fiedler gegen dessen Chef auf, indem er suggeriert, dass es sich beim Gegenspieler ‘Rolling Stone’ um Mundt handeln könnte. Fiedler ist die überraschendste Person des Films. Mit seinem schwarzen Rollkragenpullover, der ledernen Schiebermütze und Lederjacke steht Oskar Werner für einen neuen Spirit, für den Geist der Sechziger, und das ausgerechnet als kommunistischer Funktionär. Ein Existenzialist mit kommunistischen Ansichten kämpft gegen den Altnazi Mundt, auch ein DDR-Spion. Dazu (ausgerechnet) der Codename „Rolling Stone“, der an eine durchaus bekannte Sixties-Band der Zeit erinnert, die den Geist der Ära geradezu epochal repräsentierte (was 1965 schon einigermaßen absehbar war).
Was Paranoia im Spionagefilm bedeutet, kommt auf trockene Art in einer geheimen Gerichtsverhandlung in der DDR zum Tragen: Das Hin und Her von Aussagen und Gegenaussagen, schliesslich auch mit Nan als Zeugin, erzeugt kein Bild der Wahrheit. Wir können nicht einmal sicher sein, dass Leamas die wirkliche Wahrheit weiß und Nan sie erzählt – auch wenn wir davon ausgehen können, dass die schlimmstmögliche Wendung stimmt. Dass auch der britische Geheimdienst ein „Kill the jew“ beabsichtigte, um zu seinem Vorteil zu kommen.
Nan: „And Love?“
Leamas: „There’s ony one rule: Expediency.“ Berechnung. In einer undurchsichtigen Welt.
___________________________________________________________________
The spy who came in from the cold | Grossbritannien 1965 | Regie: Martin Ritt | Drehbuch: John Le Carré, Paul Dehn, Guy Trosper | Musik: Sol Kaplan | Darsteller: Richard Burton, Claire Bloom, Oskar Werner, Peter van Eyck, Sam Wanamaker u.a. | 112 min.