Von Sven Regenstein
„When I become death
Death is the seed from which I grow“
Am Sonnabend, den 9. August 1997 um 18:50 Uhr Ortszeit starb William Seward Burroughs in Lawrence, Kansas, USA im Lawrence Memorial Hospital an den Folgen eines Herzinfarktes. Er wurde 83 Jahre alt.
Burroughs war mit seinem literarischen Werk (vor allem „Naked Lunch“), aber mehr noch mit seinem Lebenswandel, seiner Persönlichkeit, dieser unglaublichen Stimme und vor allem dem Mythos Burroughs schließlich zu einer Ikone für die Punk- und Post-Punk-Bewegung der 80er und 90er und später einfach zu einer permanenten Erscheinung in der populären Kultur geworden (bis hin zum Nike-Werbespot). Die Figur Burroughs war präsenter als das Werk. Burroughs haftete stets die Aura des Revolutionärs an, des Feindes des Establishments. Das machte ihn, neben Menschen wie Timothy Leary oder Marshall McLuhan, für die Jugendbewegung der 60er Jahre zu einer Leitfigur.Obendrein hatte er seine Frau Joan Vollmer Adams bei einem Wilhelm Tell-Spiel versehentlich erschossen und mußte dafür in Mexiko ein Bußgeld berappen. Er sagte später, daß dieses Ereignis aus ihm erst einen ernsthaften Schreiber gemacht habe – Es brachte ihn in einen lebenslangen Kampf mit dem „Ugly Spirit“, aus dem er sich nur wieder „herausschreiben“ konnte. Und er hatte diese Stimme, was ihm später einige interessante musikalische Gastauftritte einbringen sollte. Dann waren da noch die Drogen. Ohne sie wären „Naked Lunch“ und die meisten Bücher nach „Queer“ und vor „Cities of the Red Night“ nicht das, was sie eben sind: geniale, sexuelle, sprunghafte, wirre Science Fiction-„Geschichten“.
Mit seinem Freund Brion Gysin hatte er 1959 die sogenannte Cut-up-Methode entdeckt. Die Technik der Montage wird dabei auf das Schreiben übertragen: Eigene oder fremde Texte werden zerschnitten oder gefaltet und in zufälliger Weise neu zusammengesetzt, so daß ein neuer Zusammenhang entsteht. Burroughs rechtfertigte diese literarische Methode mit der Wahrnehmung des Menschen, die auch und permanent einem Cut-up folge, d. h., alles von uns Wahrgenommene, wenn wir z. B. aus dem Fenster sehen oder eine Straße entlanggehen, sei gesteuert von zufälligen Faktoren. Außerdem stelle die Methode einen Versuch dar, das Unterbewußte in uns zutage zu bringen, das, von dem wir nicht wissen, daß wir es wissen. Die Roman-Trilogie bestehend aus „The Soft Machine“, „The Ticket that exploded“ und „Nova Express“ ist weitgehend mit Hilfe dieser Methode entstanden und auf Burroughs‘ CD „Break through in grey Room“ gibt es einige Experimente zu hören, für die er und Gysin die Methode auf Tonbandaufnahmen angewandt haben. (Unter http://www.bigtable.com gibt es eine online-Cut-up-Maschine für Texte.)
Mit Antony Balch machte er von 1962 bis 1965 einige experimentelle Kurzfilme, die u. a. die Cut-up-Technik auch auf den Film übertrugen.
1968 hatte Burroughs eine kurze Affaire mit Scientology, bei der er sogar ein sogenannter „Clear“ wurde, sich aber später wieder von der Organisation lossagte und zahlreiche gegen Scientology gerichtete Artikel veröffentlichte.
Allen Ginsberg, Burroughs‘ Freund und neben Kerouac der wichtigste der Autoren, die sich in den 50er Jahren selbst die „Beat“-Generation nannten, starb bereits im April diesen Jahres. Ginsberg war es, der Burroughs erst zum Schreiben ermutigte.
Neben all dem, was Burroughs‘ eigenem künstlerischen Output entsprang, (Bücher, Bilder, CDs, Filme) gab es auch den Prominenten William S. Burroughs. Der trat in Filmen von Klaus Maeck (DECODER, 1984), Jacob Burckard (IT DON’T PAY TO BE AN HONEST CITIZEN, 1984) und Gus van Sant (DRUGSTORY COWBOY, 1991) auf. Mit letzterem nahm er im gleichen Jahr auch die Single „The Elvis of Letters“ auf, die klarmachte, wie viel Sampling und Scratching mit Cut-up zu tun haben.
In den 80er und 90ern war Burroughs eigentlich mehr auf CD als gedruckt präsent. Neben einigen reinen Spoken Word-Alben („Nothing here now but Recordings“, 1985; „Breakthrough in grey Rooms“, 1986; „The Doctor is on the Market“, 1986), gab es auch einige recht originelle Varianten und Kooperationen:Auf „Dead City Radio“ wird Burroughs‘ Stimme hauptsächlich von orchestraler Musik begleitet, was hervorragend funktioniert und schließlich in einer Cover-Version von „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ gipfelt.1992 spricht Burroughs auf dem Stück „Just one Fix“ der amerikanischen Band Ministry, in deren Œuvre sich ohnehin noch mehr verwandte Spielarten finden.1993 schrammelt Kurt Cobain zu Burroughs‘ wunderschöner Weihnachtsgeschichte „The Priest they called him“ aus Exterminator! Und im gleichen Jahr macht Burroughs mit der Hip Hop-Kapelle The Disposable Heroes Of Hiphoprisy das Album „Spare Ass Annie“. Burroughs spricht hier zum Groove der Band und leider seltener umgekehrt. In der Tat: Was Burroughs auf jeden Fall mit der Hip Hop-Bewegung gemein hat, ist die explizite Sprache. 1997, noch kurz vor seinem Tod, diente Burroughs den narzistischen U2 als Aushängeschild für ihr Video „Last Night on Earth“. Unerwähnt soll auch nicht seine Zusammenarbeit mit Robert Wilson an dessen Theaterstück „The Black Rider“ am Hamburger Thalia Theater bleiben, zu dem Tom Waits die Musik komponierte. 1991 drehte David Cronenberg seine Version von „Naked Lunch“, dem Buch, das Burroughs in den 50er Jahren in Tanger, Marokko weitgehend unter Drogeneinfluß geschrieben hatte, das (1959 in Paris veröffentlicht) drei Jahre Kampf in den USA verursachte, bis es nach einem Gerichtsverfahren wegen Obszönität 1962 endlich doch dort veröffentlicht werden durfte. Dem Buch, das keiner vordergründigen narrativen Form folgt, abrupte Sprünge und einen Stil vereint, der einem permanent aufgezeichneten Gedankenfluß zu folgen scheint. Cronenbergs Version verwob Motive aus dem Buch mit Teilen von Burroughs‘ Leben und schaffte so mehr noch als eine Roman-Verfilmung eine intensive Personenbeschreibung.
In den letzten Jahren hat Burroughs sich auf seinem Ruhesitz in Lawrence, Kansas weitgehend mit der Malerei beschäftigt. Mit seiner sogenannten „Shotgun Art“ brachte er das Element des Zufalls auch in dieses Medium: Ein Bild entsteht durch Schießen auf die vor einer Leinwand aufgebauten Farbtöpfe. Seine drei letzten, wichtigen Bücher, „The Cities of the Red Night“, „The Place of Dead Roads“ und „The Western Lands“ folgten wieder einem moderaten Stil (wie einst „Junkie“ und das1953 geschriebene, aber erst 1985 veröffentlichte „Queer“), fernab von Cut-ups und Drogenexperimenten.
„The old writer couldn’t write anymore, because he had reached the end of words, the end of what can be done with words. And then?“ – The Western Lands
Zuerst veröffentlicht in Splatting Image #31, September 1997.
(Photo: Christina Rutz, CC BY 2.0), (Illustration: Christiaan Tonnis, CC BY-SA 2.0)