Was die GINGER SNAPS-Trilogie als Girl-Splatterdrama ausführt, webt der Däne Jonas Arnby, Requisiteur bei Lars von Trier, als filigranes Coming of Age, dessen feminine Sicht auf die Lykanthropie als Aufbegehren gegen patriarchale Repression unter dem spürbaren Stileinfluss von SO FINSTER DIE NACHT steht. Sensibel und kunstvoll entwickelt Debütant Arnby ein berauschend-kühles Psychohorrordrama, das nicht nur Allegorie bleibt.
Sondern nach genügend Ausgrenzungen und Anfeindungen der männlichen Dorfgemeinschaft einen Ausbruch nach CARRIE-Art zeitigt und in eine Mordnacht auf einem Trawler im Meer mündet. Das fällt bedingt blutig aus, erhebt sich aber weit über Genrepulp durch die grandios eigenständige Erzähldiktion, die moderne Fotokunst-Ästhetik mit bedrohlicher Musik zu sinnlicher Poesie und zart-berührender Schwermut vereint.
Die 16-jährige Marie lebt in einem Fischerdorf auf einer entlegenen Insel im Norden Dänemarks bei ihrem repressiven Vater. Liebevoll pflegt sie ihre gelähmte Mutter und beginnt in der Fischindustrie zu arbeiten, wo ihr Ablehnung entgegenschlägt. Menschen verschwinden – und Marie verändert sich.
Die Patenschaft von Tomas Alfredsons sechs Jahre altem Arthaus-Hit muss man als Motivation auffassen, atmosphärisch dicke Scheiben aus schroffen Sandküsten, dunklem Wasser und grauem Himmel zu schneiden. Den rauen Natur-Pastoralen steht der Handkamerastil der Interieurs gegenüber, was die Low-Key-Linse in Dämmerung und Unschärfe so variabel wie die Regie einfängt, die interessanter als in WER ausfällt.
Gefühle – und davon gibt es nicht wenige – artikulieren sich grandios nur über Bild und Ton, in einem Crescendo von Ambient- und anderen Klängen wie ein Rausch unterschwelliger Emotionen, zärtlich-diskret und nie zudringlich. Der langsame Rhythmus kündet von den Gefahren der Pubertät, der sexuellen Reife einer jungen Frau, die Angst vor ihrem Körper hat, dem allmählich ein Fell wächst und der ihre Aggressionen auslebt.
Diese werden von körperlich übergriffigen Männern unterdrückt, die sie sexuell erniedrigen, mit Medikamenten hemmen oder wie ihr Vater (Mads Mikkelsons Bruder Lars) verstecken wollen. So gerät Marie (prima Newcomerin: Sonia Suhl) ganz nach ihrer stummen Mutter, mit der sie nicht nur innige Zuneigung verbindet, sondern auch eine nie näher erläuterte degenerative Krankheit, die nun auch bei ihr ausbricht.
Suhl gehört der Film – als spröde, schlaksige Schönheit. Reifung und Ausbruch der scheu-stillen, asketisch-transparenten Frau aus den Fesseln des Vaters und Dorfes gipfeln in Jagdszenen eines feindseligen Lynchmobs, der sie durch die Nacht hetzt. Aus weiblicher Perspektive zeichnet Arnby nach, wie diese sehnige Spartanerin Selbstbestimmung erlangt, bei Sexualität und Verführung, mit einer Beischlaf-Reminiszenz an DAS TIER.
Das erinnert auch an Arnbys berühmten Landsmann Carl Theodor Dreyer und seine Frauenporträts, zwar nie so reduziert, aber vom protestantischen Geist der Beklemmung her (ohne es beim Wort zu nennen): Marie gleicht einer Pastorentochter, die gegen ihren protektiven, strengen Vater aufbegehrt. Der Ethereal-Score kündigt indes eine unsentimentale, aber tiefromantische Auflösung an, mindestens so schön wie bei Alfredson.
Erschienen auf Komm & Sieh
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Når dyrene drømmer, Dänemark 2014 | Regie: Jonas Alexander Arnby, Buch: Rasmus Birch | Mit: Sonia Suhl, Lars Mikkelsen, Jakob Oftebro, u.a. | Laufzeit: 84 Minuten, Verleih: Prokino (Kinostart: 21.08.2014).