Heiße Körper, kaltes Blut…

Jahrzehnte mussten vergehen, bisweilen fast ein halbes Jahrhundert, bis zur schrittweisen Entdeckung eines wenig erforschten Territoriums der europäischen Filmgeschichte. Während sich die Jüngsten unserer Generation in den Höhepunkten der letzten Disney-Blüte oder den ersten Vertretern des japanischen Monsterfilms zum Staunen bringen ließen, schlichen sich ein paar Häuser weiter ältere Herren in Trenchcoats in einschlägig beleumundete Lichtspielhäuser: Was in den sprichwörtlichen Bahnhofskinos lief, gehörte einer Schattenwelt an, die noch weit abseits von Edgar Wallace oder Jerry Cotton lag – der frühe SExploitation-Thriller kam als Mimikry-Produkt populärer Agenten- und Kriminalfilme zur Welt, bediente vertraute narrative Muster mit der Nonchalance bewusster Austauschbarkeit, um sie mit schönen Frauen und ihren Vorzügen im Nimbus der Anrüchigkeit und Verderbnis zu veredeln. Mitunter entstanden dabei bemerkenswerte Schätzchen.

Erwin C. Dietrich wollte mit SCHWARZER MARKT DER LIEBE (1966), seinem ersten großen Kinoerfolg neben ST. PAULI ZWISCHEN TAG UND NACHT, gezielt den deutschen Edgar-Wallace-Filmen etwas entgegensetzen, was anhand der Thematik keineswegs abwegig war. In vielen der Horst-Wendlandt-Filme vor allem ab Mitte der 60er Jahre (etwa DER BUCKLIGE VON SOHO oder DER MANN MIT DEM GLASAUGE) hatte „Mädchenhandel“, also die organisierte Massen-Verschleppung von Frauen ins dubiose Ausland des Orients oder Südamerikas zur Zwangsprostitution, die Erbschleicherei als beherrschendes Kribbel-Crime-Sujet abgelöst. Der Trendsetter SCHWARZER MARKT DER LIEBE, den Kultregisseur Ernst Hofbauer (nach eigenem Drehbuch und angeblich auf wahren Begebenheiten fußend) an Originalschauplätzen in Italien und Berlin realisierte, näherte sich dem Tabu(h)-Thema jedoch nicht in Gruselkrimi-Manier, sondern nahezu neorealistisch. Am Hafen von Genua werden einige junge Frauen unterschiedlicher sozialer Herkunft angeblich als Models engagiert und nach Übersee eingeschifft, während sich ihre neuen Arbeitgeber darüber austauschen, dass es von dieser Reise keine Wiederkehr gibt. Eine anschließende tödliche Auseinandersetzung der konkurrierenden Mädchenhändler entscheidet der eiskalte Harald (Claus Tinney) nach Mafiaart für sich, weitere Leichen werden folgen. Im fernen Berlin soll die nächste Fuhre komplettiert werden – eine Rauschgiftparty, die Haralds Kumpel Rolf (Rolf Eden) organisiert, dient als Falle für ein neues ahnungsloses Opfer…

Ein Hauch fellinesker Lust am Abgründigen durchzieht den durchaus entdeckenswerten Film, der die Kunstwelt der Edgar-Wallace-Filme durch eine reale Großstadthölle ersetzt – Anklänge an IL BIDONE (DIE SCHWINDLER) finden sich in der tragischen Mitleidlosigkeit der Gauner wie an LA DOLCE VITA (DAS SÜSSE LEBEN) in der Zeichnung eines hedonistischen, längst der Verdammnis anheim gefallenen Milieus. Von der dunklen Freundin (Uta Levka) zur Party im mondänen Villenviertel verlockt („damit ich unter Menschen komme! Menschen? Tiere! Perverse Ungeheuer!“), landet die blonde Unschuld (Astrid Frank) im Pfuhl des Lasters und den Fängen einer lesbischen „Gräfin“. Und was wir sehen, ist nur die Spitze eines Eisbergs einer Nachkriegsgesellschaft ohne Werte und Moral, die an der Schwelle zur Apokalypse steht. Die Halbstarken der 50er Jahre sind zu kriminellen Monstren heran gewachsen – wie die populären Serien der Zeit, allen voran Herbert Reineckers DER KOMMISSAR, bedienten die Filme die Ängste der Väter ebenso wie ihre Lust am Morbiden.