Von Gerd Naumann
Die Regiearbeiten Peter Sasdys sind unter Anhängern der legendären Hammer-Produktionsschmiede nicht unumstritten. Sasdy wird gelegentlich unterstellt, mit einem inadäquaten künstlerisch-realistischen Gestaltungsanspruch die Notwendigkeiten der Grusel- beziehungsweise Horrorfilmdramaturgie bewusst zu unterlaufen. Die Entscheidung des Studios für Sasdy fiel in eine Übergangszeit von den klassischen Genrefilmen hin zu exploitativeren, mitunter bewusst artifiziellen Inszenierungsansätzen. Sasdys Hammer-Filme, das sind nicht mehr und nicht weniger Schnittmengenfilme aus all den vorgenannten Einflüssen, hiernach Arthouse-Exploitation-Hybriden der filmischen Moderne. Zu nennen ist hier, neben TASTE THE BLOOD OF DRACULA (WIE SCHMECKT DAS BLUT VON DRACULA?, 1970) und HANDS OF THE RIPPER (HÄNDE VOLLER BLUT, 1971), vor allem auch COUNTESS DRACULA (COMTESSE DES GRAUENS, 1971). Veröffentlichte Anolis vor kurzem erst HANDS OF THE RIPPER, so folgte nun auch COUNTESS DRACULA. Vorweg – der Film ist nicht grundlos eine der eher unbekannteren Hammer-Produktionen…
Anders als in HANDS OF THE RIPPER, bei dem zumindest die psychologischen Plotaspekte als genretypisch gelten konnten, verweigerte sich Sasdy mit COUNTESS DRACULA den Erwartungshaltungen vollständig. Und so geriet der Film zu einem historischen Kostümdrama, das in der ästhetischen Konzeption deutlich aus dem Hammer-Kosmos heraussticht. Wenn Sasdy damit auch die Vermarktungsstrategie des produzierenden Studios bewusst ignorierte, ist seine Interpretation des Stoffes im historischen Kontext durchaus als angemessen zu bezeichnen. Sasdy legte Wert darauf, die Person der Gräfin nicht unter spekulativen Vorzeichen zu verklären. Somit nahm er bereits 1971 vorweg, was Juraj Jakubisko mit BATHORY (2008) und Julie Delphy mit THE COUNTESS (2009) vor einigen Jahren versuchten – die Entmythologisierung einer historischen Frauengestalt, die, ähnlich der Figur des Vlad Dracul, als Projektionsfläche für menschliche Abgründe und Dämonien dient. Das macht COUNTESS DRACULA zu einem filmhistorisch überaus interessanten Erlebnis, zudem werden auch Hammer-Liebhaber durch die zahlreichen bekannten Genredarsteller und die wundervolle Filmmusik von Harry Robertson Gefallen an diesem Werk finden.
Wie immer ist die Blu-ray-Edition aus Anolis´ neuer Hammer-Serie sehr gelungen. Das Bild ist detailreich und atmet eine gehörige Prise 1970er-Jahre-Kinoästhetik. Sowohl der englische als auch der deutsche Ton sind hervorragend und gut verständlich. Die Blu-ray bietet gleich zwei Audiokommentare, neben Rolf Giesen und Ivo Scheloske haben sich ebenso Hauptdarstellerin Ingrid Pitt, Stephen Jones sowie Kim Newman vor das Mikrofon begeben. Neben ausführlichen Interviews mit Sasdy und Pitt finden sich unter anderem diverse Trailer. Neben der Standard-Amaray-Ausgabe ist auch von diesem Film ein limitiertes Mediabook erschienen, das im beiliegenden Booklet zusätzliche Essays bietet. Fazit – eine der unbekannteren Hammer-Produktionen erlebt hiermit eine sehr gute Veröffentlichung innerhalb der noch jungen Anolis-Reihe.
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Countess Dracula, Großbritannien 1971, Regie: Peter Sasdy, Mit: Ingrid Pitt, Nigel Green, Sandor Elès, Lesley-Anne Down u.a.
Anbieter: Anolis Entertainment