Kunst kommt von wollen. Von Heinz-Jürgen Köhler

Von Heinz-Jürgen Köhler

„…happy …happy …happy.“ Die Langspielplatte hat einen Sprung. Der Plattenspieler ist inmitten eines hinreißend arrangierten Chaos’ platziert. Teller und Flaschen stehen herum, schlafende Menschen liegen wie hingegossen. Hier hat offenbar ein rauschendes Fest stattgefunden. Willkommen im Glashaus.

elixir.2015.cover In diesem pittoresken Durcheinander lebt eine Gruppe von Künstlern in Berlin. André (Swann Arlaud), ein blasser, zerbrechlich wirkender junger Mann mit flaumigem Schnauzer, ist Schriftsteller, auch wenn er praktisch nie zu schreiben scheint. Er leidet unter dem Tod seines Freundes Jacques, der vor kurzem gestorben ist. Vor der Schaufensterauslage, in der dessen letztes Buch beworben wird, trifft er eine junge mächenhaft-schöne und zumeist stumme Streunerin: Lexia (Natasha Petrovikji) – eine Bewunderin? Er nimmt sie mit in seine Künstlerkommune. Dort taucht auch der zwischenzeitlich verschollene Tristan (Sebastian Pawlak), ein attraktiver Manipulator, wieder auf. Dieser mischt die Truppe mit seinem Plan einer gemeinschaftlichen Guerilla-Kunstaktion kräftig auf. Und auch Lexias Anwesenheit verschiebt das einstige Gleichgewicht. Die Gruppe scheint zu zerfallen.

André, Jacques, Tristan – selbst für internationale Bohémiens klingen die Namen seltsam, und in der Tat sind sie Zitate. André Breton, der französische Schriftsteller und Theoretiker des Surrealismus, sowie sein tatsächlich früh verstorbener Freund Jacques Vaché verbergen sich dahinter. Und Tristan ist Tristan Tzara, rumänischer Schriftsteller und Begründer des Dadaismus. Nur haben sie sich natürlich in realiter nicht im Berlin der Jetztzeit, sondern im Paris der 1920er-Jahre getroffen. Der Film des australischen Regisseurs Brodie Higgs ist eine Versuchsanordnung. Er versetzt die realen Personen in die Gegenwart und spielt, von wenigen „Ausflügen“ abgesehen, ausschließlich im Fabrikgebäude. Die Protagonisten sprechen Englisch miteinander, die wenigen deutschen Worte stammen hauptsächlich von der Ansage in der U-Bahn.

elixir.2015.cover2 Regisseur und Koautor Higgs studierte in Sydney und Melbourne Wirtschaft und Film, drehte Kurzfilme und arbeitete als Kunstkurator. Sein erster Spielfilm, die deutsch-australische Koproduktion ELIXIR, die im Rahmen der „Perspektive deutsches Kino“ auf der Berlinale lief, scheint diese verschiedenen Tätigkeiten zu bündeln und zusammenzuziehen. Higgs versetzt die Künstlerbohèmiens ins heutige Berlin und beobachtet, wie sie im Hier und Jetzt ihre Kunst machen können: Wie kann man im 21. Jahrhundert kreativ sein? Wofür sich engagieren und wovon leben? Das ist zwar verkopft und artifiziell, entfaltet aber doch eine große Faszination.

Durch die Bank großartige junge Darsteller, die – außer Stipe Erceg als Malcom McLaren, Designer und Förderer der Sex Pistols (noch eine reale Person) – allesamt hierzulande unbekannt sind, machen einen großen Reiz des Filmes aus. Außerdem begeistern die großartige Kameraarbeit und vor allem die fabelhafte Ausstattung der Innenräume, die natürlich auch als Seelenlandschaften dieser jungen Suchenden zu lesen sind. Regisseur und Koautor Brodie Higgs ist ein Weltreisender und lebte auch eine Zeitlang in Berlin. Die Idee, die Geschichte hier anzusiedeln, entstand schon vorher. Vor Ort brachte er dann drei Monate damit zu, mit Berliner Künstlern die Location, ein Fabrikgebäude in Mitte, in dem auch die gesamte Produktion und die Proben stattfanden, zu gestalten. Dieser Zeitaufwand hat sich gelohnt. Mit großer Akribie und Detailversessenheit ist ein faszinierender Ort entstanden, in dem sich der Zuschauer bis zum Ende nicht orientieren kann. Eine Ausstattung – und da ist der Film dann wieder ganz bei der Kunst –, die wirkt als sei sie wie die Stillleben in den Gemälden alter Meister komponiert.

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Elixir, Deutschland/Australien 2015 | Regie: Brodie Higgs, Buch: Brodie Higgs, Anya Watroba | Mit: Swann Arlaud, Natasha Petrovikji, Sebastian Pawlak, Stipe Erceg, Peter Barron, u.a. | Laufzeit: 116 Minuten, noch kein deutscher Verleih