Die Bretter, die den Tod bedeuten.

Ein Autokorso schlängelt sich eine Straße entlang, die Scheinwerfer schälen sich aus der dunklen Nacht heraus. Zu einem slick-verspielten Downtempo-Jazzer erscheinen die Autoinsassen auf der Leinwand. Passend zu jedem Darsteller laufen die Credits, man sieht sie reden, zanken, necken und gestikulieren. All dies wortlos, nur die schmeichelnde Musik begleitet sie wie aus einem Autoradio. Bereits hier werden die Verhältnisse der Personen zueinander abgesteckt, mehr als diese 11 Menschen werden dem Zuschauer in diesem Film nicht begegnen – es werden jedoch kontinuierlich weniger!

the.killer.reserved.nine.seats.1974.cover Mit viel Understatement beginnt Guiseppe Bennatis L’ASSASSINO HA RISERVATO NOVE POLTRONE – THE KILLER RESERVED NINE SEATS, was man am ehesten mit „Der Mörder hat neun Plätze im Parkett reserviert“ übersetzen kann. Ebenjenes Parkett befindet sich einem altehrwürdigen Theater, das sich seit 100 Jahren in einer Art Dornrösschenschlaf befindet. Für die Reisegruppe um Patrick Davenant (Chris Avram) ist das kein Problem, man findet eine pittoresk-barocke Spielstätte vor, deren diverse Nebengelasse, Logen und Bühnengänge sogleich Platz für amouröse Verwicklungen bieten. Doch als während einer spontanen Aufführung der erste leblose Frauenkörper auf der Bühne liegt, gehen die Angst um und ein sadistischer Killer durch die Reihen. Auf den Brettern, die den Tod bedeuten, öffnet sich der Vorhang zur letzten Vorstellung.

Giuseppe Bennati fügt dem seinerzeit im Zenit befindlichen Giallogenre mit L’ASSASSINO HA RISERVATO NOVE POLTRONE – THE KILLER RESERVED NINE SEATS eine äußerst interessante Spielart hinzu: der Gothic-fußende Thriller nach Agatha Christie, aufgehübscht mit paranormalen Elementen und Gruseleffekten aus der Geisterbahn. Die angerichteten ‚Set Pieces‘ sind stimmungsvoll ausgearbeitet, der umgehende Mörder ist nicht untätig und lässt Langeweile vermissen – auch die Mordszenen sind effektvoll umgesetzt, wobei der armen Eva Cemerys der im Kontext schockierendste Tod zufällt; garstig und pittoresk.

the.killer.reserved.nine.seats.1974.still Verfertigt mit Präzision und Sinn für ausgesprochene Artifizialität, machen sich alle Darsteller sehr gut in dieser „Zehn kleine Negerlein“-Systematik. Mit Ausnahme von Rosanna Schiaffino, die eine Karriere in Übersee vorweisen konnte, sind viele liebgewordene Darstellerinnen des Italokinos jener goldenen Jahre dabei und verfügen – in ihren Rollen – über durchaus nymphomanische Neigungen. Ob nun Eva Cemerys, Lucretia Love oder Paola Senatore; alle ziehen blank und zeitgleich alle Register. Auch die männlichen Mitglieder der Reisegruppe sind Empfehlungen, Chris Avram, Andrea Scotti und Howard Ross geben in ihren Rollen Vollgas und beweisen, dass es nicht immer die erste Garde sein muss, um einen unterhaltsamen Filmabend zu gestalten.

Die musikalische Untermalung verfertigte Carlo Savina, der neben dem bereits erwähnten Titeltrack viel dissonante Spannungsmusik einbringt. Entgegen der sonstigen Freejazzattitüde seiner Kollegen Morricone oder Nicolai, setzt Savina hierbei auf großes Orchester. Allerdings wäre ein Film dieser Zeit nicht komplett ohne eine für die weitere Handlung völlig unnötige Tanzszene. Die wird in diesem Fall von Paola Senatore dargeboten, der darüber hinaus im Verlauf des Tanzes auch noch sämtliche Kleider vom Leibe fallen. Carlos Savina garniert diese denkwürdige Szene mit einem forschen Beat, der – wunderbar eingängig – zu den Glanzstücken des Soundtracks gehört. Der komplette Score liegt übrigens seit kurzem vom spanischen Quartet Label auf CD vor.

the.killer.reserved.nine.seats.1974.cover2 Wiederholt gebührt Camera Obscura der Dank, diesen fast vergessenen Meisterschangel aus italienischer Schmiede für die Nachwelt konserviert zu haben. Erschienen auf DVD und paralleler Blu-ray, präsentiert sich der Transfer im originalen Breitbild, mit hervorragenden Farben und knackiger Schärfe. Neben dem italienischen Originalton ist der englische Dub enthalten, zu beiden Sprachfassungen sind optionale deutsche und englische Untertitel zuschaltbar. Ebenfalls englisch untertitelt ist auch der sehr unterhaltsame Audiokommentar, der durch die beiden profunden Genrekenner Dr. Marcus Stiglegger und ‚The Mighty‘ Kai Naumann bestritten wird. Featurettes mit Darsteller Howard Ross und Drehbuchautor Biagio Proietti geben ebenfalls Auskünfte über die Entstehung dieses Streifens, Filmtrailer aus Italien und England sowie eine Bildergalerie und ein flotter Booklettext von Christian Keßler machen das umfangreiche Paket komplett.

Man zeige nun also beim Kartenabreißer seine Reservierungen vor, nehme seinen Parkettplatz ein und lasse sich begeistern vom munteren Treiben in diesem ‚Theater des Grauens und des Todes‘. Direktor Bennati und seine Spielschar werden sie gut unterhalten – ein morbider Filmabend ist garantiert.

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L’assassino Ha Riservate Nove Poltrone, Italien 1974, R: Giuseppe Bennati, D: Rosanna Schiaffino, Chris Avram, Lucretia Love, Paola Senatore, Howard Ross, Eva Czemerys u.a.

Anbieter: Camera Obscura