Von Matthias Ehrlicher
Håkan Nesser gehört neben Henning Mankell („Kommissar Wallander“) zu den erfolgreichsten Krimiautoren Schwedens. Von 1993 bis 2003 erschienen zehn Bände der Krimiserie um Kommissar Van Veeteren, die vom schwedischen Fernsehen verfilmt und auch von der ARD ausgestrahlt wurden. 2006 begann Nesser seine zweite Krimireihe um den schwedisch-italienischen Inspektor Barbarotti, der in der fiktiven Kleinstadt Kymlinge ermittelt.
Cherrybomb Films hat nun die 2010 beziehungsweise 2011 von der ARD Degeto und Trebitsch-Produktion zu verantwortenden „Inspektor Barbarroti“- Fernsehverfilmungen MENSCH OHNE HUND und VERACHTUNG auf DVD herausgebracht. Es ist nicht zu leugnen, dass sich skandinavische Krimis inzwischen im deutschen Fernsehen inflationärer Beliebtheit erfreuen. Sollte die Blase platzen, werden es die deutschen Sendeanstalten sicher als Letzte mitkriegen. Die hier vorliegenden zwei Produktionen sind der beste Beweis dafür. Sie haben nichts von der Klasse original skandinavischer Fernsehkrimis und -dramen, die seit Jahren immer wieder neue Standards setzen – nur nicht bei der Degeto.
So wie jahrelang deutsche Schauspielerinnen in die afrikanische Wüste verfrachtet wurden, um sie mit wehenden Haaren über die Weiten bei Sonnenuntergang blicken zu lassen, ist es hier in Teil Eins der Reihe MENSCH OHNE HUND Sylvester Groth als Inspektor Gunnar Barbarotti, der mit zerknautschtem Gesicht in die schönen Fjorde blickt und mit Gott hadert (Regie: Jörg Grünler, Drehbuch: Serkal Kus). Er führt eine Gott-Existenz-Strichliste, was zu einigen ganz amüsanten inneren Monologen führt. Sylvester Groth ist ein Ausnahmeschauspieler, dem eine vielschichtige Figurendarstellung gelingt. Barbarottis Hadern mit Gott ist eher ein Ringen mit sich selbst. Er ist jemand, der sein Leben nicht im Griff hat, sondern sich von ihm gegriffen fühlt. Seine Ehe ging vor Jahren kaputt, die beiden Söhne wollen lieber bei der Mutter leben und seine Tochter pubertiert. Auch fragt er sich immer wieder, ob er gut genug für seine Arbeit ist. Die kleinen Flirts, die er und seine Kollegin Eva Backmann (Nina Kronjäger) austauschen, sind so harmlos, dass, obwohl ihre Ehe auf der Kippe steht, man nicht glauben kann, dass Barbarotti wirklich eine Alternative für sie wäre. Dafür ist er einfach zu „nett“.
Die Frage, ob er seinen Job gut macht, ist hier nicht unberechtigt. Denn in MENSCH OHNE HUND treten er und seine Kollegin monatelang auf der Stelle. Zwei Mitglieder einer Familie verschwinden nacheinander innerhalb von zwei Tagen. Leichen sind nicht zu finden. Lebenszeichen ebenso wenig. Es dauert eine Weile, bis ein Zufall die sterblichen Überreste einer der beiden Vermissten ans Licht bringt. Sämtliche Ermittlungsansätze sind jetzt über den Haufen geworfen. Das hier näher auszuführen würde Interessierten das nehmen, was diese Produktion eh kaum hat – Spannung! Stattdessen wird in schier endlosen Monologen Handlung und Wendung erzählt. Erst als klar wird, dass das Verschwinden des zweiten Opfers nichts mit dem des ersten zu tun hat, und sich dann der Verdacht auf eines der Familienmitglieder konzentriert, kommt die Geschichte etwas in Fahrt. Auch wenn hierbei ebenfalls Kommissar Zufall die entscheidende Rolle spielt und wieder endlos geredet wird. Mehr als dass Schwedens Provinz bei Mittsommer schön ist, hat diese Produktion nicht zu bieten. Und dass es so ist, hat sich inzwischen auch bei „Nicht-Vielfliegern“ herumgesprochen.
So ist es gut zu verstehen, dass die Degeto bei der Produktion des nächsten Teils der Reihe einige Veränderungen vorgenommen hat. VERACHTUNG (Buchtitel „Eine ganz andere Geschichte“, Regie: Hannu Salonen, Drehbuch: Serkal Kus) wurde zwar wieder von der Trebitsch-Produktion realisiert, aber das Ensemble zum großen Teil ausgewechselt. Barbarotti und seine Kollegin Eva Backmann werden nun von den Dänen Anders W. Berthelsen und Trine Dyrholm gespielt. Auch die Romanvorlage wurde stark gestrafft. Dem fielen unter anderem Barbarottis Dialoge mit Gott zum Opfer.
Aber auch der Ton hat sich verändert. Berthelsens Barbarotti ist weniger verkopft, er hadert weniger mit sich, dafür mehr mit den Umständen, in denen er sich befindet. Sylvester Groths Spiel war vielschichtiger. Dennoch macht der Schauspielerwechsel Sinn. Die beiden Hauptfiguren wirken jetzt etwas fleischiger, geerdeter. Das hat Auswirkungen. Zum Beispiel auf die Beziehung von Barbarotti zu seiner Kollegin. Die Flirts der beiden drohen auf einmal Konsequenzen zu haben, und das zu einem Zeitpunkt, an dem Barbarotti ungeduldig darauf wartet, dass seine Freundin seinen Heiratsantrag annimmt.
Auch auf der Bildebene kommt der zweite Teil der Reihe etwas düsterer daher. Nicht, dass diesmal auf viele nichtssagende Landschaftsaufnahmen verzichtet worden wäre. Aber Barbarotti stolpert diesmal noch ungelenker und verunsicherter durch die Gegend. Was durchaus den einen oder anderen Kontrapunkt setzt, aber keine weiteren Spannungsebenen erzeugt. Der Fall setzt Barbarotti sehr zu. In VERACHTUNG werden ihm Briefe zugeschickt, in denen Morde angekündigt werden. Doch die Hinweise des Täters sind so allgemein gehalten, dass alle Versuche die Opfer zu retten, ins Leere laufen – laufen müssen. Die Presse spricht schnell von einem Serienmörder, denn es gibt keinerlei Verbindung zwischen den Opfern. Woran Barbarotti nicht glaubt. Seine Hilflosigkeit angesichts des Mordens macht ihm schwer zu schaffen. Hinzu kommt noch eine blutgierige Boulevard-Presse, die ihn zum Sündenbock hochschreibt. Da ist schon mal ein körperlicher Zusammenbruch oder handgreiflicher Ausbruch gegen einen Reporter drin. Also wird er suspendiert und muss auf eigene Faust ermitteln. Niemand glaubt ihm, dass es sich nicht um einen Serienkiller handelt, sondern um einen, der es nur so aussehen lassen will, um von dem einen wichtigen Mord abzulenken.
Obwohl sich das Drehbuch alle Mühe gibt, die gängigen dramaturgischen Regeln einzuhalten, schafft es die Produktion erneut nicht, ausreichend Spannung aufzubauen, damit der Zuschauer am Ball bleibt. Die Szenen fransen aus, die Dialoge ufern aus, vieles wird behauptet und nicht auserzählt. So ist die Presse in dem Augenblick als Antagonist verschwunden, in dem sich ein neuer einfindet.
Irgendwie beschleicht einen der Verdacht, dass das alles nicht zufällig passiert. Dafür sind beide Filme handwerklich doch wieder zu gut gemacht. Hier passieren keine Anfängerfehler. Das deutsche Fernsehen ist gut darin, gehaltvolle Stoffe auf ein so leicht goutierbares Maß herunter zu brechen, dass bestimmt keine Verschluckungsgefahr mehr besteht, und das können Degeto und Trebitsch gut.
Dass es auch anders geht, zeigt der im Bonusmaterial beigefügte zwanzigminütige Kurzfilm von Dustin Loose ERLEDIGUNG EINER SACHE nach einer Geschichte von Håkan Nesser. Ein junger Mann (Ludwig Trepte) will seinen Vater besuchen, der seit 25 Jahren in der forensischen Psychiatrie wegen Mordes sitzt und den er noch nie gesehen hat. Dort wird er von einem vermeintlichen Arzt (Robert Hunger-Bühler) in ein Gespräch verwickelt. Der Sohn hat von seiner verstorbenen Mutter ein Geheimnis erfahren, das über Tod und Leben seines Vaters entscheiden könnte. Ein bedrückendes und von Herrn Hunger-Bühler brillant gespieltes Kammerspiel, dem am Schluss ein paar Minuten weniger gut getan hätten. Was dem Film aber nicht schadet.
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Inspektor Barbarotti – Mensch ohne Hund, Deutschland 2010, Regie: Jörg Grünler, Mit: Sylvester Groth, Nina Kronjäger, Vadim Glowna, u.a.
Inspektor Barbarotti – Verachtung, Deutschland 2011, Regie: Hannu Salonen, Mit: Anders W. Berthelsen, Trine Dyrholm, Andreas Schwaiger, u.a.
Anbieter: Cherrybomb Films (Alive)