Von Sir Real
Nach dem kontroversen Mordprozess um Amanda Knox (die hier Jessica Fuller heißt) fabuliert der Brite Michael Winterbottom kurz nach seinem THE TRIP TO ITALY sogleich wieder vor italienischen Kulissen, nunmehr als Sinnestäuschung in dunklen Brauntönen. Er ist so ambitioniert wie seine Hauptfigur (ein uncharismatischer Daniel Brühl, RUSH) und scheitert wie diese, was trotz größerem Gähn-Faktor von gewissem Belang bleibt.
Winterbottom kann nicht entscheiden, was DIE AUGEN DES ENGELS sein soll und treibt planlos zwischen unauflösbarer Murder Mystery, Thriller, Medienstudie, Charakterporträt, Liebesdrama und Halluzination. Der True-Crime-Gehalt ist so spannungsarm wie bei Egoyans DEVIL’S KNOT, dafür so intellektuell verquast wie dessen ARARAT. Und das Gothic-Phantasmagorische passt so gar nicht zu Winterbottoms dokumentarischer Ader.
Damit sind die überzogen suggestiven Alpträume um den Irrgarten, in dem sich Thomas (Typ: Koksnase/Knallkopf) verliert, zwar bemüht, mystisch, dunkel und immersiv zu wirken, aber der Versuch WENN DIE GONGELN TRAUER TRAGEN nachzuahmen missrät so arg wie dasselbe bei Dantes „Inferno“. Vieles bleibt nichtssagend und bringt emotional nichts hervor, wie der unmotivierte Sex zwischen Brühl und Kate Beckinsale (STONEHEARST ASYLUM).
Und dem Wahn zu verfallen kann BARTON FINK kafkaesker. Da Winterbottom unbedingt noch Ebenen von Kreativprozess (Drehbuchschreiben) sowie einen Kunst- und Mediendiskurs bemüht, nähert er sich – thematisch, nicht qualitativ – dem brillanten DIE WOLKEN VON SILS MARIA an. Trotz aller Einwände: Nicht nur als Poem der Verlorenheit eines Schwermütigen und dem Wiederfinden der (Lebens)Liebe ist DIE AUGEN DES ENGELS von Interesse.
Erschienen auf Komm & Sieh
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The Face of an Angel (Die Augen des Engels), Großbritannien/Italien/Spanien 2014 | Regie: Michael Winterbottom, Buch: Paul Viragh, Buchvorlage: Barbie Latza Nadeau | Mit: Cara Delevingne, Kate Beckinsale, Daniel Brühl, u.a. | Laufzeit: 101 Minuten, Verleih: Concorde (Kinostart: 21.05.2015).