Von Matthias Ehrlicher
Die Handlung des Films durchschreitet die Jahre 1787 bis 1802 im Leben des Dichters Friedrich Schiller (Florian Stetter), seiner späteren Frau Charlotte von Lengenfeld (Henriette Confurius) und ihrer damals schon verheirateten Schwester Karoline von Beulwitz (Hannah Herzsprung). Auf der Grundlage eines (!) erhaltenen Briefes von Schiller an Karoline aus dem Jahr 1788, in dem der Dichter schreibt, er werde versuchen sie in dieser Nacht noch aufzusuchen, erfindet Drehbuchautor und Regisseur Dominik Graf eine Dreiecks-Beziehung zwischen Schiller und den beiden Schwestern.
Doch das ist nur der Grundplot, an dem Graf viel mehr aufhängt als eine Liebesgeschichte. Es geht hier vielmehr um Aufklärung, Aufbruch, einen Schritt in die Moderne, in die Freiheit und, welche Opfer das kosten kann. Und es ist eine Geschichte über das Schreiben und Lesen.
Dieser Film, 2014 im Wettbewerb der Berlinale gelaufen, ist kein Beitrag zur Schiller-Forschung und dem Zuschauer soll auch nicht vermittelt werden, er würde hier etwas über den „wahren“ Autor erfahren. (Wer möchte schon in der DVD-Schnittfassung 134 Minuten ständig breitestes Schwäbisch eines Hauptdarstellers hören?). Wir erfahren kaum etwas über Schillers Arbeit in dieser Zeit. Nicht, dass er am Beginn des Films historisch gesehen am „Don Carlos“ schreibt und mehrere Großgedichte verfasst, sich mit der griechischen Antike beschäftigt und mit einer Glaubenskrise ringt. Nur einmal, wenn er seine Professur in Jena antritt, erleben wir Schiller im Original. Dominik Graf versucht hier auch nicht ein unentdecktes Geheimnis zu lüften, wie oftmals sein Kollege Oliver Stone, z.B. in JFK. Der Film DIE GELIEBTEN SCHWESTERN ist Fiktion und vielleicht der beste von Graf. Mit einer Einschränkung. Dazu später mehr.
1787 wird Charlotte von Lengenfeld von Rudolstadt nach Weimar in das Haus von Goethes Geliebter Frau von Stein geschickt (Maja Maranow). Sie soll dort in die Gesellschaft eingeführt werden und möglichst bald heiraten. Doch statt eines betuchten Mannes lernt die schüchterne Charlotte den verarmten und skandalumwitterten Schiller kennen. Er befindet sich, wie sie, in einer neuen Phase seines Lebens. Gerade wegen seines Stückes „Die Räuber“ aus Mannheim verbannt und nach Weimar geflohen, von Frau von Kalb (Anne Schäfer) ausgehalten, versucht er, Anschluss an die Gesellschaft zu finden. Angestoßen von Charlottes resoluter Schwester Karoline, kann Schiller zwar mit beiden Umgang pflegen, aber an Heirat ist nicht zu denken. Die Schwestern haben sich vor Jahren schon geschworen, alles mit einander zu teilen. Beide lieben Schiller aus tiefster Seele. Wie Graf und der Kameramann Michael Wiesweg Bilder für dieses Werben, Schmachten, Verzweifeln, Begehren finden ist grandios.
Einmal rettet Schiller ein ertrinkendes Mädchen aus dem Fluss, durchnässt muss er sich seiner Kleider entledigen und die beiden Schwestern wärmen ihn mit ihren bekleideten Körpern. Es werden Briefe über Briefe geschrieben und gelesen, Geheimcodes erfunden, sehr zum Ärger der Mutter (Claudia Messner). Da Schiller beide Frauen liebt, schreibt er beiden immer dieselben, um keine zu übervorteilen, einmal versucht er es sogar beidhändig, synchron.
Doch die Zeiten ändern sich. Als Zeichen dafür wird Schiller immer wieder in einer Druckerei seines Verlegers Cotta zu sehen sein. Das erste Massenmedium der Welt nimmt seinen Lauf und damit auch die Verbreitung von Schillers Schriften. Neues Wissen tritt in die Welt. Ebenso taucht die französische Revolution in der Ferne auf. Schiller wird Privatgelehrter an der Uni Jena, was seine finanzielle Situation nicht wirklich verbessert. Doch es reicht Charlottes Mutter, um einer Heirat endlich zuzustimmen. Der gemeinsame Haushalt von Friedrich und Charlotte soll das Überleben der Ménage à trois mit Karoline sichern. Charlotte gibt Schiller frei, denn für sie bedeutet Liebe Verzicht. Für Karoline dagegen Befreiung.
Noch vor der Hochzeit mit Charlotte schläft Schiller mit Karoline. Eine von allen Beteiligten hervorragend gearbeitete Liebesszene, die doch so vieles mehr ist. Wir kommen der Figur Karoline so nah wie selten im Film. Wir sehen ihre unglückliche Ehe, ihren Willen ein selbstbestimmtes Leben zu führen und ihre Lust.
Graf versucht erst gar nicht, die Figuren in ihrem Zeitkontext zu zeichnen. Die Umstände ihres Lebens sind handlungsbedingt, transportieren aber keine Haltung. Da werden Knickse ironisiert, die Hand bei einer Verabschiedung zum militärischen Gruß erhoben. Man lebt zu dritt unter einem Dach und die Schwestern diskutieren kichernd, wer von beiden jetzt zu Schiller in die Kammer soll. Klar schreibt Graf ihnen manchmal noch Sätze ins Drehbuch, wie „Wie ist euch?“, aber eben auch „Der Respekt zwischen uns ist völlig hinüber“. Es sind moderne Menschen, die in Zwängen leben. Zwänge, an denen sie zu ersticken drohen und die sie überwinden wollen. Die Schwestern wagen einen Ausbruch, genau wie die Zeit, in der sie leben. Der Film spielt in dieser Zeit, und Ausstattung und Szenenbild orientieren sich an historischen Vorlagen, aber nicht als Abbild, sondern um zu historisieren. Dass das historische Weimar ein provinzielles Drecksloch war, interessiert hier nicht.
Die Vielseitigkeit von Grafs Inszenierungsstil ist immer wieder erstaunlich. Er kreiert hier den wohl spannendsten filmischen Briefwechsel. Als alle Beteiligten nicht wissen, ob die Mutter nun der Heirat zustimmen wird, sehen wir den Protagonisten nicht mehr beim Schreiben oder Lesen zu. Graf filmt sie stattdessen mit dem Blick in die Kamera, den Inhalt so emotional vortragend, wie es sich beim Schreiben angefühlt haben muss. Die knappen Briefpassagen und schnellen Schnitte zwischen den Dreien entwickeln so einen Dialogcharakter eines eigentlich monologischen Mediums.
Doch „Die Erfindung des deut. Idealismus“, wie Rüdiger Safranski seine große Schiller-Biographie betitelte, bleibt nicht ohne Folgen. Denn bei der Frage der Schwestern, wer jetzt zu ihm ins Bett darf, beginnt die emotionale Überforderung. Charlotte will zu Gunsten Karolines auf immer der körperlichen Liebe zu ihrem Mann entsagen. Dieses Opfer kann Karoline nicht annehmen und flieht. Sie kündigt den Schwur der Schwestern auf, alles mit einander zu teilen, damit Charlotte und Schiller ein „normales“ Leben führen können.
In dieser Phase vollzieht der Film einen höchst anspruchsvollen dramaturgischen und erzählerischen Wechsel. Der Film basiert auf einem eher selten versuchten und noch seltener so gut wie hier gelungenen Erzählkonstrukt: Einer handlungs- und einer strukturgebenden Hauptfigur. Erstere teilen sich die Schwestern. Die Figur Schiller hält die Geschichte zusammen, die Schwestern halten sie am Laufen. Sie tragen die Handlung. In der ersten Hälfte durch Charlottes Kampf um die Ehe mit Schiller, in der zweiten durch Karoline, im Kampf mit sich und ihrer Leidenschaft. Beide kreisen wie Gestirne um die Sonne Schiller. Mal in enger gerader Bahn nebeneinander, mal meilenweit von einander entfernt und dann schließlich auf Kollisionskurs.
Vier Jahre nach Karolines Flucht aus Weimar begegnen sich Schiller und Karoline wieder. Anhand eines Buches erklärt sie ihm, wie sie sich die wahre Liebe vorstellt, nämlich als einen Schritt in die höchste Form der Freundschaft. Doch in ihrem Hotelzimmer schlägt die Lust die Vernunft. Karoline zieht etwas später zur Geburt von Charlottes Sohn wieder zum Ehepaar nach Ludwigsburg, doch die Harmonie ist trügerisch. Graf unterstreicht das mit Zeichnungen des französischen „terreur“ nach der Revolution. Schiller plagen Gewissensbisse, weil er die Auswüchse dessen, was er einmal begrüßt hat, nicht vorausgesehen hat. Auch Karoline ist eine andere geworden. Sie hat mit ihrem Mann endgültig gebrochen. Lässt sich treiben, hat Liebhaber und wird schwanger. Schiller könnte der Vater sein. Davon wird sich die Beziehung der Schwestern nicht mehr erholen.
Die Schlussszene zeigt Schiller, wieder einmal wegen Krankheit ans Bett gefesselt, mit beiden Schwestern, die an seinem Bett wachen. Jede auf einer Seite. Beide im Dunkeln. Eine Mischung aus Totenwache und Erinnyen, die auf Rache aus sind. Der Zuschauer kann nicht erkennen, welche rechts, welche links neben ihm sitzt. Der erwachende Schiller auch nicht. Er blickt zu jeder, nacheinander und spricht sie mit dem Kosenamen der jeweils anderen an. Keine Reaktion. Der Aufbruch ist der Dunkelheit gewichen. Zwei Jahre später stirbt Schiller.
Nun zu der angekündigten Einschränkung, die diesem großartigen Film, mit einem hervorragenden Ensemble (wie immer bei Graf), doch einen Kratzer beschert: Um dem Film eine epische Tiefe zu verleihen und zur Untermauerung des „Briefroman-Films“, hat Graf ihn mit einem Voice Over versehen, der uns Zeit, Ort, Inhalt der Briefe und viele Hintergründe erklärt. Ohne dieses Stilmittel würde der Film nicht funktionieren. Leider spricht Graf die Stimme selbst und das macht er schlecht. Hier hätte er sich nicht als doppelter Schöpfer betätigen sollen, denn seine Arbeit hinter der Kamera ist herausragend. Das Sprechen hätte er einem Profi überlassen sollen.
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Die geliebten Schwestern, Deutschland/Österreich/Schweiz 2014, Regie: Dominik Graf, Mit: Hannah Herzsprung, Florian Stetter, Henriette Confurius, Claudia Messner, Ronald Zehrfeld, Michael Wittenborn, Andreas Pietchmann, u.a.
Anbieter: Senator Home Entertainment (Vertrieb Universum Film)