Pfarrerin Lust nimmt die Beichten ab.

Kaum ein Genre, kaum eine Kunstform, kaum ein Tabuthema hat sich in den letzten Jahrzehnten derart in die Mitte der Gesellschaft ‚gearbeitet‘ wie die schlichte Nacktheit des Menschen in seiner ursprünglichsten Form. Vor gar nicht allzu langer Zeit noch als ‚Teufels Beitrag‘ verschrien und geächtet, ist Erotik heute allgegenwärtig. Selbst die oft gescholtene Pornographie als strukturelle Untergruppierung der erotischen Vi­sualisierung, hat es zumindest in durchaus repräsentativen Teilbereichen der Gesell­schaft ins Rampenlicht geschafft. Zwar großteils noch immer ein von Männern domi­niertes Genre, so sind die Frauen auch hier auf dem Vormarsch – und als Galionsfigur für das feministisch dominierte Pornokino unserer Tage trägt Erika Lust die Fackel mutig vorneweg.

xconfessions.2014.cover Erika Lust: Innerhalb weniger Jahre hat sich die als Erika Hallqvist geborene Schwedin mit Chuzpe an die Spitze der feministischen Pornographie katapultiert. Nach einem abgeschlossenen Studium der Politikwissenschaften (Schwerpunkt Menschenrecht und Feminismus) an der Universität Lund zog es die Drehbuchautorin, Regisseurin, Produzentin und mittlerweile auch Buchautorin 2000 nach Barcelona. Nach Tätigkei­ten am Theater gründete sie 2004 ihre Produktionsfirma Lust Films, mit der sie sich auf das Genre feministischer Pornofilme spezialisierte. Ihr Indie-Debütkurzfilm The Good Girl (2005) platzte in die Pornofilmszene und erregte nicht nur Aufsehen; ihr allererster Versuch mit dem Erotikfilm wurde kostenlos im Internet herausgebracht, in wenigen Monaten über zwei Millionen Mal heruntergeladen und läutete Ihre Laufbahn als erfolgreiche Filmemacherin moderner Pornos ein. Integriert in ihr Spielfilmdebut Five Hot Stories For Her (2007) – eine Anthologie fünf kurzer Pornogeschichten, der mit mehreren internationalen Preisen ausgezeichnet wurde (FICEB Award, Eroticline-Award, Feminist Porn Awards) – markierte dies ihren Ruf als neuer Shooting Star der Szene.

xconfessions.2014.still2 Das Konzept zu XCONFESSIONS ist so einfach wie innovativ: Anstatt dem Zuschauer die Ideen eines Drehbuchautors vorzusetzen, geht Lust hier den umgekehrten Weg. Das Publikum bestimmt, was passiert – sie gibt dem Konsumenten zur Selbstverwirk­lichung das Medium Film zurück. Auf xconfessions.com erzählen Nutzer anonym von ihren verruchtesten Taten und schmutzigsten Fantasien. Jeden Monat pickt sich Erika zwei dieser Beichten heraus und macht daraus Kurzfilme, die in ihrer erotischen Fi­nesse ihresgleichen suchen. Mit provokanten Titeln wie „My First Time Eating Oysters and Pussy“ oder „I Fucking Love Ikea“ zusätzlich gewürzt, bietet diese Zusammenstel­lung für jeden etwas. Egal, ob der geneigte Zuschauer sich nun für Gruppensex, Rol­lenspiel, Femdom, erotische Spielchen oder Bondage erwärmen kann oder vielleicht auch einfach davon träumt, einmal in seinem eigenen Pornofilm die Hauptrolle spielen zu können. Im eröffnenden Kapitel „Let’s make a porno“ tritt Mrs. Lust mit ihrer Crew gar persönlich als Regisseurin vor die Kamera.

Für die Untermalung der heißen Szenen wurden junge Musiker und Gruppen beauftragt, die jedem der 10 versammelten Kurzfilme ein ganz eigenes musikalisches Kon­zept verpassen. Es dominieren meistenteils die heutzutage so gefragten Drumcomputer, die die Szenerie mit fetten Beats unterlegen. Allerdings leistet sich der Film oftmals ruhige akustische Momente, in denen sich Chilloutklänge in die Ohren schmiegen, samtiges Drum’n’Bass lässt den Zuschauer an mondäne Lounges in spanischen Met­ropolen denken. Vereinzelt legen ruhige Klavierparts Klangteppiche für intime Mo­mente. Der sonst eher als Orchestrator auftretende Joan Martorell kann Selbstkompo­niertes beisteuern, Bands wie Bang Tidy, Gleeden, Dist Urbed, Levels of Violence, Running all the time, Stasis, Smoking-gun und Body and Mind sorgen ebenfalls für stimmigen Background und können sich im Rahmen einer Hochglanzproduktion mit Stil auszeichnen.

xconfessions.2014.still3 Intimatefilm veröffentlichte nach dem ebenfalls von Erika Lust gedrehten Welterfolg CABARET DESIRE (2011) – ihr bisher wahr­scheinlich persönlichster, ehrgeizigster Film – nun den ersten Teil der XCONFESSI­ONS auf DVD und parallel auf Blu-ray. Zu letzterer ist definitiv zu raten, da die in kna­ckigstem HD fotografierten Geschichten hier ihre volle, visuelle Präsenz entfalten. In 16:9 und mit dominantem Stereoton offenbart sich ein rauschhaftes Panorama unter­schiedlichster Settings, variierter Stimmungen und musikalischer Vielfalt. Lediglich bei den Extras gibt sich die Veröffentlichung – ganz im Gegensatz zu den Darstellern – sehr zugeknöpft; lediglich Trailer für andere Produktionen aus dem Labelprogramm finden sich in der Bonussektion.

Erotik, sauber inszeniert, nie schmutzig oder unaussprechlich anzüglich – ‚ansprechend auszüglich‘ könnte man sagen – in hellsten Farben, ohne falsche Scham ser­viert. Sexmuffel aufgepasst: Inspiration heißt das Zauberwort. Bei Erika Lust kann so mancher noch was lernen. Und wer sich im ‚Grundkurs‘ unterfordert fühlt, dem sei gesagt: XCONFESSIONS VOL. 2 (2014) & XCONFESSIONS VOL. 3 (2014) sind be­reits erschienen.

„Möchten Sie auch die Beichte ablegen?“ – „Gerne; und nicht nur die!“

___________________________________________________________

XConfessions By You & Erika Lust, Spanien 2013-2014, Regie: Erika Lust, Mit: Amarna Miller, Carol Vega, Selina Ak, Amber Nevada, Carolina Abril, Coco de Mal u.a.

Anbieter: Intimatefilm