„Der Rechtsanwalt ist ein Erzengel, der für den zahlenden Klienten das Schwert der Gerechtigkeit schwingt und damit alles zerhackt, was ihm in die Quere kommt! Auch seinen Klienten!“.
So verheißt es Furio W. Bertuccia (Vittorio Gassman), Winkeladvokat und niedergelassener Rechtsanwalt mit Zulassung an allen Mailänder Gerichten. Er ist ein solcher ‚Erzengel‘, wenn er auch unumwunden zugibt, von 9 mandatierten Prozessen schon 10 verloren zu haben. Mit seiner Kanzlei steht es nicht zum Besten, er daher mit der Miete umso deutlicher in der Kreide. Da kreuzt die wunderschöne Gloria Bianchi (Pamela Tiffin) seinen Weg und an ihrer Seite stürzt er in kaskadenhaft über ihm zusammenbrechende Abenteuer – für Ihn beginnt in der norditalienischen Upper Clas eine wahre ‚Tour de Force‘!
Viva Italia! So möchte man öfters ausrufen, während man dem Treiben auf dem Bildschirm folgt. Regisseur Giorgio Capitani, der sich zur Entstehungszeit des Filmes auf dem Höhepunkt seiner Bekanntheit befand, wusste mit Komödien umzugehen. Obwohl auch immer wieder in anderen Genres aktiv und mit Western wie Das Gold von Sam Cooper (1967) ebenfalls zu Ehren gekommen, gehörte seine eigentliche Passion der zeitgemäßen Form der Commedia all’italiana. In diesem Genre ist DER ERZENGEL sogar sein vielleicht schönster Film überhaupt: er sprüht geradezu über vor wendungsreichen Drehbuchkniffen, psychedelischen Kameraperspektiven, rasanten Ortswechseln und stimmungsvollem Flair aus dem italienischen Leben der 1960er Jahre. Capitani ist ein Könner, dem es gelingt, das hohe Tempo des Streifens stets zu halten – er lässt keinen Leerlauf zu, gönnt dem Zuschauer keine Verschnaufpause!
Verschnaufen passte auch so gar nicht zu diesem Springinsfeld Furio Bertuccia. Hauptdarsteller Vittorio Gassman, einer der beliebtesten Schauspieler Italiens und von seinen Landsleuten stets mit Laurence Olivier verglichen, geht mit der Rolle des quirligen, von Fettnapf zu Ungemach stolpernden Rechtsverdrehers auf und davon. Er chargiert, er grimassiert, er echauffiert – selten hat man ihn so aufgedreht erlebt, in seinen schnellen Wortstafetten kommt der wunderbare Komiker Gassman voll zum Zuge. Das DER ERZENGEL nicht zu seiner One-Man-Show verkommt, liegt an den begabten Co-Stars. Pamela Tiffin, zuckersüß in Billy Wilders EINS, ZWEI, DREI (1961), wechselt die Stimmungen so rasch wie ihre Perücken, Irina Demick buhlt um die Gunst der Kamera und des Zuschauers. Adolfo Celi schließlich, Bond-Bösewicht aus FEUERBALL (1965), spielt mit Verve einen raffgierigen Plastikfabrikateur und rundet mit seinem gewinnenden Grinsen das sympathische Ensemble ab.
Am Drehbuch war mit Steno ein alter Komödienautor beteiligt, der übrigens später durch DAS SYNDIKAT (1972) die italienische Spielart des Polizeifilms mitentwickelte und als Regisseur beide Genres – Poliziotteschi und Commedia all’italiana – mit SIE NANNTEN IHN PLATTFUß (1973) ansprechend verband. Auch in DER ERZENGEL findet sich am Schluss eine wilde Verfolgungsjagd, die den Fan an Genrehybriden wie Morte sospetta di una minorenne / Suspected Death of a Minor (1975) denken lässt; in Form der Adresse ‚Via Stefano Vanzina‘ verpackte Steno auch noch einen Insidergag innerhalb des Filmgeschehens. Hinter der Kamera stand mit Stelvio Massi zudem ein ausgesprochen versierter Techniker, der wiederum sein Können beweist und mit wirbelnden Arriflexaufnahmen und perfekt den Zeitgeist transmittierenden Bildkompositionen begeistert. Massi verantworte als Regisseur später ebenfalls einige Poliziotteschi.
Piero Umiliani, Jazzmusiker und ‚Mah Nà Mah Nà‘-Erfinder, katapultiert mit seinem Score den Film endgültig in den Olymp der Wohlfühlatmosphäre. Seine Musik punktet mit einem turmhohen ‚Shubi-dubi-dab-dab‘-Faktor, führt das poppige Hauptthema mit Lounge und Bossa durch die unterschiedlichsten Stile, sichert die selbstironischen Suspensemomente ebenso gekonnt ab wie stummfilmerprobte Ragtimepassagen. Über allem thront das von den Choristen des ‚I Cantori Moderni‘ swingend vorgetragene ‚Tema di L’Arcangelo‘, das zu den schönsten und eingängigsten Schöpfungen des Komponisten gezählt werden kann und auch auf dem japanischen Soundtrackrelease zur Geltung kommt – congratulazione, M° Umiliani.
Ein ganz besonderes Kleinod stellt die deutsche Synchronbearbeitung des Filmes dar. Der im Verleih der Centfox erschienene Film erhielt bei der Berliner Synchron GmbH von Wenzel Lüdecke die höheren Weihen, der leider viel zu früh verstorbene Reinhold Brandes – den man aufgrund seines kabarettistisch geschulten Wortwitzes posthum gar nicht genug würdigen kann – besorgte die mundgerechten Zeilen des Dialogbuches. Die Sprecher transportieren kongenial die Stimmung, speziell Claus Biederstaedt dreht für die Rolle des ständig umherwirbelnden ‚Erzengels‘ mächtig auf und auch die restliche Besetzung gehört zur Elite der damals hochklassigen Szene (Ilse Pagé, Dagmar Altrichter, Curt Ackermann, Wolfgang Draeger, Friedrich Schoenfelder, Arnold Marquis, Klaus Miedel, Horst Gentzen).
Big Ben Movies gebührt der Dank, die deutsche Tonfassung von einer raren Kinokopie gerettet und innerhalb der ‚Film Club Edition‘ auf DVD wieder zugänglich gemacht zu haben. Kombiniert mit dem frischen Widescreen-Bildmaster aus Italien, das den Film in sehr guter Qualität mit präziser Schärfe und angenehmen Farben präsentiert, liegt hier eine lohnende Veröffentlichung vor. Der italienische Originalton ist ebenso an Bord wie der nostalgische deutsche Kinotrailer; Limitierung und Wendecover ohne FSK-Logo verstehen sich.
Wer immer etwas mit italienischen Komödien haderte und die zeitgleich entstandenen Lustspiele der Franzosen verzog, dem sei DER ERZENGEL wärmstens empfohlen. Gegen den Unterhaltungsfaktor von Vittorio Gassman müsste auch ein Louis dé Funes sich anstrengen. Selbst wenn Furio Bertuccia die Verteidigung übernimmt – DER ERZENGEL verlässt definitiv als Sieger den Saal!
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L’arcangelo, Italien 1969, Regie: Giorgio Capitani, Mit: Vittorio Gassman, Pamela Tiffin, Irina Demick, Adolfo Celi, Tom Felleghy, Corrado Olmi u.a.
Anbieter: Big Ben Movies