kind44

„Jetzt sind wir dran.“

Da nimmt man einige der feinsten, wandelbarsten, prominentesten oder vielversprechendsten Darsteller des aktuellen Weltkinos (Tom „Mad Max“ Hardy, die einzig wahre „Lisbeth Salander“ Noomi Rapace, Gary Oldman, Vincent Cassel und selbst Newcomer Joel Kinnaman, der „RoboCop“ von 2014) und presse sie durch ein historisches Kriminaldrama nach dem Bestseller Tom Rob Smith – und hat man als Zuschauer das Machwerk durchgestanden, weiß man auch, wieso es nach wochenlangem Werbetamtam in wenige kleine Kinosäle geträufelt wurde und sicherlich sehr bald verschwunden ist …

kind44 So geht’s los (spoilerarm, aber nicht ohne): Leo Demidow – als Junge überlebte er 1933 Kinderheim und Hungersnot, als Soldat hisste er 1945 die Rote Fahne über dem Reichstag in Berlin – ist Offizier des Geheimdienstes MGB in Moskau und ein gewissenhafter, besonnener, mitfühlender, die Gerechtigkeit liebender Ermittler – in Zeiten, in denen all das nicht gefragt ist, ganz im Gegenteil: Unter Genosse Stalin herrschen Ideologie und Willkür, Bespitzelung und Denunziation, Paranoia und Hysterie, Folter und Mord – selbst Leos geliebte Frau, die Lehrerin Raisa gerät unter Verdacht, eine Spionin zu sein. Eines Tages wird Leos Patensohn, das Kind seines Kollegen und Freunds Alexei Andrejew, tot nahe den Bahngleisen gefunden – gefoltert und chirurgisch traktiert. Da Mord aber nur ein Auswuchs des kranken Kapitalismus sei – im paradiesischen Kommunismus hingegen undenkbar, fälscht Major Kuzmin die Akte, gibt die Mordumstände als tragisches Zugunglück aus – und wer sein Leben liebt, der schweigt dazu.

Zufällig erfährt Leo von einem ähnlichen Fall, doch bevor er heimlich weiter ermitteln kann, werden er und Raisa ein Opfer von Kuzmin und Leos eiskaltem, psychopathischem Untergebenem Wassili Nikitin: Beide werden ins abgelegene Provinznest Wolks verbannt, wo Leo der Miliz zugeordnet und Raisa zur Putzfrau degradiert wird. Als dort eine dritte Knabenleiche auftaucht, wieder in der Nähe der Gleise, kann Leo seinen neuen Vorgesetzten General Mikhail Nesterov davon überzeugen, dass hier ein Serientäter am Werk ist, der stets den Zug nimmt, und dass sie beide diesen Täter fassen müssen…

Kommentar: Unendlich schade, wie hier ein an sich faszinierender Stoff total vergurkt wurde: Die epische Handlung, die Jahrzehnte umfasst und tausende von Kilometern überbrückt, wird zu einer „Reader’s Digest“-ähnlichen Volksversion zusammengestaucht, die fast nur noch als Abfolge von Plot Points und Twists existiert, mitunter derart verkürzt, dass komplexere Motive aufs Grundsätzlichste reduziert sind und Zusammenhänge sich beinahe auflösen. Was bleibt, ist die grobe Abfolge von Action, Action, Action, versetzt mit Gefühlsszenen, die dann wieder alle Zeit der Welt zu haben scheinen.

Die zum Platzen vollgestopften, schlecht getimten 137 Minuten mit ihren viel zu vielen, nur kurz angerissenen, nicht auserzählten Figuren, Subgeschichten, Bedeutungsebenen (Entmenschlichung von Kindern ohne Eltern, Verzweiflung eines Killers (Waterboarding im Heimgebrauch?), auf Stakkatosekunden minimierte Folterverhöre, die fahrlässige Beinahe-Gleichsetzung von Homosexualität und Päderastie u.v.m.) werden so atemlos dahingekuddelmuddelt, dass selbst mehrere Momente, in denen Hitchcock’scher Suspense möglich wäre, hoffnungslos an die Wand knallen – eben weil die Zeit fehlt, die Szenen anständig zu entwickeln.

Eine rüde Messerstecherei im Viehwaggon und ein finales Duell im Schlamm sind schließlich derart heftig verschnippelt, dass man kaum folgen kann – und es eigentlich auch gar nicht mehr will. Nur die Zeichnung der Sowjetunion als totalitäre Hölle auf Erden überzeugt, und auch der romantische Kern von der Bewährung einer Liebe, die keine war, ist hinreichend entwickelt und weiß zu rühren. Aber das rettet den Film leider auch nicht mehr. Als ausgebauter, sagen wir mal TV-Sechsteiler wäre „KIND 44“ ein Hingucker, als Kino-Rumpffassung ist er eine große Enttäuschung (auch der geniale Kameramann Oliver Wood liefert mit seinen Fakescope-Bildern nur Mittelmaß) und sollte eher „Das Beste aus Kind 44“ bzw. „Highlights from Child 44“ heißen.

Erschienen auf TV Spielfilm Blog

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Child 44 (Kind 44), GB / USA / Tschechische Republik / Rumänien 2015 | Regie: Daniel Espinosa | Mit: Tom Hardy, Noomi Rapace, Gary Oldman, Joel Kinnaman u.a. | Laufzeit: 137 Minuten, Verleih: Concorde Filmverleih (Kinostart: 04.06.2015).