Von Bodo Traber
In edler Veröffentlichung neu vorgelegt wurden jüngst Sergio Sollimas LA RESA DEI CONTI (DER GEHETZTE DER SIERRA MADRE, 1966) und FACCIA A FACCIA (VON ANGESICHT ZU ANGESICHT, 1967) zwei der wichtigsten und besten Werke der Gattung „Italowestern“ überhaupt. Ihre Bedeutung steht bis heute jedoch in seltsamem Kontrast zu ihrem Bekanntheitsgrad. Während die berühmten Filme, etwa Sergio Leones oder Sergio Corbuccis, seit Jahrzehnten als Meilensteine des Genres geschätzt und gewürdigt werden, können Sollimas Meisterwerke nach wie vor als gesuchte Geheimtipps gelten. Zunächst in klassischer Dreier-Box – der dritte Film der Trilogie ist CORRI UOMO CORRI von 1968 – bei Koch Media erschienen, erlebten LA RESA DEI CONTI und CORRI UOMO CORRI (LAUF UM DEIN LEBEN, 1968) später Neuauflagen. Manko bei der Koch-Auflage von LA RESA DEI CONTI blieb, dass man den seinerzeit für den deutschen Kinoeinsatz stark gekürzten Film nur mit angelegter Kino-Synchronisation und Untertitelung der damals fehlenden Szenen sehen konnte, was anhand derer schieren Anzahl und des permanenten Wechsels den Genuss etwas schmälerte. Die neue Edition von Explosive Media behebt das Problem, indem sie den Klassiker zusätzlich mit der jüngeren, in den 1990er Jahren fürs Fernsehen erstellten, integralen Synchronisation präsentiert. Eine der je zwei Hauptrollen in allen drei Filmen spielt der von Sollima für den Genrefilm entdeckte kubanische Schauspieler Tomás Milián, der international zum Publikumsliebling wurde. In LA RESA DEI CONTI agiert er neben Lee van Cleef, der Jonathan Corbett spielt; einen Kopfgeldjäger, der als texanischer Kandidat für den Senat aufgestellt und von einem Großrancher, der ein gewaltiges Eisenbahngeschäft plant, für eine Menschenjagd eingespannt wird. Der mexikanische Tagelöhner Cuchillo (= Das Messer), mit dem Milián zu einer Lebensrolle fand, soll ein kleines Mädchen vergewaltigt und ermordet haben. Corbett folgt dem Flüchtigen in die Sierra, ahnt aber bald, dass er für ein Komplott missbraucht wird…
In FACCIA A FACCIA ist Milián der amtsmüde Banditenboss Beauregard Bennet, der an einen unerwarteten Weggefährten gerät. Der lungenkranke Bostoner Professor Brett Fletcher, gespielt von Gian Maria Volonté, scheint zunächst eine humanistische Vision in den Wilden Westen zu bringen, wird dann aber von der ihn umgebenden Gewalt derart fasziniert, dass er sich zum brutalsten Halunken des Territoriums wandelt.
Sergio Sollima gefällt sich bis heute in der Rolle des Genre-Revolutionärs, der etwa erstmals einen mexikanischen Underdog zum Helden gemacht und eine Figur wie den Killer von Schulenburg in LA RESA DEI CONTI erfunden hat, einen österreichischen Offizier komplett mit Cape und Monokel, der sich im fernen Westen als exotisches Schmuckstück ausmacht, aber ein gefährlicher Gegner für Lee van Cleefs stoischen Protagonisten ist (bezeichnend, dass die Figur aus der alten deutschen Fassung so vollständig entfernt wurde wie sonst nur die Nazis aus alten Anti-Nazi-Filmen). Tatsächlich aber macht ihre Deutung des schmutzigen Kapitalismus als Triebfeder von Korruption und Verfall, ihre vielfältige Werktätigen-Sympathie (durch die wunderbare Darstellung Miliáns) und etwa die Frage nach der Formung eines menschlichen Charakters durch Gesellschaft oder Gene in Gestalt der Wandlung eines bourgeoisen Gutmenschen zum Mörder, während der Bandit die Waffe wegwirft, die Trilogie zum seltenen Beispiel bewusst politisch-intellektueller Thesen ebenso wie spannenden Erzählkinos. Beide Filme profitieren zudem sehr von der Musik Ennio Morricones, die sich als hervorstechende Genrearbeiten neben jenen für Sergio Leone erweisen. Das umfangreiche Bonusmaterial besteht im Kern, auf beiden Editionen, aus einer langen Dokumentation, in der ein bereits auf der Koch-Ausgabe veröffentlichtes Interview mit Sollima unter anderem um eines mit Tomás Milián erweitert wurde. Hochinteressant sind dabei nicht nur ihre unterschiedlichen historischen Erinnerungen, sondern auch Miliáns Selbstverständnis. Er wirft dem Regisseur und ebenso der damaligen italienischen Filmindustrie eben jene Herabwürdigung von Latinoamerikanern – im Umgang mit seiner Person – vor, die die Filme eigentlich anprangern. Nun, da druckt man lieber die Legende…
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La resa dei conti, Italien/Spanien 1966, Regie: Sergio Sollima, Mit: Lee Van Cleef, Tomás Milián, Luisa Rivelli, Walter Barnes, Fernando Sancho, Nieves Navarro u.a.
Faccia a faccia, Italien/Spanien 1967, Regie: Sergio Sollima, Mit: Tomás Milián, Gian Maria Volontè, William Berger, Jolanda Modio, Carole André, Nello Pazzafini u.a.
Anbieter: Explosive Media