Von Bodo Traber
Zuweilen sinniert man über Dinge, die hätten sein können, wenn bestimmte Entwicklungen anders verlaufen wären; dazu gehören immer wieder gern Filme, die nicht oder nicht in der ursprünglich geplanten Form zustande kamen. Der poetischere Urtitel THE SILENT FLUTE steht noch im Abspann dieses Films, der martialisch als CIRCLE OF IRON verliehen wurde und Endresultat eines legendären Drehbuchprojekts war, das Bruce Lee mit James Coburn und dem Autor Stirling Silliphant (er schrieb etwa DER DRITTE IM HINTERHALT, in dem Lee eine Nebenrolle spielte) entwickelt hatte und in Südostasien realisieren wollte. Lee zielte mit diesem ambitionierten Projekt auf eine Verbindung aus Martial Arts mit fernöstlicher Philosophie, um einem westlichen Publikum fernöstliche Lehren zu vermitteln. „Wahre Meisterschaft geht über jegliche einzelne Kunstfertigkeit hinaus,“ schrieb er im Vorwort des Skripts, das sich der Begegnung eines Kung-Fu-Schülers mit einem hohen Meister der Weisheit und des Kampfes widmete; die Hauptrollen wollten Coburn und Lee selbst übernehmen. Das Projekt scheiterte indes schon Jahre vor Bruce Lees Tod an persönlichen Konflikten, bevor es in eher familientauglicher Form wiederkehrte.
Der 1978 doch noch realisierte Film, in dem David Carradine nun in dem einst für Bruce Lee erdachten Part zu sehen ist, spielt in einer Fantasy-Welt, in der sich der ehrgeizige Kämpfer Cord (Jeff Cooper anstelle von James Coburn) aufmacht, um den großen Meister Zetan zu finden und zum Kampf zu fordern, der, wie es heißt, ein Buch hüten soll, das die Geheimnisse des Lebens und des Universums beinhaltet. Cords Weg ist gesäumt von verschiedenen Prüfungen und Gefahren, und immer wieder trifft er auf einen geheimnisvollen blinden Meister, der ihn auf kryptische Wege der Erleuchtung führt.
„Zen trifft Zatoichi“ könnte man die eigenartige Motivmixtur betiteln, die leider weder als Martial-Arts-Film noch als Fantasy-Abenteuer, geschweige denn als philosophischer Exkurs zu Ruhm gelangte und bei deren kuriosen Schlenkern hintergründigen Humors und grotesker Albernheit man sich niemals sicher sein kann, ob sie beabsichtigt sind. David Carradine (1936-2009) hatte zuvor einige Bekanntheit durch die TV-Serie KUNG FU (1972-75) erlangt und erscheint in diesem Film in mehreren Inkarnationen, von denen eine schräger als die andere ist. Gaststars wie Roddy McDowall, Eli Wallach und Christopher Lee brillieren in je einer Szene und mit seltsamen Mützen.
In Deutschland lief DAS GEHEIMNIS DES BLINDEN MEISTERS ein einziges Mal 1986 in der Reihe „Der phantastische Film“ im ZDF und bekam dafür zumindest eine hochwertige Synchronisation spendiert. Die DVD erlaubt die Entdeckung eines lange verschwundenen Kuriosums, das meist nur als Schatten jenes Films wahrgenommen wurde, der es hätte sein können, sich aber aus heutiger Sicht als vielleicht unikate und doch faszinierend zeittypische Symbiose aus Esoterik, Ironie und New Hollywood erweist – Dokument einer Epoche, die offensichtlich noch verrückter war als die unsere.
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The Silent Flute / Circle of Iron, USA 1978, R: Richard Moore, D: David Carradine, Jerr Cooper, Erica Greer, Anthony De Longis, Christopher Lee, u.a.
Anbieter: Cherrybomb Films