Von Masken und Dämonen. Von Gerd Naumann

Von Gerd Naumann

Im Grunde ist der Italiener Lamberto Bava nicht zu beneiden, da er durch seinen Familiennamen eine immense Hypothek mit sich herumträgt. Berichterstattungen, Interviews und Reportagen zu seiner Person kommen nicht ohne die Erwähnung aus, dass er der Sohn des legendären Mario Bava ist, jenes Schöpfers so bedeutender phantastischer Filme wie DIE STUNDE, WENN DRACULA KOMMT (LA MASCHERA DEL DEMONIO, 1960), DIE DREI GESICHTER DER FURCHT (I TRE VOLTI DELLA PAURA, 1963) oder PLANET DER VAMPIRE (TERRORE NELLO SPAZIO, 1965).

Die künstlerische Karriere Lamberto Bavas, in der er ebenfalls häufig phantastische Sujets bedient, fordert Vergleiche mit dem großen Vater geradezu heraus. Dabei steht seine Regiekarriere wie kaum eine andere für die gravierenden Umbrüche innerhalb der italienischen Kinoindustrie. In einer Familie von Filmschaffenden aufgewachsen, erlebte er noch die Blütezeit des kommerziellen italienischen Kinos. Als Regisseur setzte er sich in den 1980er Jahren durch, einem Jahrzehnt, in dem die alten Produktionsformeln der rasch produzierten seriellen Formate im Kino nicht mehr zündeten.

macabro In die Fußstapfen des Vaters trat der 1944 geborene Lamberto allerdings sehr behutsam. Bereits in jungen Jahren assistierte er seinem Vater bei vielen Kinoproduktionen, war unter anderem an der Entstehung solcher Meisterwerke wie DIE TOTEN AUGEN DES DR. DRACULA (OPERAZIONE PAURA, 1966) und IM BLUTRAUSCH DES SATANS (REAZIONE A CATENA, 1971) beteiligt. Zunächst lediglich im Bereich der Produktionsassistenz tätig, war er später als Regieassistent mehr und mehr in kreative Entscheidungen involviert. Bei SHOCK (1977), dem letzten Film seines Vaters, inszenierte Lamberto Bava ganze Szenenfolgen. 1980 arbeiteten Vater und Sohn ein letztes Mal zusammen, an Dario Argentos HORROR INFERNAL (INFERNO, 1980) – Lamberto als Regieassistent, Mario als Berater für die Spezialeffekte. Wenn Mario Bava auch kurze Zeit darauf verstarb, so erlebte er trotzdem noch, wie sein Sohn mit MACABRO – DIE KÜSSE DER JANE BAXTER (MACABRO, 1980) erstmals einen eigenen Film inszenierte. Nicht ohne Stolz berichtet Lamberto des öfteren, wie sein Vater nach Ansicht dieses Horrorthrillers konstatierte, nun könne er selbst mit ruhigem Gewissen seinen Beruf niederlegen.

Bereits vor dem Tod Mario Bavas hatte die Blütezeit des italienischen Genre-Kinos ihr Ende gefunden, Lambertos Etablierung als Regisseur fiel nun zusammen mit der letzten existentiellen Krise des italienischen Kinos, ausgelöst durch den Boom privater TV-Stationen und der kommerziellen Übermacht amerikanischer Konkurrenzprodukte. Hierdurch bedingt, konnte Lamberto Bava nur noch einige Jahre reine Kinoproduktionen realisieren, um dann in der Folge zunächst auf TV-Koproduktionen und danach reine TV-Produktionen umzuschwenken.

blastfighter Nachdem Bava 1982 in der Funktion eines Regieassistenten an Dario Argentos Neo-Giallo TENEBRAE (TENEBRE) mitgewirkt hatte, betrat er mit seinem zweiten eigenen Film DAS HAUS MIT DEM DUNKLEN KELLER (LA CASA CON LA SCALA NEL BUIO, 1983) ähnliches Genre-Terrain. Allerdings wollte er sich in der Folge wohl nicht auf das von seinem Vater so sehr geprägte Horror-Genre festlegen lassen und legte mit BLASTFIGHTER – DER EXEKUTOR (BLASTFIGHTER, 1984) einen kompetent gemachten Actionfilm vor, dessen Plot nicht von ungefähr an den damaligen Kinoerfolg RAMBO (FIRST BLOOD, 1982) erinnert. Mit dem Creature-Feature DER MONSTER-HAI (SHARK ROSSO NELL’OCEANO, 1984) versuchte sich Bava am populären Tierhorrorgenre, wenn auch künstlerisch weniger gelungen. Zwar wirkten hier Genrekino-Ikonen wie Gianni Garko, William Berger und Dagmar Lassander mit, doch ist dem Film sein vergleichsweise schmales Budget jederzeit anzumerken. Als Beispiel sei unter anderem das inadäquate Modell des prähistorischen Horror-Hais genannt, das vermutlich aus diesem Grunde nicht länger als jeweils nur wenige Sekunden im Bild zu sehen war. Sowohl BLASTFIGHTER als auch den MONSTER-HAI drehte Bava übrigens unter dem Pseudonym seines Vaters, John Old, das dieser in den 1960er Jahren annehmen musste, da sich die Produktionsverantwortlichen hiervon eine bessere Vermarktung in den USA versprachen. Lamberto Bava fügte dem Pseudonym ein „Jr.“ hinzu und bekannte sich so posthum zu seinem Vater und Übervater.

demoni-lamberto-bava-1985 Zu den Regie-Höhepunkten in Lamberto Bavas Kinowerk zählen sicherlich die beiden von Dario Argento produzierten DÄMONEN-Filme (DÈMONI, 1985, und DÈMONI 2… L’INCUBO RITORNA, 1986), die ästhetische Traditionen Mario Bavas in die 1980er Jahre transponierten. In stark stilisierten Sequenzen inszeniert und in knalligen Farben ausgeleuchtet, wirkten die titelgebenden Höllenwesen fast wie Monster des klassischen Horrorkinos, nur dass sie inzwischen zu Rockmusik Jagd auf Teenager machten und mit brachialen Splatter-Effekten aufwarteten.

Danach wandte sich Bava mit Filmen wie MIDNIGHT KILLER (MORIRAI A MEZZANOTTE, 1985) und DAS UNHEIMLICHE AUGE (LE FOTO DI GIOIA, 1987) wieder dem international noch immer profitabel auswertbaren Genre des Erotik-Thrillers zu. Als italienischer Regisseur stand er damit für Genrefans im direkten Vergleich mit den großen Giallo-Regisseuren des vorangegangenen Jahrzehnts und hierdurch oft in der Kritik. Dabei wird allerdings oftmals übersehen, dass dieser Vergleich nicht unbedingt im Sinne des Regisseurs ist. In einem Interview nach Vorbildern befragt, nannte Lamberto Bava in jener Zeit nämlich nicht in erster Linie die bildgewaltigen Werke seiner Mentoren Mario Bava und des frühen Dario Argento, sondern moderner und kühler inszenierte amerikanische Filme.
Es ist verständlich, dass er sich nach Jahrzehnten der Mitwirkung an dem speziellen ästhetischen Kosmos der klassischen Horror- und Gialli-Produktionen nun offensichtlich in eine andere, für ihn neue und herausfordernde Richtung orientierte. In dieser Hinsicht steht Bava auch Dario Argento sehr nahe, der mit TENEBRE dem Giallo einen entscheidenden Impuls gab, da er das Geschehen fast durchweg in lichtdurchfluteten Interieurs ablaufen ließ. Die Spannungserzeugung in diesen Filmen der 1980er Jahre bezog ihren Reiz nicht zuletzt auch durch den Kontrast von einerseits etablierten filmischen Mitteln und andererseits dem Bruch mit Inszenierungsgepflogenheiten. Ein Film-Mord konnte von nun an auch im Hellen bedrohlich wirken…

6passi Gemessen an den barockeren Giallo-Vorgängern pflegt Lamberto Bava einen als vergleichsweise aseptisch zu bezeichnenden Inszenierungsstil. Bava weiß um die technische Dimension des Filmemachens, vernachlässigt jedoch oftmals die Dramaturgie und die Figurenzeichnung seiner Filme. Zwar folgen seine Arbeiten einer klassischen Struktur, jedoch erstaunt es, dass es ihm meist nicht darauf anzukommen scheint, seine Geschichte anhand planvoller und umsichtiger visueller Gestaltungsmöglichkeiten zu erzählen und weiterzuentwickeln. Wo sein Vater ein filigranes Gespür für Farbwirkung und Bildgestaltung einsetzte, erzählt Lamberto in einer schnörkellosen Bildsprache. Mario Bava gab seinen Figuren wie auch der Handlung einen optischen Widerhall, bei Lamberto sind die Figuren offenkundig bloße Schablonen. Die Schauspieler und die von ihnen verkörperten Rollen bewegen sich in einem jederzeit als solchem erkennbaren filmischen Raum, der bisweilen sogar etwas profan Dokumentarisches hat. Die bereits im Drehbuch angelegte holzschnittartige Charakterzeichnung der Filmfiguren wird gerade durch diesen schnörkellosen Inszenierungsstil offengelegt, der Genrefilm ist jederzeit eindeutig als Unterhaltungsprodukt ausgewiesen.

Inwieweit dieser Inszenierungsstil freiwillig gewählt oder den Produktionsbedingungen geschuldet ist, muss offen bleiben. Wer Lamberto Bavas Thriller mit den Gialli der 1970er Jahre vergleicht, darf nicht vergessen, dass sich die technische Komponente des Filmemachens deutlich verändert hatte. Anstelle in ausladendem Breitwandformat wurde verstärkt in fernsehkompatiblem Vollbildformat gedreht, die Filmsets und Kostüme hatten den nostalgischen Charme der 1970er Jahre verloren und das rational-unterkühlte Erscheinungsbild der 1980er Jahre angenommen. Auch die filmmusikalische Gestaltung hatte sich verändert. Dominierten in den 1960er und 1970er Jahren Jazz- und Lounge-Klänge, kamen im italienischen Genrekino nunmehr verstärkt Elektronik und Pop-Musik zum Einsatz.

dinner_vampire Wie seine bekannteren Regiekollegen Lucio Fulci und Sergio Martino inszenierte in den 1980er Jahren auch Lamberto Bava zwangsläufig Phantastik- und Grusel-Stoffe im Auftrag italienischer Kabelsender. Innerhalb der Sendereihe BRIVIDO GIALLO zeichnete er für die Filme DIE GRUFT (UNA NOTTE AL CIMITERO, 1987), BACK FROM HELL – EIN TOTER KEHRT ZURÜCK (FINO ALLA MORTE, 1987), GHOSTHOUSE 2 – DAS UNGEHEUER LEBT (LA CASA DELL’ORCO, 1988) und DINNER WITH THE VAMPIRE (A CENA COL VAMPIRO, 1987) verantwortlich, letzterer immerhin mit Genre-Legende George Hilton in der Titelrolle. Die frei an klassischen Horrorstoffen orientierten Plots gaben Bava zwar die Möglichkeit, das Terrain seines Vaters zu betreten und neu zu interpretieren, krankten aber an den finanziellen und ästhetischen Beschränkungen von TV-Produktionen jener Zeit.

Zeitgleich mit BODY PUZZLE – MIT BLUTIGEN GRÜSSEN (BODY PUZZLE, 1991), mit dem ihm ein erfolgreicher Wiedereinstand im Kinofilm gelang, entstand für das Fernsehen Lamberto Bavas wohl bekannteste und erfolgreichste Arbeit, die über Italien hinaus populäre, aufwendig hergestellte märchenhafte Fantasy-Reihe um PRINZESSIN FANTAGHIRÒ (FANTAGHIRÒ, 1991-1996). Hiermit erreichte er weit mehr Zuschauer, auch in Deutschland, als mit seinen Thriller- und Horrorproduktionen. Schlussendlich hatte er so im Fernsehen den sicheren Hafen gefunden, den ihm die Kinoindustrie seines Landes nicht mehr bieten konnte. Vereinzelten Versuchen auch im Kino wieder Fuß zu fassen war danach kein Erfolg beschieden. So etwa fand der international koproduzierte GHOST SON (2007) kaum Beachtung.

Fantaghiro Dass Lamberto Bava das Handwerk des Filmemachens und der filmischen Gestaltung souverän beherrscht, steht außer Frage. Gerade in seinen frühen Regiearbeiten finden sich eindrucksvolle Szenen, die ihre Wirkung im audiovisuellen Zusammenspiel entfalten. So ist schon der Vorspann seines Regiedebüts MACABRO ein Lehrstück darüber, wie mit Rhythmusgefühl und Montage eine besondere Stimmung eingefangen werden kann. Die schwelgerische Titelmusik Ubaldo Continiellos, die mit einem sinnlichen Saxophonsolo aufwarten kann, harmoniert wunderbar mit den New-Orleans-Aufnahmen Franco Delli Collis. In den beiden DÄMONEN-Filmen haben Pop- und Rocksongs einen immensen dramaturgischen Stellenwert. Auch der Actionfilm BLASTFIGHTER bezieht einen Großteil seiner harten und kompromisslosen Sogwirkung durch den klugen Einsatz von Fabio Frizzis energiegeladener Musik.

Tatsächlich ist Lamberto Bava, so abwegig es zunächst klingen mag, im Grunde ein musikalischer, um nicht zu sagen auditiver Regisseur. Der glatten Bildästhetik der 1980er Jahre setzt er neben einer dominierenden Filmmusik auch eine bis ins Detail ausgearbeitete Tonspur entgegen. Diese Art der filmischen Gestaltung wurde mit dem Niedergang der italienischen Filmindustrie in Frage gestellt. Die zunehmende Bedeutung von Videomarkt und Fernsehproduktionen mit dem Beginn der 1980er Jahre hatte zur Folge, dass für Filmproduktionen immer weniger Geld zur Verfügung stand. Leidtragende waren insbesondere auch die Filmkomponisten und im Allgemeinen die Tongestaltung. Gerade akustisch dröge Fernsehproduktionen wie DIE GRUFT verdeutlichen, wie sehr Bava auf die auditive Ebene angewiesen ist. Die nüchterne Effizienz seiner Bildgestaltung prädestiniert ihn hingegen gerade für das Fernsehen. Hierin vielleicht liegt das tragische Moment in Lamberto Bavas Regiekarriere.