Als der russische Regisseur Aleksei German 2013 im Alter von 74 Jahren verstarb, hinterließ er mit einem Oeuvre von sechs abendfüllenden Spielfilmen ein eher überschaubares Erbe, das ihm jedoch noch zu Lebzeiten in seiner Heimat den Ruf eines legendären und überaus einflussreichen Künstlers eingebracht hatte. Bei ihm lernte auch Aleksei Balabanov, der mit Genrefilmen russischer Prägung wie CARGO 200 auch international bekannt wurde. Schon Germans erster komplett selbstverantworteter Film STRASSENSPERRE (1971) verschaffte ihm Anerkennung, wenn auch nur kurz: Mit seiner auf jegliche Glorifizierung verzichtenden Schilderung der sowjetischen Geschichte während der Nazizeit stieß er bei den Kulturverantwortlichen auf wenig Gegenliebe. Das Werk wurde verboten und erst in den neunzehnhundertachtziger Jahren zur Zeit der Perestroika wieder freigegeben. Seinen sechsten Film ES IST SCHWER, EIN GOTT ZU SEIN hatte German über einen Zeitraum von sechs Jahren gedreht, konnte aber die Postproduktion nicht mehr selbst beenden. Er starb nur wenige Wochen vor der geplanten Premiere. Das Projekt wurde von seiner Witwe und Koautorin Svetlana Karmalita und dem gemeinsamen Sohn Aleksei German Jr. mit weiterer sechsmonatiger Verzögerung abgeschlossen. Dabei war die erste Drehbuchfassung schon 1967 entstanden, noch unter Beteiligung von Boris Strugatzki, einem der beiden Autoren der berühmten literarischen Vorlage gleichen Namens. Politische Veränderungen, Finanzierungsprobleme und nicht zuletzt auch Peter Fleischmanns mit German konkurrierende filmische Interpretation des Romans von 1989 (ES IST NICHT LEICHT, EIN GOTT ZU SEIN) sorgten immer wieder dafür, dass er sein Projekt beerdigen musste, ganz vergessen konnte er es jedoch nie. Der letzte und entscheidende Anlauf zur Realisierung sollte fünfzehn Jahre dauern. Das Ergebnis dieser Mühen ist jetzt in einer herausragenden Edition bei Bildstörung erschienen.
Wissenschaftler werden auf den erdähnlichen Planeten Arkanar entsandt, um dort den Übergang einer mittelalterlichen Gesellschaft in die Renaissance zu beobachten. Direktes Eingreifen ist ihnen verboten, und so können sie zunächst nur tatenlos zusehen, wie die ersten behutsamen Anzeichen einer Veränderung im Keim erstickt, Intellektuelle und Künstler verschleppt und getötet werden. Doch es fällt dem namenlosen Protagonisten, der für die Planetenbewohner als Nachfahre eines Gottes gilt und von ihnen Don Rumata genannt wird, zunehmend schwer, in Anbetracht all der Gewalt untätig zu bleiben. Als Historiker um die eigene Geschichte wissend, wird er immer mehr zu einem aktiv Partizipierenden. Die Folgen seines Eingreifens sind jedoch anders als erwartet.
Mag die Beschreibung noch einen konventionellen Film vermuten lassen, so trifft dies eher auf Fleischmanns trashig anmutende, dem Erzählkino verhaftete Version zu. German hingegen, macht es dem Zuschauer alles andere als leicht. Keine Frage, der Einstieg in seinen Film bedeutet Arbeit, doch wenn man sich einmal mit den langen Plansequenzen treiben lässt – und dafür hat man bei einer Laufzeit von fast drei Stunden genug Zeit -, entwickelt sich ein faszinierender Sog. Da ist die Bedeutung hinter der düsteren Bilderflut zunächst einmal zweitrangig. Immer wieder wechselt die Kameraperspektive: Mal sind es die subjektiven Beobachtungen einzelner Charaktere bis hin zu Nebenfiguren, mal die Sicht des Protagonisten durch seine alles dokumentierende Kamera, die er in Form eines Edelsteins auf der Stirn trägt. Manchmal ist es auch einfach nur das filmische Auge, das das Geschehen aufzeichnet. GOTT gewinnt durch die archaische Kraft der ungeschönten Bilder. In brillantem Schwarzweiß mit perfektionistischem Produktionsdesign mit viel Liebe zum bizarren Detail entsteht eine Ästhetik der Hässlichkeit – ein Monument aus Dreck und Kot; Zerfall von außen wie von innen. German offeriert eine neue, aber auch anstrengende Seherfahrung – fernab jedes Hollywood Mainstreams, aber auch genausoweit entfernt von dem, was man herkömmlich von einem Science Fiction Film erwarten würde. Stattdessen ist GOTT in seiner Zeichnung einer vergangenen Zeit der vielleicht beste Mittelalterfilm überhaupt, der eigentlich keiner sein will und auch tatsächlich mehr Aktualität birgt als so manchem lieb sein kann. Für German ist GOTT ein Film über das Aufkommen des Faschismus. Dass eine Zuordnung zu einer politischen Epoche aufgrund der langen Entstehungszeit des Projektes schwierig ist, zeigt umso mehr, dass German einen universellen Film über die Manipulierbarkeit und letztendlich auch frustrierende Primitivität der Menschheit im Sinn hatte. Dass GOTT im Vergleich zum Buch ein deutlich pessimistischeres Ende erhalten hat, mag nur denjenigen überraschen, der glaubt, dass der Homo Sapiens aus seiner Geschichte auch nur irgendetwas Positives gelernt hätte.
Zur Erschließung von Germans filmischem Universum, das außerhalb seiner Heimat bisher nur wenigen Cineasten bekannt war, liefert Bildstörung eine riesige Sammlung an begleitendem Material. Neben einem dicken Booklet mit einer „Bedienungsanleitung“ zum Durchstehen des Films voller interessanter Interpretationsanregungen und einem langen Interview mit German, gibt es einen erhellenden Audiokommentar von Barbara Wurm und SI-Veteran Olaf Möller. Die zweite Disc – eine DVD – liefert weitere Dokumentationen, eine erhellende Filmanalyse von Daniel Bird, Interviews mit German (von 1988) sowie seiner Witwe und seinem Sohn. Für so einen Film wurde das Medium gemacht: Beim ersten Betrachten irritiert, genervt, überwältigt und fasziniert sein, dann die Hintergründe erkunden, um schließlich beliebig oft in Germans Welt wiedereinzutauchen – wenn man sich denn die Mühe machen mag. Der Film selbst liegt in brillanter Bildqualität in russischem Originalton mit deutschen Untertiteln vor. Eine über jeden Zweifel erhabene Edition. Angenehmer und interessanter kann die Auseinandersetzung mit einem durchaus sperrigen Werk kaum gemacht werden.
___________________________________________________________
Trudno byt bogom, Russland 2013, R: Aleksei German, D: Leonid Yarmolnik, Aleksandr Chutko, Yuriy Tsurilo u.v.a.
Anbieter: Bildstörung