Atypisch beginnt die HETZJAGD OHNE GNADE. Zu einer burlesken Combomelodie schiebt sich die Kamera durch das nächtliche Getümmel auf den Straßen Mailands. Man begleitet einen Mann, Luca Antieri (Luc Merenda), stolz auf seiner Vespa die Straße entlangtuckernd. Die Musik mit ihren Pianoakkorden lässt an Rummel denken, an Verspieltheit. Und ein Spieler ist Luca – ein Zocker, der seine Gegner regelmäßig beim Pokern über den Tisch zieht. Bis ihn ‚Der Präsident‘ (Enrico Maria Salerno) für seine Zwecke einspannt. Luca tauscht Cordhose gegen Nadelstreifen und stellt nunmehr sein Können in den Dienst der ‚Bank‘. Doch dann trifft er Marie-Luisa (Dayle Haddon) und brennt mit ihr durch. Ungünstig für die beiden: er hat sie dem verrückten Sohn des ‚Präsidenten‘ ausgespannt. Denn während der ‚Präsident‘ mit Intelligenz arbeitet, ist sein Sohn ein brutaler Derwisch, der nun auf Rache sinnt. Für Luca und Marie-Luisa beginnt ein Wettlauf mit dem Tod!
Martinos Kino hat hier fest das Bauchgefühl des Zuschauers im Blick. Besser, als sich mit einer Exposition oder dem langen Herausarbeiten von Gefühlen aufzuhalten, geht HETZJAGD OHNE GNADE den direkten Weg – ganz ohne Netz und doppelten Boden. Da kann es schon passieren, dass Momente des unbeschreiblichen und geradezu exzessiv gefilmten Glückes von Luca und Marie-Luisa innerhalb von zwei, drei Schnittfolgen in unendliche und wenig zimperlich servierte Todtraurigkeit umschlagen. Doch – und das ist die eigentliche Kunst des Genrekinos – wenn sich der Zuschauer erstmal daran gewöhnt hat, ist jedes Gefühl genauso wahrhaftig, wie es in einem kanonisierten Filmklassiker wäre. Vielleicht sogar noch etwas zwingender, da Martino auf den Bauch und nicht den Kopf schielt. Dass Luc Merenda und Dayle Haddon keine schauspielerischen Schwergewichte sind, stört da nicht. Denn für diese Rollenklischees bringen sie jenes Maß an Authentizität mit, die heute oftmals so sehr fehlt. Und dass ein Enrico Maria Salerno selbst grau geschminkt und im Rollstuhl sitzend den Rest noch an die Wand spielt – wer mag darüber traurig sein?
Die deutsche Bearbeitung des Filmes, die erst einige Jahre später entstand, verstärkt den dramatischen Part des Filmes sogar noch. Neben den adelnden Synchronsprechern, deren Frontmann Klaus Kindler für Merenda tätig werden darf, ist auch der erweiterte Musikeinsatz bemerkbar. Neben einem alternativen Arrangement des durch Donna Summer zum Welthit gewordenen ‚Hot Stuff‘, das den Film akustisch in die Nähe der Arbeiten Gerhard Heinz‘ für die erfolgreichen Lisa-Filmproduktionen rückt, finden als Leitmotive für Marie-Luisa sogar Roberto Pregadios wehmütige Discostomper aus VERFLUCHT ZUM TÖTEN (1978) Verwendung.
… und am Ende des Tages werden wir wohl nie ganz begreifen, dass – von einigen lobenswerten deutschen Ausnahmen abgesehen – derart schnörkelloses und kompro-missloses Genrekino zu dieser Zeit fast nur noch bei unseren südlichen Freunden möglich war. Wenn Sergio Martino uns dieses Thrillerdrama anpreist, dann mit einem Selbstverständnis, das uns Staunen lässt … und zumindest für uns kein Zweifel mehr besteht, wohin der nächste Auslands-Oscar gehen sollte!
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La città gioca d’azzardo, I 1974/1975, R: Sergio Martino, D: Luc Merenda, Dayle Haddon, Corrado Pani, Enrico Maria Salerno, Lino Troisi, Tom Felleghy
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