Lebst Du noch oder wohnst Du schon? Von Rudi Specht

Von Rudi Specht

Ein Regisseur, der noch nie zuvor einen Langfilm inszeniert hat, und ein Drehbuchautor, der sich als Gelegenheitsschauspieler mit kleinen Nebenrollen über Wasser hält, beschließen ohne nennenswertes Budget in einem Zeitfenster von sechzehn Tagen einen Thriller zu drehen… und produzieren dabei nichts anderes als ein kleines, heimliches Meisterwerk des Home-Invasion-Genres, wie es klaustrophobischer und beklemmender kaum sein könnte.

Cover-SKIN Mary und Mark Hughes versuchen zusammen mit ihrem Sohn Brendon in dem abgelegenen Landhaus, das ihnen Marks Großvater vererbt hat, den Unfalltod ihrer kleinen Tochter zu verarbeiten, an dem sich Mark (hervorragend kühl umgesetzt von Joshua Close, eben besagtem Schauspieler, der auch das Drehbuch zu diesem Film schrieb) die Schuld gibt, da er sie nicht rechtzeitig von der Schule abgeholt hat. Doch Ruhe ist ihnen nicht vergönnt, da in aller Frühe die angebliche Nachbarsfamilie Sikowsky, bestehend aus Vater Bobby, Mutter Jane und Sohn Jared, lärmend als Geste des guten Willens und Begründung freundlicher Nachbarschaft Brennholz in den Garten der Familie Hughes liefert. Mark Hughes sieht sich genötigt, gegen seinen Willen und angefüllt mit einem mulmigen Gefühl, die freundlichen Baumerntelieferanten zu einem gemeinsamen Abendessen einzuladen. Das mulmige Gefühl verstärkt sich, als die Sikowskys der Ruhe suchenden Familie bohrende Fragen zu all ihren Lebensumständen stellen, unbemerkt Gesten und Sprachduktus imitieren (was in der englischen Originalversion natürlich wesentlich deutlicher zu hören ist als in der deutschen Synchronfassung) und immer wieder betonen, wie perfekt das Leben der Familie Hughes doch auf sie wirkt. Schließlich zeigen die Sikowskys ihr wahres Gesicht und das, was mit einem nachbarschaftlichen Abendessen zur Einhaltung gesellschaftlicher Konventionen für Mark, Mary und Brendon Hughes begann, wandelt sich zu einem Nerven zerreißenden Alptraum in den eigenen vier Wänden.

Skin006 IN THEIR SKIN, der im Original übrigens den Namen REPLICAS trägt, fesselt von der ersten Einstellung an erst den Zuschauer und später die Protagonisten und hält die Spannung konstant bis zum Schluss aufrecht. Vergleichbar vielleicht mit Wes Cravens DAS LETZTE HAUS LINKS (1972), wenn auch in seiner Vehemenz nicht ganz so weit gehend, rührt der Film an den Urängsten eines jeden Zuschauers, nämlich dort bedrängt und bedroht zu werden, dort Angst zu empfinden und um sein Leben kämpfen zu müssen, wo er es am wenigsten erwartet und am wenigsten erfahren möchte: in den heimischen vier Wänden. Das Prinzip des “My home is my castle” wird hier aus den Angeln gehoben und die Verletzbarkeit des eigenen Heims, die Anfälligkeit der Schutz vorgaukelnden Trutzburg vor Augen geführt. Der Hund, der in den Köpfen vieler Menschen noch als Beschützer der Familie gilt, wird eiskalt erschossen, die Mobilität durch das Aufschlitzen der Autoreifen genommen, die Kommunikation mit der Außenwelt durch Zerstörung des Telefons einfach abgeschnitten. Und plötzlich mutiert das Heim, das zuvor noch für einen Rückzugsort, einen Raum der persönlichen Freiheit, stand, zu einer Isolationszelle, aus der es kein Entkommen gibt. Fragen werden gestellt, Schubladen durchwühlt, die Kleidung der Hausbesitzer getragen, deren Namen und Identitäten angenommen, das Schlafzimmer als Ort der intimsten Zweisamkeit entweiht, ja, sogar beim innigsten Akt der Liebe wird aus Gründen des Imitierens zugesehen. Nichts bleibt hier verborgen, alles wird ans Licht gebracht.

Skin002 Dies alles wird in sehr realitätsnahen Bildern und kammerspielartiger Atmosphäre inszeniert, von sehr guten Schauspielern wie Selma Blair (HELLBOY) als Mary, Drehbuchautor Joshua Close als ihrem Mann Mark und vor allem auch James D’Arcy (BROADCHURCH, CLOUD ATLAS) umgesetzt. Beklemmung, Unruhe und unterschwellige Bedrohung sind die Begleiter des Zuschauers durch den Film. Dieser Film hinterlässt nachhaltig Spuren, nistet sich in den hintersten Hirnwindungen ein, um dann immer wieder zum Vorschein zu kommen, wenn sich die Gelegenheit bietet.

Und seit IN THEIR SKIN – SIE WOLLEN DEIN LEBEN ertappe ich mich dabei, dass ich allabendlich nachprüfe, ob die Wohnungstür auch wirklich fest verschlossen ist. Hut ab und Tür zu!

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In Their Skin – Sie Wollen Dein Leben, Kanada 2012, R: Jeremy Power Regimbal, D: Selma Blair, Joshua Close, James D’Arcy, Rachel Miner, Quinn Lord

Anbieter: Donau Film