Von Gerd Naumann
Der 1936 geborene David Hess ist ein vielseitiger Künstler. Seine Musikkarriere begann 1957 unter dem Pseudonym David Hill. Als Komponist schrieb er erfolgreiche Titel für Sal Mineo oder Elvis Presley. Einen Nummer Eins-Erfolg verfasste er 1963 mit „Speedy Gonzalez“, der von Pat Boone gesungen wurde. Neben diversen Soloalben war er auch Koautor der Oper „The Naked Carmen“. Einem größeren Publikum wurde Hess aber als Schauspieler und Komponist von Filmsongs bekannt. So spielte er 1972 eine Hauptrolle in THE LAST HOUSE ON THE LEFT, dem ersten Spielfilm von Wes Craven. Sowohl die intensive Darstellung des sadistischen Mörders wie auch seine kontrapunktisch eingesetzte Filmmusik suchen im Genre ihresgleichen. Vor allem im europäischen Kino wurde er in den Folgejahren als Darsteller eingesetzt. Die Bandbreite reichte hier vom Horrorfilm, etwa Ruggero Deodatos LA CASA SPERDUTA NEL PARCO bis hin zu Roland Klicks Meisterwerk WHITE STAR. David Hess ist somit einer der wenigen Musiker und Komponisten, die sowohl vor als auch hinter der Kamera aktiv sind.
Obwohl Sie in den USA geboren wurden, haben Sie sehr lange in Deutschland gelebt. Sehen sie sich eher als Amerikaner oder als Deutscher?
Halb und halb. Ich habe deutsch-russische Wurzeln, denn meide beiden Großeltern waren Immigranten. Meine Mutter war eine Opernsängerin, somit waren wir Kinder in den Nachkriegsjahren oft alleine mit unseren Großeltern. Im Grunde bin ich mit der deutschen und der französischen Sprache aufgewachsen, aber gleichzeitig wurde zu Hause Deutsch gesprochen. Ich habe nicht mit viel mit ihnen gesprochen, aber ich habe sie verstanden. Es ist nur konsequent, dass ich mich nicht hundertprozentig als Amerikaner fühle. Ich bin ein Amerikaner, das steht außer Frage. Viel lieber aber sehe ich mich als Weltbürger und mich verbindet offensichtlich ein sehr enges Band mit Deutschland.
Damit bewegen Sie sich kulturell immer zwischen den Welten.
Ich denke, ich bin in beiden Welten zu Hause – in Europa und in den Vereinigten Staaten. Ich bin sehr von Long Island beeinflusst, wuchs dort auf. Vor allem haben mich eine ganze Menge amerikanischer Blues-Musiker geprägt. Zur selben Zeit aber, meine Mutter war ja eine Opernsängerin, kam ich sehr früh mit den europäischen Komponisten in Berührung. Schon als ich klein war, fühlte ich mich ihnen sehr nahe. Es ist also die Mischung aus beidem. Eine Mischung aus amerikanischem Folk und Blues, ein bisschen Musik von Long Island und auch ein wenig von Brasilien. Auf der anderen Seite bin ich ein klassisch ausgebildeter Musiker.
Wie kommen sie denn mit dem Spagat zwischen diesen Kulturkreisen zurecht?
Ich versuche meinen Sinn für Humor zu bewahren. (lacht) Ich lach immer, nehme es nicht allzu ernst. Für mich ist das Leben eine wundervolle Reise. Es ist eine Illusion und ich versuche meine Musik parallel dazu zu machen. Außerdem schreibe ich, denn ich bin ein Lyriker. Das ist eine sehr bedeutende Aufgabe. Ich ergänze die Musik mit Gedanken und dann sind es verbalisierte Gedanken. Auch hier ist es wieder so, dass ich die Dinge nicht allzu ernst nehme. Ich bin mehr ironisch. Wenn man anfängt das Leben zu ernst zu nehmen, dann glaubt man auch an diese ganzen Dinge. Sie sind nicht wahr.
Sie wollen nicht an die Realität glauben, weil die Dinge sowieso nicht wahr sein können?
Nein. Ich sehe es eher weitschweifiger. Ich denke, dass wir hier sind um bestimmte Herausforderungen zu bewältigen die notwendig sind, um sie von einem kraftvolleren Blickwinkel aus zu lösen. Menschen sind soziale Tiere. Sie sind nicht dafür bestimmt zu kämpfen. Sie sollen Freude haben.
Kann denn Musik die Welt verändern?
Absolut. Ich bin froh, dass Sie diese Frage stellen. Ich wollte immer die wesentlichen Gedanken, die ich mit mir trug, weitergeben. Mein ganzes Leben ist eine einzige Frage. Was geschieht, wenn alle unsere Sinne nicht mehr vorhanden sind? Riechen, hören, berühren oder schmecken. Meine Antwort ist, dass man immer die Möglichkeit hat Musik zu hören. Sie ist Energie, sie ist Bewegung. Man wird diesen Sinn immer in sich tragen, sogar wenn man über keine anderen verfügen könnte. In dieser Hinsicht denke ich, dass Musik einen auf der organisch höchsten Stufe berührt. Das ist die höchste Stufe der Empfindung, die uns das Universum bietet. Und daher, ja! Musik kann das menschliche Unheil auf dieser Welt verändern.
Dabei lässt sich Musik auch für politische Absichten nutzen.
Wir nutzen Musik doch auch politisch, oder? Das ist vollkommen richtig. Betrachten wir den Literaturbetrieb oder die Filmindustrie. Sie haben einen bestimmten Punkt der Sättigung erreicht und bleiben nun dabei. Die Musik bleibt auch weiterhin in Bewegung. Dank dem elektronischen Zeitalter und Dank der Möglichkeit zu Hause aufzunehmen. Jeder kann irgendeine Aussage machen, denn das Internet hat eine ganz andere Welt eröffnet. Es ist gut Musiker zu sein. Vielleicht hat man kein Geld oder auch nicht die richtige politische Gesinnung um einen Plattenvertrag zu bekommen. Man hat aber immer noch das Internet, um seine Ideen und Musik zu veröffentlichen. Manchmal springt darauf auch jemand an. Daher hat Musik heute sogar einen größeren Einfluss als sie zuvor hatte. Und das wird sich fortsetzen.
Musikgeschmack ist scheinbar immer eine Frage der Generationen. Wie erklären sie sich die wachsende Zahl neuer und junger Musiker?
Eine Generation ist für mich nicht das Verhältnis von Vater zu Sohn oder von Mutter zu Tochter. Sagen wir, dass eine Generation zwanzig Jahre umfasst. Es gab die 60er und die 70er, dann kamen die 80er und die 90er. Die heutige Generation ähnelt den 70ern und späten 60ern. Der Grund: Jeder sollte über sich selber lachen können, denn das ist der einzige Weg Spaß zu haben. Wenn ich das sage, dann nehme ich trotzdem mein kreatives Bestreben sehr ernst. Wenn meine Arbeit erst einmal in der Welt ist, dann ist sie ein Teil der Welt. Ich muss meine Persönlichkeit bewahren. Ich denke, dass Ihre Generation mit all dieser unglaublichen Technik aufgewachsen ist. Auch mit dieser unglaublichen Wiederbelebung von Kunst und Musik, und die Kreativität honoriert das. In den 80ern und 90ern war es zu ernst, doch dann wurde es zu einschränkend. Wir haben heute wieder viele große politische Veränderungen und eine Menge an persönlicher Freiheit. An einem bestimmten Punkt sagte die junge Generation: „Hey, das ist genug. Wir sind vor allem trotzdem Individuen und möchten unsere persönlichen Freiheiten bewahren.“ Genau das haben wir auch in den 60ern und 70ern gemacht und daher sehe ich hier eine Verbindung.
Sie haben auf ihre persönliche Freiheit immer Wert gelegt. Erst waren Sie ein erfolgreicher Musiker und wurden dann auch noch Schauspieler. Eine ihrer ersten Rollen war 1972 die des „bad guy“ in Wes Cravens THE LAST HOUSE ON THE LEFT. Warum wurden sie Schauspieler?
Ich wollte mich selbst ergründen, meine eigenen Probleme mit der verdrängten Wut und dem Wissen darüber. Zu der Zeit war im Film der „baddie“, der Bösewicht, im Grunde ein Cartoon, denn er war zweidimensional. Ich wollte die dritte Dimension erkunden, sie durchbrechen und damit wirklich in das Herz der Zuschauer vordringen.
Bei diesem Film waren Sie nicht nur Darsteller, sondern haben auch die Filmmusik geschrieben und aufgenommen…
Ich wollte diese Normalität eines Serienmörders oder Abnormalen zeigen, der Morde und andere Verbrechen begeht. Man bemerkt sie nicht, denn sie sehen genau wie jeder andere aus, sind aber in Wirklichkeit vollkommen anders. Das wollte ich unterstützen und daher schrieb ich eine Musik, die das kontrapunktieren sollte. Die Musik entspricht also nicht dem, was auf der Leinwand zu sehen ist, aber sie gleicht es aus. Daher habe ich etwas sehr humorvolles oder auch leichtes für eine Szene geschrieben, die absolut entsetzlich ist und es somit ergänzt. Für mich war es alles eine Selbsterfahrung. Genau wie das Leben. Ich nehme mich selbst ja nicht so ernst.
Sie standen auch in Roland Klicks WHITE STAR vor der Kamera.
Roland ist einer der am wenigsten verstandenen, brillanten Regisseure unserer Zeit ist. Man hätte ihm das Geld geben sollen, dass er brauchte, damit er all das hätte machen können was er wollte. Er war ein Visionär. Damals habe ich viel für den „Filmverlag der Autoren“ in München gearbeitet, denn ich war einer der wenigen Amerikaner die deutsch sprechen konnten. „Hier ist einer, der wirklich die Sprache sprechen möchte.“, hieß es. Ich liebe diese Sprache, also warum soll ich sie nicht sprechen.
Der Film hatte eine schwierige Produktionsgeschichte, auch weil der Hauptdarsteller Dennis Hopper zu dieser Zeit nicht berechenbar war.
Es war schwierig, weil Dennis Hopper damals heftig unter Drogen stand. Man wusste nie, ob er auch am Set erscheinen würde. Es war unglaublich problematisch mit ihm zu arbeiten. Er war völlig egozentrisch und spielte damals auch nicht sehr sauber. War er brillant? Nein, er war es nicht wirklich. Er war auf sich selber fixiert und Roland musste die ganze Zeit um ihn herum arbeiten.
Aber Sie mögen WHITE STAR?
Der Film ist eine versteckte Perle. Es war einer der ersten Filme, in denen Amerikaner und Deutsche zugleich in einem Film über das Nachkriegsdeutschland auftraten. So wurde das bis dahin noch nicht erzählt, deshalb ist es ein wichtiger Film. Natürlich ist es eine Christus-Geschichte und ich spiele den Judas-Charakter. Das wollte ich schon immer spielen, denn ich mag den Judas lieber als die anderen Apostel. (lacht) Nun gibt es ja neue Interpretationen, nach denen Judas kein so schlimmer Mensch war. Vielleicht ist er der einzige Visionär in der Jesus-Mythologie.
In THE LAST HOUSE ON THE LEFT verkörpern sie ja auch diese zwei Seiten…
Genau. Es ist verrückt, dass sie das alles zur Sprache bringen, denn das ist ein Rollentyp den ich immer erforscht habe. Wann immer ich eine Rolle interessant finde, dann ist es wegen der menschlichen Seite. Es gibt mehr als nur die menschliche Seite, denn da gibt es noch viele andere. Ich möchte all die menschlichen Fassaden erforschen. Es ist egal, ob ich einen heroischen Typen oder einen schrecklichen, den Bösewicht, spiele. In allen Rollen steckt eine menschliche Seite. Das war immer mein Mantra bei der Rollenwahl.
Wer waren denn für sie wichtige Menschen auf dem Weg zum Schauspieler?
Ich wuchs mit John Cassavetes auf, obwohl er viel älter war als ich. Wir haben uns vor allem in den Anfangsjahren meiner Karriere unterhalten. Wir trafen uns in der Stadt und haben zusammen gegessen. Dann gab es einen Darsteller aus den 40er Jahren, John Garfield, der einfach unglaublich war. Wer hat mich noch inspiriert? Nicht viele der englischen Darsteller, obwohl ich mit Laurence Olivier zu tun hatte. Das waren alles Menschen, die mehr als diese zweidimensionalen Charaktere spielten. Vor allem liebe ich Filme von Karl Valentin, dem bayrischen Komiker. Mein Gott, was er da über die Gesellschaft aussagte war unglaublich. Ich werde nun älter und all diese Menschen sind verfügbar, denn es gibt das Fernsehen. Ich wollte bei meinen Beziehungen zu anderen Menschen nie das Gewöhnliche. Immer suchte ich nach der Wahrheit.
Kommen wir noch einmal auf ihre Musik zurück. Vor einiger Zeit erschien ihre CD „Climbing Up The Sunshine Path“, auf der Sie vorwiegend Titel aus den 60ern gekoppelt haben. Neben fröhlichen Songs, etwa „Central Park“, haben mich auch einige melancholische Titel überrascht. Ich denke da an den Titel „Girls of Summer“…
Sie können sagen, dass es für Sie nostalgisch ist, hier aber war es sogar für mich nostalgisch. Man sah damals den sich verändernden politischen Horizont und es gab nicht mehr diese Freiheit der Unschuld. Ich habe diesen Song, neben „Central Park“, in New York geschrieben. Was geschieht mit der Stadt? Wo ist diese Unschuld? Die Menschen sterben in den Straßen und es gibt Schießereien. Die Stadt verlor damals ihre Unschuld und 2001 verlor durch die Twin Towers auch das Land seine Unschuld. Ich möchte nicht sagen, dass ich das alles vorausgesehen habe. Warum können wir nicht mit dem zufrieden sein, was wir haben? Warum müssen wir all diese Chemikalien in die Welt pumpen? Warum ich einen Song geschrieben habe, der so süß und unschuldig ist? Weil er hinter das gehen sollte, was die Musik und der Text aussagen und damit anregen sollte, solche Fragen zu stellen.
Einer ihrer bekanntesten Songs ist „Speedy Gonzales“, in dem auch eine unterschwellige politische Botschaft mitschwingt.
Ich war damals ein schwer beschäftigter Songschreiber. Die Leute liebten alles was ich schrieb. Damals hatte ich sogar einen Plattenvertrag mit der RCA Records. Wir beschlossen eine Art politischer Satire über mexikanische Flüchtlinge, die über die Grenzen Arizonas oder New Mexico kamen, zu schreiben. Wir wollten nicht, dass die Grenzen geschlossen wurden… “Speedy Gonzales, why dont you come home? I don´t want to.” Das bezog sich auf die Ehefrau. Es ist ja so, dass man einen Song schreibt und darin eine unterschwellige Aussage hat, die man wirklich mitteilen möchte. Nicht jeder macht es so, aber doch die politisch und kulturell Interessierten. Es gibt beim Hören dieses Songs verschiedene Ebenen. Wenn man ihn schreibt, fließen diese Energien durch einen und doch will man etwas, das auch kommerziell ist. Wie also macht man etwas, das sowohl kommerziell ist als auch die für einen wichtige Aussage transportiert? Das ist immer die Herausforderung, wenn man gute Songs schreibt.
Als Musiker und auch als Schauspieler sind sie bekannt. Hatten sie jemals das Verlangen ein Star zu sein?
Ich denke, dass jeder dieses Verlangen hat. Andy Warhol meinte, dass jeder seine fünfzehn Minuten Ruhm hat. Wie ich damit umgegangen bin? Ich habe es einfach gemacht. Ich habe nie viel über das nachgedacht, was mir in meinem Leben widerfahren ist. Das Wichtigste ist, wie man sich täglich zu anderen Personen verhält. Es ist wichtig ehrlich zu sein und es ist wichtig zu lieben. Es ist wichtig sich um andere Menschen zu kümmern, Beziehungen zu entwickeln und diese Menschen auch für sich Sorge tragen zu lassen. Ich tat was ich tat, weil ich keine andere Wahl hatte. Wenn es die Leute mochten, es kommerziell war, und sie mir Geld dafür gaben, war das ein Bonus. Ich möchte ihnen eine kleine Geschichte erzählen, weil ich darüber gestern Abend nachgedacht habe. Es gab eine Frau, Bette Davis, und sie war in den USA ein großer Star. Sie hatte jahrelang nicht gearbeitet und wollte ihre Karriere neu beleben. Sie schaltete also Anzeigen in der Variety und dem Hollywood Reporter. „Hey, ich bin noch hier. Ich bin Bette Davis. Ich habe drei Academy Awards gewonnen. Wieso kann ich nicht arbeiten?“ Das ist für mich wirklich die Essenz unserer Kulturindustrie. Es entscheiden hier nicht mehr länger die Menschen, die an den Prozess der Kreativität glauben. Es entscheiden diejenigen, die an den Dollar und an den Sinn glauben. Etwas auf kreative Weise zu machen, das Verlangen nach Kreativität, scheint nicht mehr länger nützlich zu sein. Die jüngere Generation, meine Kinder etwa, geht wieder zurück zu den Ursprüngen. Sie machen es, weil sie es wirklich möchten und nicht weil Geld mit im Spiel ist. Wenn meine Karriere sich dem Ende neigen sollte, dann ist es nicht wirklich wichtig, Jeder junge Mensch, der in der Unterhaltungsbranche anfangen will, das klingt vielleicht komisch, sollte ehrlich zu sich selber sein. Das Leben geht weiter. Man lebt das Leben, das man einfach führen soll. Es ist unnötig Pläne zu machen, die nicht in der nächsten Zukunft liegen. Es ist wichtiger kreativ zu bleiben und etwas zu machen, das wirklich einen Sinn macht und was wichtig ist, um sich selber auszudrücken.
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Anmerkung: Das Interview wurde im Juni 2005 geführt.