Von Rudi Specht
Schon zu Beginn dieser Rezension sei ob des darin wiederkehrenden Gebrauchs eines bestimmten Wortes um Abbitte gebeten. Es handelt sich um den Begriff des Schnösels, der, vermutlich im 19. Jahrhundert entstanden, umgangssprachlich einen arroganten, eingebildeten, eitlen bis gleichgültigen, meist jüngeren Mann bezeichnet. Und von diesen Schnöseln tummeln sich in diesem Film eine ganze Menge.
Der in Göttingen geborene Regisseur Götz Schauder rief bereits 2013 im Videoportal Vimeo zu finanzieller Unterstützung auf, um diesen seinen ersten dokumentarischen Langfilm auf DVD veröffentlichen zu können und hat dafür tatsächlich auch genau einen „Like“ bekommen, was das allgemeine Interesse der deutschen Zuschauer an diesem doch sehr speziellen Thema kaum besser zum Ausdruck bringen könnte. Schauder selbst studierte Visuelle Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, schloss dort das Studium mit einem einundzwanzigminütigen Dokumentarfilm über Barber Shops, also meist auf Herrenfrisuren spezialisierte Barbierstuben in Frankfurt, ab, den er auf BETA-SP-Film drehte, um dann knapp zehn Jahre später mit den Dreharbeiten zu DIRIGENTEN zu beginnen.
Der Film versucht, eine Gruppe von Teilnehmern des Sir-Georg-Solti-Dirigentenwettbewerbs auf ihrem Weg durch diesen zu begleiten. Der Wettbewerb wurde nach dem ungarisch-britischen Dirigenten jüdischer Abstammung Georg Solti benannt, der, unabhängig von der Musikrichtung, bis heute mit einer Anzahl von 31 die meisten Grammys aller Zeiten erhielt, und wird im zweijährigen Turnus in Frankfurt ausgetragen. In diesem Film von 2015 wird wohlgemerkt der Wettbewerb aus dem Jahr 2013 präsentiert.
Regisseur Schauder wählt vier Teilnehmer und eine Teilnehmerin aus und erklärt sie zu seinen Protagonisten. So lernen wir den sympathischen britischen Jungdirigenten James Lowe kennen und vor allem die absolut außergewöhnliche Alondra de la Parra. De la Parra, als Frau sowieso eine Ausnahmeerscheinung im männerdominierten Dirigententum, wuchs in Mexiko auf und gründete 2004 im zarten Alter von 23 Jahren in New York das Philharmonic Orchestra of the Americas mit dem Ziel, die Arbeit junger Komponisten und Solisten in Nord- und Südamerika zu fördern. Und als ob das allein nicht schon ausreichen würde, erscheint sie uns hier in diesem Film als die absolute Sympathieträgerin, lächelnd, ruhig, unprätentiös, selbstbewusst ohne überheblich zu wirken, professionell und wahnsinnig charmant. De la Parra trägt uns wie auf sanften Schwingen orchestralen Aufwindes durch die ersten vierzig Minuten des Films, erscheint jedes Mal als Lichtblick, wenn einer der anderen schnöseligen Wettbewerbsteilnehmer uns gerade die Lust am Film nimmt und versetzt uns mit ihrem so gefühlvollen Dirigat und ihren sanften Bewegungen in beinahe hypnotische Beobachtungszustände. Dieser Frau möchte man stundenlang einfach nur zusehen. Und genau das wird dem Film zum Verhängnis. De la Parra übersteht die erste Wettbewerbsrunde nicht, steigt ins Taxi und fliegt zurück nach New York. Rumms. Verzweifelt klammern wir Zuschauer uns an den Briten James Lowe… der ebenfalls ausscheidet. Aus die Maus. Schluss mit lustig. Ab hier wird es richtig hart…zäh…lang…langatmig…langsam…breiig… Es schlägt die Stunde der Schnösel.
Regisseur Schauder setzt uns Andreas Hotz vor, mittlerweile Generalmusikdirektor des Osnabrücker Sinfonieorchesters, der zumindest im Film einen Schnösel allererster Kajüte abliefert. Endlos von oben herab dozierend, stolziert er vor dem Orchester auf und ab und vermittelt dabei unweigerlich den Eindruck, als glaube er, nur er allein könne musikalische Erfahrungen vorweisen, was er faktisch zu diesem Zeitpunkt zweifellos weniger kann als viele der Ensemblemitglieder des Orchesters. An Schnöseligkeit überboten wird er allerdings nur noch von dem aus Usbekistan stammenden Aziz Shokhakimov, der zuerst gar nicht so unsympathisch daherkommt, dann aber seiner Missgunst, seinem Neid, seiner überheblichen Selbsteinschätzung freien Lauf lässt. Zuletzt sieht sich Schnösel Shokhakimov nicht mal in der Lage, Schnösel Hotz, der immerhin als einer von Dreien ins Finale einzieht, zu applaudieren und beschließt außerdem nie wieder an diesem Wettbewerb teilzunehmen. Zwei Jahre später tut er es aber dann doch und gewinnt wieder nicht. Und der Film gerät vollkommen aus dem Ruder und trudelt im Sinkflug, den sanften Schwingen beraubt, in die Abgründe nachmittäglicher werbefinanzierter Realityformate aus der Feder ideengehemmter Privatsenderpraktikanten.
Auch ästhetisch baut der Film zusehends ab. Befindet sich die Kamera auf einem Stativ, werden die Schwenks ruckelig und hektisch ausgeführt, wird aus der freien Hand gefilmt, ist das Bild unscharf und schlecht kadriert. Der Ton ist nicht besonders gelungen, das Bild körnig und sogar die Linse verschmutzt. Kurz gesagt kommt der Film über den ästhetischen Anspruch einer studentischen Abschlussarbeit nicht hinaus. Auch gelingt es Schauder nicht, Nähe zu den Protagonisten aufzubauen, präsentiert sie uns nur als so genannte „Talking Heads“ in abgesetzten Interviewsituationen, bei denen lediglich Belanglosigkeiten kundgetan werden. Niemand scheint eine Geschichte zu haben, alles bleibt glatt und oberflächlich. Diese Distanz macht sich leider auch in der Ästhetik der Filmaufnahmen des Orchesters bemerkbar. Die ständigen Unschärfen resultieren wohl aus einer zu großen Entfernung zwischen Kamera und Objekt, was zur Folge hat, das bei der kleinsten Bewegung der dirigierende Mensch aus der Schärfe fällt. Grand malheur.
Zu guter Letzt wird der Zuschauer dann doch noch einmal versöhnlich, als der im Film zu kurz geratene fünfte Protagonist, der Asiate Shizuo Z Kuwahara sein finales Dirigat zelebriert. Sowieso angetrieben von dem Wunsch, dass bitte kein Schnösel gewinnen möge, sieht man an ihm aber auch sehr schön, wie sich die Spreu vom Weizen unterscheidet. Vollkommen verdient gewinnt Kuwahara. Und das ganz ohne Verwendung eines Taktstocks.
Und so zeigen uns sowohl Gewinner als auch Film: Ohne das entsprechende Werkzeug kann man durchaus erfolgreich sein, sofern denn das Talent vorhanden ist.
Es ist wirklich bedauerlich, da DIRIGENTEN wirklich ein interessanter Dokumentarfilm hätte werden können. So bleibt er nur ein visueller Knoten im Taschentuch des World Wide Web, der daran erinnern soll, doch mal die Homepage Alondra de la Parras zu besuchen.
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Dirigenten – Jede Bewegung zählt!, Deutschland 2015, R: Götz Schauder, D: Alondra de la Parra, Andreas Hotz, Aziz Shokhakimov, James Lowe, Shizuo Z Kuwahara
Anbieter: mindjazz pictures