„Mr. De Palma, wie haben Sie das gemacht?“ Brian De Palma verdient es, wie Hitchcock behandelt zu werden. Als einzig wahrer Nachfolger des wohl größten Regisseurs der Filmgeschichte soll auch er sich zu Lebzeiten erklären dürfen. Wie damals Hitchcock seinem großen Fan Truffaut. De Palma tut dies in einem lnterview, angereichert mit Filmausschnitten und Fotodokumenten.
Brian de Palma gehört zu den großen sechs Vertretern des New Hollywood, die damals alle auf die eine oder andere Art zusammenspannten: Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, George Lucas, Steven Spielberg, Paul Schrader. De Palma genießt – völlig zu Unrecht – von all jenen möglicherweise am wenigsten Akzeptanz. Dabei sind einige seiner besten Filme wahre Meisterwerke eines postmodernen Filmschaffens, in dem Eklektizismus in seiner vielleicht raffiniertesten Anwendung eine neue Art des Erschaffens von Inhalten schuf. BLOW OUT (1981) und BODY DOUBLE (1984) waren in ihrer Zeit wohl die modernsten Filme der Epoche, Filme, in denen Filmsprache und ihre Codes auf nie dagewesene Art angewendet wurden.
In der Dokumentation von Noah Baumbach und Jake Paltrow kann sich der Regisseur zwar nur etwa 100 Minuten lang erklären, doch das genügt immerhin, um seine formale und inhaltliche Meisterschaft zu erfassen. Das ist begeisternd und faszinierend zugleich.
Der Film beginnt mit Schriftsetzungen wie bei Godard, was kein Zufall ist. Auch wenn De Palma Godards WEEKEND nur einmal kurz als Einfluss benennt, so wird doch deutlich, dass die Revitalisierung Hitchcocks, die De Palma betreibt, ohne den Einfluss von Godard niemals zu dieser Modernität gefunden hätte.
De Palma erzählt gut gelaunt im Plauderton über seine Anfänge, was Spaß macht, weil er all die New Hollywood-Regisseure als Freunde aufbieten kann, weil er Robert De Niro entdeckte, weil er schon früh mit Leuten wie Orson Welles und Bernard Herrmann zusammenarbeitete und weil nicht zuletzt Regieanfängern im Hollywood der frühen Siebziger Möglichkeiten für Experimente offenstanden. Offenbar konnte man einfach in die Studios gehen und all die Dinge benutzen, die da herumstanden.
Zügig werden wir auch durch den Rest seines Oeuvres geführt, nicht ohne vor einigen der aufregendsten Stellen der Filmgeschichte aus den spannungsgetriebenen Meisterwerken der Siebziger Halt zu machen. Vor den atemberaubenden Split-Screen-Szenen in SISTERS (1972) etwa, der ewig gedehnten, blutüberströmten Abschlussball-Szene und der Rückwärtskamera am Grab in CARRIE (1976) und nicht zuletzt vor dem unterschätzten Telekinese-Thriller THE FURY (1978), dessen achtfache Explosion eines Kopfes allerdings ausgelassen wurde.
Mit DRESSED TO KILL (1980) beginnt dann die außerordentlichste Phase des Regisseurs, mit den erwähnten BLOW OUT, BODY DOUBLE und SCARFACE (1982), in der die Kritik oft nur noch die überbordende Gewalt und die pervertierte Sexualität sehen wollte, die aber – mit Ausnahme von SCARFACE – an Vielschichtigkeit kaum zu übertreffen sind. Dass diese Phase wohl die Meisterschaft De Palmas bedeutete, vermag diese Dokumentation allerdings nicht richtig heraus zu schälen.
De Palma selbst schätzt die beiden Folgefilme: den wunderbar durchchoreografierten Mafiafilm THE UNTOUCHABLES (1987) mit großer Oper, Eisensteinscher Treppenszene (PANZERKREUZER POTEMKIN) und Connery, Costner und De Niro (über den sich De Palma allerdings ärgerte: „Bobby was not learning his lines“) und den Vietnamfilm CASUALTIES OF WAR (1989), eine erfolglose Herzensangelegenheit, in dem die brutale Vergewaltigung einer Vietnamesin zur Metapher für Amerikas Krieg wurde.
Der richtige Flop, auch künstlerisch, folgte dann jedoch mit der Tom-Wolfe-Verfilmung BONFIRE OF VANITIES (1990), bei dem De Palma offenbar nur verlieren konnte. Es hätte eigentlich sein THE MAGNIFICENT AMBERSONS oder sein THE SWEET SMELL OF SUCCESS werden können – doch in diesem Stil wäre BONFIRE OF VANITIES zum „career ender“ geworden, moniert er. Also ging De Palma viele, allzu viele, Kompromisse und Konzessionen ein. Mit dem Fazit: „A desaster.“
Ab dann werden De Palmas Aussagen reflektierender. Zu seinem vielleicht letzten wirklich großen Werk, CARLITOS WAY (1993), erklärt er uns seinen Job: „Being a director is being a watcher.“ Und er meint damit auch am Set: „… in the sense that you have a lot of egos in the room and you have to sort of watch how they interact together.“
Zu FEMME FATALE (2002), dem formal irren Erotikthriller lässt er dann die Muschi aus dem Sack: „I have a very complicated, intricate way of looking at things. I have to force myself to work in very straight lines. When it gets in my hands it’s gonna start getting twisted and seen through reflections and refractions. Creating suspense is creating distraction from the impending tragedy.“
Und am Ende der Dokumentation, zu seinem bisher letzten Film PASSION (2012) wird noch einmal der Bogen zu Hitchcock geschlagen: „People talk about Hitchcock being so influential. I never found too many people who followed Hitchcock except for me.“ Tatsächlich erschuf Hitchcock dieses vielschichtige Vokabular von filmischen und dramaturgischen Mitteln, von denen vor allem ersteres kaum je von Filmemachern weiterverwendet wurde. Außer eben von Brian De Palma, der sich vor allem an VERTIGO, REAR WINDOW und PSYCHO exzessiv bediente und damit vielschichtige Meisterwerke der Spannung und zur Zeitgeschichte schuf. Und selbst das Material lieferte für eine alles in allem sehr abwechslungsreiche und erfreuliche Dokumentation.
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De Palma, USA 2015 | Regie: Noah Baumbach, Jake Paltrow | Kamera: Jake Paltrow | Mit: Brian De Palma | Laufzeit: 110 Min.