Die Mutter des Cyber-Sci-Fi.

Ridley Scotts BLADE RUNNER darf als einer der einflussreichsten Science Fiction Filme überhaupt gelten und steht als bedeutender und prägender SciFi-Filme in einer Reihe mit METROPOLIS, STAR TREK (die Sixties-TV-Serie), 2001 A SPACE ODYSSEY, STAR WARS und ALIEN. Doch was macht Ridley Scotts Dystopie zu einem derart aussergewöhnlichen Werk?
In erster Linie wohl, weil es sich bei BLADE RUNNER um den ersten Cyberpunk-Science-Fiction-Film mit grossem Budget handelte. Wir befinden uns nicht in der dem Mittelalter entlehnten, mythologischen Welt von STAR WARS (1977), die nur 5 Jahre zuvor mit einer recht behaglichen Utopie des Gut-und-Böse, einer Guerillatruppe, welche die schlimmsten Totalitarismen der „Macht“ (ein Schlüsselbegriff im STAR WARS-Universum, den man durchaus auch im abstrakten, philosophischen Sinn verstehen soll) zu verhindern wusste. Im ersten STAR WARS manifestierten sich noch die guten Siebziger Jahre mit ihrem oppositionellen und rebellischen Selbstverständnis, das auch heute noch von jedem Teenager positiv als Reflex gegen die Autorität gelesen wird.

Blade-Runner-Poster-blade-runner-8229832-998-1500 Demgegenüber ist BLADE RUNNER Punk, New Wave, Regen, Schmutz, Dunkelheit und zuvorderst ein Serie-Noir-Film. Der Film signalisiert den Wechsel in die Achtziger, in der mit einem Mal keine Flucht aus dem kapitalistischen System mehr möglich war. Im Los Angeles des Jahres 2019 wäre eine Guerillatruppe höchstens eine Randnotiz in den Zeitungen wert. Los Angeles ist ein Moloch von einer Stadt, übervölkert, schlammig, eklig, die kaputte Seite der Welt. Die Staatsmacht versucht von einer riesigen Pyramide aus die grundlegendsten Sicherheitsmassnahmen durchzusetzen, doch als versteckte „Macht“ agiert eher die Tyrell Cooperation. Sie hat die Replikanten geschaffen, die als Arbeitskräfte missbraucht werden und nur vier Jahre zu leben haben – und die sich nun gegen die Menschen und ihren Schöpfer auflehnen. Und das auf anrührende Art: Der Anführer Roy Batty (Rutger Hauer) erfleht bei Magnat und Erfinder Eldon Tyrell um eine Verlängerung des kurzen Lebens. Was genetisch eingeschrieben ist, kann allerdings nicht mehr verändert werden. Batty tötet seinen Schöpfer ganz ödipal, indem er ihm die Augen ausdrückt. Trotzdem: der Aufstand der Replikanten ist ein beinahe induvidueller, der keinen Sklavenaufstand à la SPARTACUS mitdenken kann.

Bladerunner4 Die Tragik des künstlichen Menschen, seine Emotionen (und der unbeholfene Umgang damit), tritt in Battys grossem Sterbemonolog oder in Rachaels Liebe zu Deckard new-wavig unterkühlt (und damit umso emotionaler) zu Tage. Genau damit trifft BLADE RUNNER den Nerv der frühen Achtziger wie kaum ein anderer Film: Scott filmt einen stimmungsvollen, intelligenten Serie Noir-Thriller, in dem wie in den Vierziger Jahren Gefühle nicht direkt geäussert werden können. Nicht nur bei Replikanten, denen ausführliche Kindheitserinnerungen eingepflanzt wurde, sondern auch Menschen wie dem Replikantenjäger Rick Deckard (Harrison Ford).

In die Replikanten ist zweierlei eingeschrieben: die Apotheose des Körpers und deren Vergänglichkeit. Roy Battys Körper ist stählern und sexy, aber nach vier Jahren stirbt er – trotz der Jugendlichkeit und Schönheit. Diese neuzeitliche Ambivalenz vermittelt der Film auf glaubwürdige und unaufdringliche Art.

Blade-Runner-2-Rachael Auch weiterreichend dockt BLADE RUNNER an moderne Diskurse und Motive an, die über die simple Geschichte und die moderne, kaputte Ästhetik hinaus gehen: Das Spiel mit unterschiedlichen, sich diversifizierenden Subkulturen auf den Strassen, von religiösen Gruppierungen über Wehrmachtsfreaks bis zu Punks. Die Faszination und Gefahren künstlicher Intelligenz. Die Orientierungslosigkeit in einer kulturell zu aufgefächerten und fragmentierten Gesellschaft, die bei Deckard so deutlich zum Tragen kommt: er hat nur eine einen Job und eine Vergangenheit (deshalb wird auch oft darüber sprekultiert, ob es sich bei ihm nicht selbst um einen Replikanten handelt). Kurz, eine breite Palette der gesellschaftlichen und popkulturellen Diskurse von damals bis heute finden darin mehr als nur einen Anklang. (Und wer sich für die kulturhistorischen Bezüge von den offentlichtlich Jesus-Gott-Symbolismen bis hin zu Frankenstein, Nietzsche und dem Auge der Vorsehung interessiert, wird bei Wikipedia „Themes in Blade Runner“ fündig).
Diese Vielschichtigkeit macht BLADE RUNNER noch heute zu einem der besten und klügsten Science Fiction Filme – auch im Werk von Ridley Scott selber. Egal, ob dabei auch ein wenig Vorsehungsglück mitgespielt hat.

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Blade Runner, USA 1982 | Regie: Ridley Scott | Drehbuch: Hampton Fancher, David Webb Peoples, nach der Kurzgeschichte „Träumen Androiden von elektrischen Schafen“ von Philip K. Dick | Kamera: Jordan Cronenweth | Musik: Vangelis | Mit: Harrison Ford, Rutger Hauer, Sean Young, Daryl Hannah, Edward James Olmos u.a. | Laufzeit: 117 Min.