Der neben Hitler, Mengele und vielleicht Goebbels am meisten dämonisierte Naziführer ist der Mann, dessen Name direkt aus der nordischen Götterwelt zu stammen scheint: Heydrich. Reinhard Heydrich war zur Zeit des Kriegs stellvertretender Reichsprotektor von Böhmen und Mähren und wurde 1941 zum führenden Organisator des Holocausts. Thomas Mann nannte ihn den Bluthund, Mordknecht, Henker. Heydrichs Ermordung 1942 ist also allemal ein Grund zur Freude und wurde bereits mehrfach verfilmt. In der neuesten Auflage, ANTHROPOID von Regisseur Sean Ellis, als streckenweise stimmungsvoller Thriller.
Allerdings verspricht der Titel zu viel: ANTHROPOID klingt viel mehr nach einem spekulativen Mengele-meets-Monsters-from-Mururoa-Movie als nach einem Film über eine historisch bedeutsame Liquidation. Tatsächlich hiess aber die damalige Operation „Anthropoid“ („menschartig“, „menschenähnlich“), aus welchen Gründen auch immer.
Mit der Ermordung Heydrichs konnte die tschechische Untergrundbewegung den wohl spektakulärsten Erfolg einer europäischen Resistance vorlegen. Durchgeführt wurde die Aktion von einem Kommando, das die tschechische Exilregierung in London per Fallschirmabsprung eines Exekutionsteams nahe Prag lancierte. Als Josef Gabcik (Cilian Murphy) und Jan Kubis (Jamie Dornan) plötzlich aus dem Nichts bei der Prager Untergrundbewegung auftauchen, stellt sich schnell einmal die moralische Frage, um die das zentrale Thema des Films kreist: Was für einen Sinn hat eine Ermordung Heydrichs? Führt sie nicht zu grausamer Rache der Nazis und dem Tod vieler unschuldiger Tschechen? Lohnt es sich, einfach den grausamen Kopf jener Drittes-Reich-Hydra wegzuschlagen? Erscheinen dann nicht einfach viele neue grausamen Köpfe?
Gabcik und Kubis finden bei dem treusorgenden Führer der Bewegung (der in der Filmewelt gerade omnipräsente Toby Jones) Unterschlupf. Trotz den hitzigen Diskussionen in der Gruppe treiben die beiden jedoch ihren Plan voran, denn schliesslich gibt es auch eine zeitliche Komponente: Heydrich wird die Tschechei in einigen Wochen für gewisse Zeit verlassen. Die beiden lernen zwei Frauen (Charlotte Le Bon, Anna Geislerova) kennen und lieben – doch nicht zuletzt nutzen die beiden auch den Charme der Freundinnen für ihre Zwecke aus. Regisseur Sean Ellis taucht diesen Teil der Handlung in einen beinahe romantisierenden Sepiaton, der aber etwas altbacken wirkt. Damit verspielt der ehemalige hippe und innovative Modefotograf (u.a. für THE FACE) eine seiner grossen Stärken, nämlich, der Story über eine eigenständige Bildsprache einen inhaltlich neuen Dreh zu geben.
Die Ermordung Heydrichs wird zum Paradestück des Films, bzw. eine klug aufgebaute, dramaturgisch gelungene Szene zwischen Planung und Glück. Was folgt, ist die Jagd der Nazis auf die Mörder – die Mordmaschinerie des Dritten Reichs setzt, wie abzusehen, ein. Nicht nur die Mitglieder des tschechischen Untergrunds werden grausam ermordet (in der Realität werden sogar zwei Dörfer abgebrannt), alle Mittel sind recht, um die beiden Täter aufzuspüren. Folterung, Erpressung, Liquidation. Dass der quälende Showdown ausgerechnet in einer Kirche stattfindet, mag nicht von ungefähr kommen (u.a. weil Heydrich die katholische Kirche nach dem Judentum und dem Kommunismus als grössten Feind betrachtete).
Das ultimativ Böse in Gestalt der Nazis wurde in letzter Zeit wieder viel zum Filmthema. Lanciert wurde das Thema in den letzten Jahren vor allem durch die Superheldenfilme, die in ihren rückblickenden Stories oft in die Zeit des zweiten Weltkriegs zurückgehen: Die meisten Marvel- und DC-Helden entstammen jener goldenen Ära des Superheldencomics, als die Bösewichte oft Japaner oder Deutsche waren. Nicht nur CAPTAIN AMERICA kämpft gegen Nazis, in diesem Jahr ganz prominent auch Superheldin WONDERWOMAN, deren Nazi-Gegner Ludendorff zum Kriegsgott Ares dämonisiert wird. Auf der anderen Seite fasst Christopher Nolan mit DUNKIRK den Krieg gegen die Nazis in eine faszinierende Bildwelt. Alles in allem scheint sich die Metapher der Nazis wieder just an dem Punkt aktiviert zu werden, da das Misstrauen gegenüber Deutschland (nicht nur in Trumps Amerika) wieder grösser geworden ist (Gründe sind die Austeritätspolitik, Deutschlands Leadership in Europa und vielleicht auch etwas Misstrauen dem Abgaskandal der deutschen Autoindustrie gegenüber). In diese Stimmungslage passt natürlich auch Sean Ellis ANTHROPOID – obwohl er natürlich, wie auch die anderen erwähnten Filme, keinen direkten Bezug zur heutigen politischen Situation herstellt.
Anbieter: Universum-Film
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Anthropoid, Tschechien/United Kingdom 2016 I Regie: Sean Ellis I Drehbuch: Sean Ellis, Anthony Frewin I Darsteller: Cilian Murphy, Jamie Dornan, Charlotte LeBon, Anna Geislerova, Harry Lloyd, Tobi Jones I Laufzeit: 120 min.