Geschichte wiederholt sich. Dieses Faktum wird dem Zuschauer auch bei einem Film wie DER 27. TAG erneut bewusst. Denn auch in unserer heutigen Zeit der ‘fake news’, in denen gewisse Medien nichts unversucht lassen, Russland als den unbeherrschten Weltaggressor heraufzubeschwören, lässt sich Propaganda nicht leugnen. Dass das bereits vor Jahrzehnten, als der ‚Kalte Krieg‘ noch auf der Kippe stand ‘heiß’ zu werden, geübte Praxis war und sich die klare Verortung des Feindes auch im amerikanischen Unterhaltungsfilm wiederfand, sollte Filmfreunde nicht überraschen. Doch selten wurde in einem nominellen Science-Fiction-Film so überzeichnet eingenordet, dass nicht etwa extraterrestrische Wesen die Wurzel allen Übels waren, sondern die Schurken am Roten Platz in Moskau saßen. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, für den ist DER 27. TAG nicht weniger als ein ‘Muss’ – denn die Geschichte hat es in sich.
Fünf Menschen unterschiedlichster Nationalitäten werden von einem geheimnisvollen Außerirdischen auf ein Raumschiff fernab der Erde teleportiert – und der Fremde hat eine Botschaft an die Welt: sein Volk aus einer fernen Galaxis, dessen Planet dem Untergang geweiht ist, möchte sich auf der Erde ansiedeln. Doch da es ihnen ihr ethischer Kodex verbietet, die Menschheit zu unterwerfen, erhalten alle fünf Personen von ihm eine todbringende Waffe, die alles menschliche Leben auf der Erde vernichtet. Er setzt ihnen eine Frist von 27 Tagen, danach verliert die Waffe ihre Kraft und sein Volk wird zugrunde gehen. Zurück auf der Erde sehen sich die fünf Menschen jedoch einer Treibjagd gegenüber: der Fremde hat den Weltmächten die Identität der Personen mit der ‘Superwaffe’ offenbart, woraufhin nun jede Weltmacht ihre Chance sieht, den Kalten Krieg für sich zu entscheiden. Für die Geheimnisträger beginnen lange 27 Tage voller Verfolgung und Flucht – und plötzlich spielen sie im Weltgeschehen eine Rolle, die größer kaum sein könnte.
Nicht, dass hier etwas falsch verstanden wird: DER 27. TAG ist kein reinrassiger Science-Fiction-Film, ein erdgebundener höchstens, mit klar irdischen Problemen und Anschauungen. Entstanden 1957 und somit gerade einer Zeit anschließend, die heute gemeinhin als ‘McCarthy-Ära’ bezeichnet wird. Eine regelrechte Kommunistenhatz war über die Jahre veranstaltet worden, auch in Hollywood hatten viele Kreative Schaden genommen. Doch wo der Feind saß, war für viele noch immer klar: der Kommunist wusste, ganz im Gegensatz zum amerikanischen Demokratieheilsbringer, nichts als Ärger in die Welt zu bringen. Doch selten wurden im damaligen Publikumskino der USA die Vertreter des Kremls so hinterlistig und heimtückisch dargestellt, wie in DER 27. TAG.
Vor Moskauer Stadtansichten zeigenden Fototapeten und in dunklen Pappmachéverliesen greinten, folterten, verkasematuckelten die Russen den armen Soldaten mit der Wunderwaffe, der seinerseits nichts gegen die eigenen Landsleute ausrichten konnte. Demgegenüber zeigten sich die amerikanischen Generäle, Journalisten und Wissenschaftler hier als selbstlose, hochmoralische und überlegt handelnde Gutmenschen – dass ein ‘guter Deutscher’ sich auch noch in den Dienst des ‚Union Jack‘ stellte und somit die Botschaft aussandte, dass auch die einstigen Kriegstreiber verstanden hatte, auf welcher Seite des Eisernen Vorhangs für alle Milch und Honig fließt, ist retrospektiv nicht weniger bemerkenswert.
Auffällig ist – und dahingehend muss man den Machern wirkliches Lob aussprechen – die komplexe und von moralischen Themen geprägte Geschichte, die hier trotz der anti-russischen Propaganda kurzweilig und vor allem ohne Logikpatzer expliziert wird. Der vielschichtige Konflikt, dem sich die unversehens im Besitz einer Superwaffe befindlichen Menschen ausgesetzt sehen, ist definitiv ambitioniert für einen Film, der damals per se vom Studio eher als Cash-in-Produkt bilanziert und eingestuft wurde. Offenkundig in der Tradition von DER TAG, AN DEM DIE ERDE STILLSTAND (1951) stehend, wurde hier ausgesprochen überlegt zu Werke gegangen. Nun war William Asher sicher kein Robert Wise und die finanziellen Möglichkeiten waren nicht im Ansatz zu vergleichen – für ein schmal budgetiertes B-picture sieht DER 27. TAG allerdings exzellent aus – aber dank der rein infrastrukturellen Gegebenheiten des damaligen Studiosystems konnte der Film eine überzeugende Figur machen.
Die Riege der Schauspieler, darunter viele Exilanten und Emigranten, die sich im Hollywood der Nachkriegszeit etabliert hatten, ließ zwar Stars vermissen, doch dadurch trat die Story nur noch mehr in den Vordergrund und veranlasste den Zuschauer zur Beschäftigung ohne ablenkende, bekannte Gesichter. George Voskovec als deutscher Wissenschaftler hatte gerade einen Karrierehöhepunkt in Sidney Lumets DIE 12 GESCHWORENEN (1957) verbuchen können, Stefan Schnabel hatte als “Der Russe” Gelegenheit an der schauspielerischen Stalinogel alle Register zu ziehen. Friedrich von Ledebur – geborener Österreicher und seit John Hustens MOBY DICK (1956) so etwas wie eine kosmopolitische Kultfigur – begab sich später nach Europa zurück, um bei Artur Brauner in Karl-May-Streifen à la DER SCHUT (1964) und dem zweiteiligen Sandalen-Epos KAMPF UM ROM (1968/1969) mitzuwirken. Gene Barry und Valerie French schließlich, die hier als ungleiches, vom Schicksal zueinander geführtes Paar auftreten, haben ebenfalls das Glück, dass ihre Rollen nicht so stereotyp ausfallen, wie man es von einem Produkt der Traumfabrik jener Tage erwarten könnte.
In der Reihe ‚Die Rache der Galerie des Grauens‘ erscheint DER 27. TAG als mittlerweile neunter Eintrag zu dieser begeisternden Serie. Veröffentlicht als BD-/DVD-Kombo-Release erstrahlt der in kontrastreichem Schwarzweiß gedrehte Film in neuem Glanz, zeigt sein ganzes Spektrum auf großen Diagonalen und Heimkinowänden dieses Landes. Neben dem englischen Originalton ist die deutsche Synchronisation verfügbar, in der sich liebgewonnene Sprecherlegenden der ausklingenden 1950er Jahre quasi das Mikro in die Hand geben; dass der Film einst ungekürzt in die deutschen Kinos kam, dürfte aufgrund seiner tendenziösen Grundhaltung nicht verwundern.
Zwei Audiokommentare sind zum Hauptfilm anwählbar: einmal das Doppel aus Dr. Rolf Giesen und Volker Konz und separat das Gespann Bodo Traber und Ingo Strecker – beide in Ihrer Fülle an Informationen zu den allgemeinen Kinophänomenen und politischen Wetterlagen damaliger Zeit kaum zu toppen. Extra anspielbar ist die deutsche Kinofassung, die mit der amerikanischen Version inhaltsgleich ist und einst von Columbia Pictures in den Verleih gebracht wurde. Neben dem deutschen und amerikanischen Kinotrailer sind die spanische und portugiesische Titelsequenz, der deutsche und amerikanische Werberatschlag, das Filmprogramm und eine ausufernde Bildergalerie enthalten. Abrundendes Schmankerl ist ein zwölfseitiges Booklet, welches Audiokommentierer Strecker verfasste und neben viele Fakten und Hintergründen zu Darstellern und Filmmotiven auch internationale Aushangmotive und Behind-the-Scenes-Fotos enthält.
Preiswert hergestellt und trotzdem inhaltlich hochwertig – indoktrinierend ausgedacht und dennoch irgendwie nicht alt geworden – ganz Kind seiner Zeit, doch mit den Jahren gut gealtert. DER 27. TAG ist ein Film, der auf vielen Ebenen einen genauen Blick lohnt. In Zeiten der allgemeinen Unsicherheit, der ‘alternativen Wahrheiten’ und ‘social bots’ kann ein bisschen Geschichtsunterricht nicht schaden. Die Klitterung der Vergangenheit wie einen Schleier tragend, doch der Zuschauer wird ihn lüften – und was zum Vorschein kommt sollte man sich als Fan ruhig mehrmals ansehen; wir haben schließlich mehr als 27 Tage Zeit.
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The 27th Day | USA 1957 | Regie: William Asher | Darsteller: Gene Barry, Valerie French, George Voskovec, Azenath Janti, Arnold Moss, Friedrich von Ledebur u.a.
Anbieter: Anolis Entertainment