Eigentlich handelt es sich hier um ein vielbeachtete, mit Staraufgebot realisierte Serie, in der es um Beziehungen zwischen Familien im beschaulichen Monterey geht. Nicht gerade der Stoff, aus dem Splatting-Image-Rezensionen gemacht sind, denkt man. Denn werden hier nicht einfach Familienprobleme behandelt? Aber da war noch was. Irgendein Mord. Immer wieder wird die Chronologie des Geschehens von Zeugenaussagen unterbrochen. Kurz unterbrochen. So kurz, dass wir nicht einmal erfahren, was geschehen ist, wer ermordet wurde … lediglich, dass jemand ermordet wurde. Dieses große Vorenthalten von Wissen zum Zweck der Spannung ist ungewöhnlich, spitzt sich im Verlauf der 7 Folgen immer mehr zu und hält den Spannungsbogen bis am Schluss. Was geht da ab im beschaulichen Monterey?
Im post-hippiesken Sehnsuchtsort an der Pazifikküste läuft nicht alles so, wie man sich das erträumt. Ein neues Kind kommt an die Schule, Ziggy (ja, wie Bowies Sohn), von der allein erziehenden Mutter Jane (Shailene Woodley). Bereits am ersten Tag kommt es offenbar zu einem Übergriff von Ziggy auf die (wie alle anderen Kids) überbehütete und umsorgte Amabella. Deren Mutter Renata (Laura Dern) rastet aus und mobbt in der Folgezeit massiv gegen Ziggy. Obwohl die gesprächige Madeline (Reese Witherspoon) und deren Freundin Celeste (Nicole Kidman) kräftig Gegensteuer geben, unterstützt ein Großteil der Mütter (und der Väter, die jeweils mehr oder minder begeistert mitziehen) die Isolierung Ziggys. Und das, obwohl trotz fortgesetzter Gewalt an Amabella niemals ein klarer Beweis gegen Ziggy auf dem Tisch kommt.
Die Ansammlung von Helikopter-Eltern, d.h. Eltern, die sich übermäßig in die Angelegenheiten ihrer Kids einmischen, wird zu einem Hauptauslöser der Konflikte in Monterey. In dieser Atmosphäre der Anschuldigungen und Anfeindungen (die aber nie übertrieben eskalieren) brechen die verborgenen Probleme der Familien auf.
In ihrer Offenheit und Gesprächigkeit für uns Zuschauer am ehesten Identifikationsfigur, forciert Madeline oft Zwietracht und Streitereien und ist weder mit ihrer Beziehung ganz zufrieden (zu einem liebevollen Mann, der zu Hause kocht und immer da ist) noch glücklich über ihren vergangenen Seitensprung. Zwischen der wunderschönen Celeste und ihrem jüngeren, ebenso schönen Mann (Alexander Skarsgard) existiert eine unselige Verbindung von Gewalt und Sex, die sie vor ihren Zwillingsjungs zu verheimlichen suchen. Renata leidet immer wieder etwas darunter, dass sie nebst dem Muttersein auch erfolgreich einer aufwändigen Lohnarbeit nachgeht (oder umgekehrt), und schließlich hütet die allein erziehende Jane ein dunkles Geheimnis, was Ziggys unbekannten Vater betrifft.
In tollen, modernen Schnitten und hochgepushten Farben wird die Geschichte überaus kurzweilig erzählt. Andere Konflikte gelangen im Verlauf der Serie in den Vordergrund: Düstere, ungelöste Probleme lösen die Overparenting-Problematik ab. Immer wieder kommen auch Lösungsansätze zum Zug, vom Psychiaterbesuch bis zu gemeinsamen Nachtessen von Konfliktfamilien – und nicht immer ist das für die Katz. Einiges funktioniert, manches wird unter den Teppich gekehrt und so entsteht ein lebhaftes Durcheinander, das in sich sehr authentisch wirkt. Die Charakterzeichnungen und die soziale Dynamik der Geschehnisse sind in BIG LITTLE LIES exzellent.
Jean-Marc Vallée (DALLAS BUYERS CLUB) hat ein Universum geschaffen, in dem Psychiater für einmal nicht Karikaturen sind, sondern auf gute Art wirklich helfen, in der Männer auch liebenswert sein können, in dem plötzlich auch Vernunft und Verzeihen wieder möglich werden – aber auch ein Universum, in dem es für gewisse Dinge kein Verzeihen mehr gibt. Vallée hat in allen 7 Episoden selbst Regie geführt und es hervorragend geschafft, uns bei der Stange zu halten. So wie uns Michael Kiwanukas Song in den Opening Credits immer wieder von Neuem begeistert, uns in die romantisch besetzte Welt von Monterey hineinzieht, und gleichzeitig das Drama vorwegnimmt. A perfect life is a perfect lie.
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Big little lies | USA 2017 | Regie: Jean-Marc Vallée | Drehbuch: David E. Kelley | Darsteller: Reese Witherspoon, Nicole Kidman, Shailene Woodley, Alexander Skarsgard, Adam Scott, Zoë Kravitz, Laura Dern